Auslandssemester an der University of Haifa, Israel: ein Erfahrungsbericht

von Leonie Oettler

Für das neue Erasmus-Austauschprogramm der Friedensakademie Rheinland-Pfalz mit der Israelischen Universität Haifa können sich Studierende unterschiedlicher Fächer bewerben. Trotz der außergewöhnlichen Bedingungen des  Jahres 2020, haben die ersten drei Landauer Studierenden nun ein Semester in  Haifa hinter sich. Leonie Oettler ist eine von ihnen und berichtet hier von ihrem Auslandsaufenthalt.

Das Interview mit Leonie Oettler ist vor der gegenwärtigen Gewalteskalation im Mai 2021 entstanden. Wir stehen an der Seite unserer Partner, die sich seit 1949 für einen gemeinsamen Frieden einsetzen.

 

Frau Oettler, Sie blicken nun auf knapp ein halbes Jahr Auslandsaufenthalt in der israelischen Küstenstadt Haifa zurück. Was haben Sie für sich mitgenommen?

Ich habe wunderschöne und geschichtsträchtige Orte besucht, eine andere Art von Universitätslehre kennengelernt, die nahöstliche Küche verköstigt und viele sonnige Tage genossen. Am meisten im Gedächtnis bleiben natürlich die persönlichen Begegnungen und der Austausch mit Studierenden aus aller Welt. Ich habe schätzen gelernt, als Europäerin Teil einer Union zu sein, in der sich Länder einigen und vereinen möchten. Die Konflikte und politischen Fragen, die junge Menschen anderer Länder beschäftigen, haben mir meine „europäische Blase“ bewusst gemacht und mich auch meine eigene Herkunft neu bewerten lassen.

Wie kam es zu der Entscheidung für ein Auslandssemester an der Universität Haifa?

Im Januar 2020 wurde die Ausschreibung der Friedensakademie für drei Plätze im neuen Erasmus+-Programm im Univerteiler verschickt. Israel mit seiner konfliktbehafteten Vergangenheit und Gegenwart hat mich als Reiseziel schon immer wahnsinnig interessiert. Also habe ich mich gleich an die Bewerbung gemacht – ein paar Wochen später bekam ich die Zusage. Aufgrund der Pandemie war eine Weile unklar, ob und wie das Auslandssemester überhaupt möglich sein wird. Zum Glück hat doch noch alles funktioniert und Anfang Oktober saß ich endlich im Flieger nach Tel Aviv – direkt hinein in einen israelischen Lockdown.

Der Schwerpunkt des Austauschs lag auf dem Masterprogramm Peace and Conflict Management. Was waren die Inhalte Ihrer Kurse?

Die Kurse dauerten jeweils dreieinhalb Stunden, deshalb umfasste mein Semesterprogramm drei Seminare. Ein Kurs aus dem Peace and Conflict Master hieß zum Beispiel “Building Consensus: Basic Negotiation, Mediation and Facilitation Skills”. Wie der Name schon sagt, ging es darin um die Frage, wie man Konflikte zwischen Personen und Gruppen so lösen kann, dass es nicht einen Gewinner und Verlierer gibt, wie man es etwa von Rechtsstreitigkeiten kennt, sondern dass im besten Falle für alle Beteiligten eine zufriedenstellende Lösung erreicht wird. Das klingt vielleicht erstmal zu optimistisch, aber es war eine sehr bereichernde Erfahrung, sich mit dieser Herangehensweise der Konfliktlösung auseinanderzusetzen. In vielen Gruppenübungen konnten wir uns als Mediator*innen ausprobieren. Zudem hatte ich einen Kurs zur soziokulturellen Geschichte des Nahen Ostens und fast täglich einen Hebräisch-Kurs. Mir war es wichtig, etwas über die Geschichte der Region und die Sprache des Landes zu lernen. In einer Sprache komplett bei null anzufangen und ganz neue Buchstaben zu lernen, war zwar nicht einfach, aber ein paar Grundkenntnisse in Hebräisch haben mir immer wieder im Alltag geholfen . Alle Kurse fanden online auf Zoom statt. Einmal gab es sogar eine Seminarstunde im Hybrid-Format. Hierzu hatte die International School auf ihrer Terrasse Tische und Stühle mit vorgegebenem Abstand aufgebaut. Studierende, die durch die Einreisebeschränkungen noch nicht in Haifa waren, konnten sich über zoom dazuschalten. Einen Unikurs im Sonnenschein und mit Meeresblick – das werde ich so schnell wahrscheinlich nicht mehr erleben!

Gibt es Unterschiede in der Lehre zwischen Landau und Haifa?

Insgesamt habe ich die Lehre als etwas verschulter als an der Universität Landau empfunden. Wir mussten häufig Zusammenfassungen oder Journals schreiben, in denen wir das Gelernte reflektieren und in eigenen Worten aufschreiben sollten. Es gab außerdem nicht nur eine Abschlussprüfung, sondern eine nach der Hälfte der Vorlesungszeit und eine am Ende. Ich muss zugeben, das war herausfordernd, aber ich glaube, dass ich mich dadurch intensiver mit den Inhalten auseinandergesetzt habe. Man musste einfach immer dranbleiben!

Israel ist ein konfliktbehaftetes Land. Wie haben Sie das erlebt?

Viel stärker als die Konflikte an sich haben die Maßnahmen zur Gewährung der Sicherheit meinen Alltag geprägt. Jedes Mal, wenn der Linienbus auf das Campusgelände fuhr, wurden die Fahrgäste von einer Sicherheitskraft kontrolliert und beim Betreten der Wohnheime musste man sich ausweisen. Leider habe ich auch erlebt, dass Menschen offensichtlich aufgrund ihrer Hautfarbe nach ihren Dokumenten und ihrem Reisegrund gefragt wurden. Palästinensische Gebiete zu bereisen, wurde uns Studierenden seitens der Universität Haifa verboten. Ich habe auch Menschen getroffen, die Vorurteile über andere Gesellschaftsgruppen geäußert haben und von arabischen Studierenden gehört, dass sie sich wie Bürger*innen zweiter Klasse fühlen. Auch der Militär ist im alltäglichen Leben präsent. Es ist durchaus üblich, dass man an der Bushaltestelle neben einem jugendlichen Mädchen steht, das ein Maschinengewehr um die Schulter trägt und dabei ganz lässig auf ihrem Smartphone herumscrollt. Für mich war das immer wieder ein skurriles Bild. Ich will aber auch betonen, dass es viele junge Menschen gibt, die sich ein friedliches Zusammenleben unter Einbezug aller Gruppierungen wünschen. Und das funktioniert vielerorts auch. Für mich ist der Nahostkonflikt viel zu komplex, um eine Position zu beziehen, aber die Zeit in Israel hat mir gezeigt, was er für das Leben der Menschen vor Ort bedeutet.

Im Wintersemester war auch Israel immer wieder im Lockdown. Hat das Ihren Alltag eingeschränkt? Konnten Sie trotzdem etwas vom Land sehen?

Ich habe Haifa natürlich unter besonderen Bedingungen kennengelernt. Erst wenige Tage vor meiner Abreise wurden Bars, Cafés und Geschäfte wieder geöffnet. Während des Semesters war mein Lebensmittelpunkt auf dem etwas von der Stadt abgeschieden Campus in den Wohnheimen, da die Kurse zeitintensiv und arbeitsaufwändig waren. Dass man nicht ausgehen konnte, war deshalb keine wesentliche Einschränkung. Es war sehr gesellig, oft wurde gemeinsam gekocht oder Kaffee getrunken und die direkte Nähe zum Nationalpark haben wir zum Wandern genutzt. Es gab sogar einen Blindenhund in der Wohnanlage, den ich regelmäßig ausführen durfte. Nach dem Semester bin ich für meinen restlichen Aufenthalt in die Stadt gezogen. Trotz weiterhin bestehender Beschränkungen habe ich es genossen, nach dem Campusleben mehr vom Leben in der Stadt mitzubekommen. Auf den Straßen war etwas los, die Leute tranken Kaffee, hielten einen Plausch und erledigten ihre Einkäufe. Endlich konnte ich hier und da mal ein paar Wörter Hebräisch einsetzen. Am nur 20 Minuten entfernten Strand tummelten sich die Menschen zum Spazieren, Joggen, Surfen und Schwimmen. Zwischendurch habe ich mit Freund*innen Trips nach Akko, Jerusalem, Tel Aviv, in die Golanhöhen, ans Tote Meer und in die Negev-Wüste unternommen. Sicherlich war mein Einblick nur ein Teil des „normalen“ Lebens in Haifa und generell in Israel. Ich hätte zum Beispiel gerne auch die Kunst- und Musikszene kennengelernt, die zu dem Zeitpunkt leider noch stillgelegt war. Nach meiner Rückkehr in den deutschen Lockdown-Winter weiß ich aber zu schätzen, dass ich dank des milden Klimas so viel Zeit draußen verbringen konnte und Treffen mit mehreren Personen erlaubt waren.

Ihr Aufenthalt endete nach fünfeinhalb Monaten im März. Was ist Ihr Fazit? Haifa oder doch lieber Landau?

Die Eingewöhnung nach meiner Rückkehr hat einige Wochen gedauert. Mein Semester in Haifa war eine tolle Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Was bleibt, sind die dazugewonnenen Freundschaften und die gemeinsamen Erinnerungen. Jetzt freue ich mich auf den Sommer und mein letztes Studienjahr im ruhigeren Landau.

Über die Autor*innen

Leonie Oettler absolvierte von Mitte März bis Mitte Mai 2021 ein Praktikum an der Friedensakademie Rheinland-Pfalz und unterstützte das Team u.a. im Shared Society Projekt und bei der Kooperation zwischen der Friedensakademie und der Universität Haifa  Sie ist Masterstudentin in Kommunikations- und Medienpsychologie an der Universität Landau. Durch das neue Erasmus+-Programm, das von der Friedensakademie und dem International Office der Universität Koblenz-Landau initiiert wurde, studierte sie als eine der ersten drei Studierenden aus Landau für ein Semester an der University of Haifa. Hier besuchte sie Kurse des Masterprogramms Peace and Conflict Management.