Mehr Schein als Sein. Geschlechtergerechtigkeit in den Vereinten Nationen

Von Manuela Scheuermann 

Die Vereinten Nationen  bemühen sich redlich, Maßnahmen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in allen Teilen der Welt anzustoßen. Doch sie selbst verharren  in tradierten Mustern – mit tiefgreifenden Folgen für die Geschlechtergleichheit in der eigenen Organisation. Mögen jüngste Entwicklungen, wie die Geschlechterparität in einigen großen Sonderorganisationen, ein positiveres Bild einer gender-sensiblen UN zeichnen, so zeigt doch gerade der wichtige Tätigkeitsbereich „Frieden und Sicherheit“, dass die UN noch einen langen Weg vor sich haben. Systemische Hindernisse auf politischer und bürokratischer Ebene verhindern Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Weltorganisation.

Eine Weltorganisation setzt Normen

Die United Nations (UN) inszenieren sich seit geraumer Zeit als Vorreiterin, Vordenkerin und Normsetzerin für Geschlechtergerechtigkeit. Seit dem Amtsantritt von Antonio Guterres wurden die Appelle der UN an die Staatengemeinschaft, Gender-Belange ernst zu nehmen, noch lauter. Anlässlich des Weltfrauentags 2019 unterstrich der UN-Generalsekretär, die Förderung der weiblichen Hälfte der Weltbevölkerung sei essentiell für den globalen Fortschritt. Dies ist insbesondere in dem für die Vereinten Nationen konstitutiven Tätigkeitsbereich „Frieden und Sicherheit“ der Fall. Fotos von Frauen in Uniform dominieren den Internetauftritt der für Friedenssicherung zuständigen Abteilung „Department for Peace Operations“ (DPO). Die Intensivierung des „Women, Peace and Security“-Programms steht auch – und gerade durch deutsche Initiativen – während der nicht-ständigen Mitgliedschaft Deutschlands von 2019 bis 2020 im UN-Sicherheitsrat hoch auf der Tagesordnung.

Dabei dominiert im UN-Diskurs ein friedenspolitisches Narrativ von Geschlechtergerechtigkeit: der Schutz von Frauen vor sexualisierter oder gender-basierter Gewalt, die Bewahrung von Frauenrechten als Menschenrechten und der Einbezug, ja die aktive Partizipation, von Frauen in allen Phasen des Friedensprozesses als zwingende Voraussetzung für einen nachhaltigen, stabilen und positiven Frieden. Frauen werden dabei in den Friedensoperationen theoretisch mittlerweile alle Rollen zugedacht, die Männern von Beginn an zustanden. Frauen sollen als Vermittlerinnen in Friedensverhandlungen, als Kandidatinnen für Wahlen, und als Polizistinnen und Soldatinnen zu UN-Friedensoperationen beitragen. Sie alle sollen als Vorbild, als „role model“, dienen, aber auch die Kommunikation mit der weiblichen Bevölkerung in den Einsatzgebieten erleichtern. Frauen bringen einzigartige Fähigkeiten in Friedensprozesse ein. Deshalb sind Anstrengungen für Gender-Parität, Gender-Mainstreaming und Gender-Sensibilität wichtig. Das ist die Botschaft der United Nations.

Gender-Misere in UN-Friedensoperationen

Sieht man jedoch hinter diese glitzernde Fassade, zeigt bereits der Blick auf die Verhältnisse innerhalb der Weltorganisation, dass Worte und Taten noch immer stark auseinanderklaffen. Auch wenn der Anteil von Polizistinnen und zivilen UN-Mitarbeiterinnen stetig steigt, stagniert der Anteil an Soldatinnen in UN-Friedensoperationen auf niedrigem Niveau. Seit mehr als einem Jahrzehnt verharrt er bei etwa vier Prozent. Die Appelle des UN-Generalsekretärs scheinen vor allem in militärischen Belangen ungehört zu verhallen. Er mahnte anlässlich der letztjährigen Generaldebatte zu „Women, Peace and Security“ an, die UN würden sowohl ihre Glaubwürdigkeit als auch ihre Fähigkeiten zum Schutz der Zivilbevölkerung verlieren, wenn die UN-Blauhelmkontingente weiterhin fast ausschließlich männlich werden. Gerade der Schutz-Aspekt ist ein zentraler Aufgabenbereich der UN-Peacekeeper und gerade hier leisten weibliche Soldatinnen einen essentiellen Beitrag. Nachweislich sinkt die sexualisierte Gewalt gegen die weibliche Zivilbevölkerung, das Vertrauen in die UN-Friedensmission steigt und das Fehlverhalten der männlichen Peacekeeper verringert sich, wenn mehr Frauen in UN-Uniform vor Ort sind. Es ist also keineswegs nur ein Zahlenspiel, das die UN antreibt mehr Frauen als Soldatinnen in UN-Friedensoperationen zu entsenden, sondern die Überzeugung dass Frauen einen echten Mehrwert bringen – für die Kultur innerhalb der Mission und für die Friedensbemühungen vor Ort.

Männliche Institution verhindert Geschlechtergerechtigkeit

Der Schuldige dieser Gender-Balancing-Misere in UN-Friedensoperationen ist meist schnell ausgemacht: Es sind die truppenstellenden Staaten, die keine Frauen in die Operationen entsenden, so die landläufige, insbesondere von der UN vertretene Position. Dabei tragen die Vereinten Nationen, insbesondere das DPO, selbst einen beträchtlichen Anteil an dieser Gender-Misere. Die Verantwortung muss demnach bei beiden Protagonisten, den UN und den Truppenstellern, gesucht werden. Dies wird nicht so sehr auf dem sogenannten Makro-Level, also der politischen Ebene sichtbar, sondern auf dem Mikro-Level, den Mechanismen der bürokratischen Institution DPO.

Insbesondere das DPO pflegt noch immer einen auffallend männlichen Managementstil. Dadurch werden Frauen bewusst und unbewusst ausgeschlossen. Diese Praxis soll mit einigen Beispielen aus der Alltagsroutine der DPO veranschaulicht werden. Überwiegend männliche Leitungsgremien (1), gender-unsensible Auswahlprozesse bei der Besetzung von Posten (2) und – wie jüngst bekannt wurde – sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (3) sind immer noch an der Tagesordnung.

(1) Das mächtige, weil für alle UN-Friedensoperationen zuständige, DPO wird von sechs altgedienten Führungspersönlichkeiten geleitet, darunter nur eine Frau. Dieses mit Männern durchsetzte Bild einer Führung verwundert nicht, und dies aus vielerlei Gründen. Zum einen ist das DPO die einzige Institution der durch und durch zivilen UN, die sich mit militärischen Fragen auseinandersetzt. Folgt man feministischen Thesen wie der einer „military masculinity“, die unter anderem von Kronsell vertreten wird, wird klar, dass die Institution Militär per se maskulin ist, und ein militärisch arbeitendes DPO demnach vor allem Männer und männliche Verhaltensweisen honoriert – von der männlichen Stellenbeschreibung bis zum männlichen Führungsstil und männlichen „leader“. Zwar arbeiten die UN in vielen ihrer Nebenorgane und Programme gegen diese „Maskulinität“ an, indem sie bewusst Förderprogramme für Frauen in Leitungspositionen auflegen. Diese zeigen aber gerade im DPO wenig Effekt. Innerhalb der Missionen kommt noch eine weitere Herausforderung hinzu, die Frauen geradezu abschreckt, in einer Führungsposition zu dienen. In den UN herrscht die Praxis vor, Leitungspositionen in UN-Friedensoperationen gewohnheitsmäßig als „no family duty“ zu kennzeichnen – also die Mitnahme von Familienangehörigen zu untersagen. Dies mag in hoch volatilen Gebieten seinen Sinn haben, möchte man die Familie nicht den Gefahren aussetzen, die gewaltsame Konflikt mit sich bringen. In Missionen, die eher beobachtender Natur sind macht das schlicht keinen Sinn. Beachtet man dabei noch, dass Leitungspositionen stets mehrjährige Stehzeiten bedeuten, die wenigsten Frau jedoch für zwei oder mehr Jahre von ihrer Familie getrennt sein möchten, liegt in UN-Friedensmissionen letztendlich eine doppelte Diskriminierung vor: die der Frau und die der Mutter.

(2) Weitere Hinderungsgründe für die Partizipation von Frauen im DPO sind die generell „männlich“ definierten Anforderungen und die Besetzungspraxis innerhalb der UN. Beispielsweise werden die Aufgaben, die im DPO und im Feld geleistet werden müssen in den Stellengesuchen der UN oftmals in einen ausgesprochen militärischen Sprachjargon eingebettet. Das ist selbst bei zivilen Tätigkeiten der Fall. Zivile Frauen werden dadurch häufig abgeschreckt. Zudem führt eine von Männern dominierte Besetzungspraxis dazu, dass Frauen zumeist auf den unteren Karrierebenen verharren. In den UN erfolgen interne Besetzungen nämlich durch informelles Mentoring – in der Regel von Mann zu Mann. Männliche Einsteiger werden von männlichen Abteilungsleitern gecoacht und für neue Positionen vorgeschlagen. Frauen bleiben in diesem männlichen Netzwerk außen vor.

(3) Dazu kommt ein die gesamte UN schwächendes System der Herabwürdigung von Frauen. Wie jüngste Studien belegen, ist sexuelle Belästigung an der Tagesordnung. Eine unter allen UN-Mitarbeiter_innen durchgeführte Befragung kam zu dem Ergebnis, dass ein Drittel des UN-Staff sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hat. Dass nur 17 Prozent der 30.000 UN-Mitarbeiter_innen die Umfrage beantwortet hat, spricht nach Ansicht des UN-Generalsekretärs Bände. „The Guardian“ spricht in einem Artikel im Januar 2019 in Bezug auf sexuelle Belästigung in der UN von einer "Kultur der Straflosigkeit". Die Vereinten Nationen haben ein systemisches Diskriminierungsproblem. Und dies obwohl sich die UN mit angeblich hocheffektiven Programmen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz schmücken.

Ausblick

Diese systemischen Stolpersteine auf dem Weg zu Gendergerechtigkeit sind den Vereinten Nationen durchaus bewusst und in vielen nicht-militärischen Bereichen sind überraschend positive Schritte hin zu Geschlechterparität zu beobachten. Doch wird sich die tiefgreifende Ungerechtigkeit, die sich besonders im DPO beobachten lässt, auch in Zukunft schwer ändern lassen. Die Vereinten Nationen sind von Männern gegründet, ein „Männerverein“ mit einer männlichen Kultur und auf einem männlichen institutionellen Pfad, von dem sie nur schwer abkehren können. Das wiegt im DPO, einer zusätzlich noch militärisch institutionalisierten Abteilung, noch schwerer.

Es muss deshalb nicht verwundern  dass – folgt man Hochrechnung der UN – das DPO Geschlechterparität frühestens im Jahre 2182 erreichen wird. Es sind die alten, einer militärisch arbeitenden Institution traditionell inhärenten Pfade, die eine geschlechtergerechte Öffnung des UN-Apparats im Bereich von Frieden und Sicherheit verhindern. Es sind eben nicht nur die offensichtlichen, entschuldigend und anklagend angeführten Argumente, allen voran der Mangel an weiblichen Soldatinnen in den truppenstellenden Nationen, die der Geschlechtergerechtigkeit im Wege stehen. Das DPO ist noch immer eine militärisch-maskuline Einrichtung. Das wird wahrscheinlich auch weiterhin so bleiben – mit allen entsprechenden Auswirkungen für einen nachhaltigen, stabilen und positiven Frieden.

Über die Autor*innen

Dr. Manuela Scheuermann ist Post-Doc und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jean-Monnet-Lehrstuhl des Instituts für Politikwissenschaft und Soziologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie beschäftigt sich mit Gender-Normen in internationalen Sicherheitsorganisationen, inter-organisationalen Beziehungen und den Vereinten Nationen