"Und er hat nicht gewonnen!" - Umstrittene Wahlergebnisse als steigendes Konfliktpotential in West Afrika

von Rebecca Petz 

Wahlen stellen einen kritischen Moment in Gesellschaften mit erhöhtem Konfliktpotential dar. Die Pandemie hat zudem einige Faktoren verstärkt, die zu Unsicherheit und erhöhten Risiken bei Wahlen führen können. Dies wird im folgenden Beitrag am Beispiel der Präsidentschaftswahlen in Côte D‘Ivoire näher ausgeführt.  

Wahlen gehören zum politischen Alltag von Demokratien und haben viel Potential. Potential für Frieden und Potential für Gewalt. Im Kontext von Friedensförderung werden sie oft als essentieller Schritt zur Etablierung von Sicherheit und Stabilität beschrieben. Gleichzeitig jedoch werden sie auch oft mit Gewaltausbrüchen assoziiert und stellen einen fragilen Moment in Gesellschaften dar. Mit Fokus auf Subsahara Afrika legt Oduro (2021) vier Faktoren dar, die dazu beitragen können, das Konfliktpotential in Wahlkontexten zu erhöhen, nämlich: Das „The Winner Takes it all““-Prinzip, schwache Wahlinstitutionen, mangelnde Möglichkeiten zur Registrierung von Wähler*innen und intransparente Wahlvorbereitungen (siehe auch Straus und Taylor 2017). 

Gerade durch die Pandemie werden die vier genannten Faktoren verstärkt und das Konfliktpotential von Wahlen dadurch erhöht. Dies war im vergangenen Jahr in Westafrika deutlich erkennbar. In Togo, ebenso wie in Ghana, Guinea, Burkina Faso oder Côte d’Ivoire wurde die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse von der Opposition infrage gestellt. Das führte entweder zu Gerichtsprozessen (z.B. Ghana), oder aber zu Protesten der Bevölkerung (z.B. Guinea). Die Kritik an den Wahlergebnissen und die Zweifel an der Rechtsmäßigkeit blieben in vielen Fällen im Raum stehen und sind gerade auf Social Media weiterhin präsent. Diese Spaltung der Gesellschaft und das Ungerechtigkeitsempfinden von politischen Prozessen können Ausgangspunkt für (weitere) Konflikte sein. Wahlen mit umstrittenem Ausgang haben folglich ein großes Konfliktpotential und können zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen. Gleichzeitig bringt die Pandemie neue Herausforderungen mit sich, die dazu beitragen können, dass die Aufmerksamkeit Wahlprozessen gegenüber und die kritische und aktive Begleitung dieser abnimmt. So drohen Konflikte um Wahlen von der internationalen Gemeinschaft vergessen zu werden. 

Im Folgenden möchte ich am Fall von Côte d’Ivoire näher betrachten und erläutern, wie die Pandemiebedingungen die Konfliktfaktoren des Wahlprozesses verstärkt haben. 

Umstrittene Wahlergebnisse in Côte d‘ Ivoire  

Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Côte d’Ivoire vom Oktober 2020 sind bis heute umstritten. Bereits vor der Wahl kam es, unter anderem auch, weil die Opposition zum Boykott aufgerufen hatte, zu gewaltsamen Protesten und Auseinandersetzungen mit Staatskräften. Grund für den Boykott war eine Änderung der Verfassung, womit sich Präsident Guillaume Ouattara eine dritte Amtszeit ermöglichte. Mit 94% der Stimmen wurde Ouattara nach der Wahl von der Wahlkommission offiziell zum neuen Präsidenten erklärt. Als Protest gegen dieses Ergebnis initiierten die Oppositionsparteien eine sogenannte "Übergangsregierung“, die schnelle Neuwahlen organisieren sollte. Daraufhin leitete der erneut gewählte Präsident die Verhaftung von führenden Oppositionspolitiker*innen ein, u.a. dem ehemaligen Präsidenten Henry Bédié. Während Präsident Ouattara die Opposition per Twitter zu einem „ehrlichen und vertrauensvollen Dialog“ einlud (Alassane [AOuattara_PRCI] 17.11.2020), kritisierte diese weiterhin die Wahlergebnisse

COVID – 19 als Konfliktverstärker 

Die Wahlen in Côte d’Ivoire fanden inmitten der Covid-19 Pandemie statt und wurden von den daraus resultierenden Rahmenbedingungen stark beeinflusst. Zum Zeitpunkt der Wahlen am 30. Oktober 2020 meldete das Land insgesamt laut WHO, 20.692 Fälle mit 124 Todesfällen. Bereits im April 2020 reagierte die Regierung mit dem Erlass eines Ausnahmezustands. U.a. wurden ein nächtlicher Lockdown und die Schließung von öffentlichen Einrichtungen und Plätzen beschlossen. Es folgte auch ein Verbot von Demonstrationen. Zwischenzeitlich wurde Abidjan, die Hauptstadt Côte d’Ivoires, zum Isolationsgebiet erklärt und Ein- und Ausreisen in die und aus der Stadt waren nur mit negativem Covid-19 Test möglich. Darüber hinaus nutzte die Regierung den Ausnahmezustand, um Änderungen am Wahlgesetz durchzuführen. Diese beinhalteten unter anderem eine Reform der Registrierung der Wähler*innen nach Wohnort (Decree no. 2020-351, 23 March 2020). Kritisiert wurde hierbei vor allem, dass der Norden Côte d’Ivoires bevorzugt werden könnte und die Tatsache, dass die Veränderungen ohne Zustimmung der Opposition und in zeitlicher Näher zu den Wahlen vorgenommen wurden. 

Diese durch die Pandemie entstandenen Umstände beeinflussten den Verlauf des Wahlprozesses und verstärkten Faktoren, die das Konfliktpotential von Wahlen potenziell erhöhen. Im Folgenden wird dies an den von Oduro (2021) erläuterten Punkten dargestellt: Das Prinzip „The Winner Takes it all“ bezieht sich darauf, dass Präsident*innen nach der Niederlage in einer Wahl oftmals nicht nur politischen Einfluss, sondern auch Geldmittel und Vermögen verlieren. Infolge der Pandemie hat sich auch die wirtschaftliche Lage in Côte d‘Ivoire verschlechtert. Das Bruttoinlandprodukts ist von 6.9% in 2019 auf 1,8% in 2020 gesunken. Dadurch kann sich der Wunsch von politischen Akteur*innen, an der Macht zu bleiben, verstärken (Oduro 2021, 168). 

Zweitens schwächt die Pandemiesituation die Wahlinstitutionen. In Côte d’Ivoire werden Wahlen von einer unabhängigen Wahlkommission begleitet. Lange Zeit stand diese jedoch wegen des Ausschlusses der Zivilgesellschaft in der Kritik. Erst nach einem Urteil des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2018 wurde die Zivilgesellschaft stärker in die Wahlkommission eingebunden. Die Debatte um die Rechtmäßigkeit der Kommission, die als parteiisch und politisiert wahrgenommen wird, ging jedoch weiter. Verschiedene Dialogplattformen zwischen Zivilgesellschaft und Politik nehmen daher eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung von Wahlen in Côte D‘Ivoire ein und dem Versuch das Vertrauen in ihre Durchführung zu bestärken. Durch die Covid-19 Pandemie wurden diese Dialogräume jedoch stark eingeschränkt. Im Ausnahmezustand waren größere Versammlungen verboten und so wurden Treffen zwischen Zivilgesellschaft und politischen Akteur*innen erschwert. Dies führte zum einen dazu, dass die Kontrollfunktion, die die Zivilgesellschaft der Politik gegenüber einnimmt, schlechter erfüllt werden konnte und zum anderen, dass das Vertrauen in die Dialogprozesse von Seiten der NGOs sank. 

Drittens sollte die Zeit vor der Wahl idealerweise durch einen fairen Wahlkampf dazu beitragen, dass ein Informationsfluss möglich wird und Strukturen und Vorgehensweisen der Parteien transparent gestaltet sind. Dies wird davon mitbestimmt, welche finanziellen Mittel den Parteien für den Wahlkampf zur Verfügung stehen und welchen Raum sie in der Öffentlichkeit erhalten (Oduro 2021). In der Pandemie konzentrierten sich viele zivile Kräfte und die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ausnahmesituation und damit verbundene Gesundheitsthemen. So war auch erst die Änderung des Wahlgesetzes im März 2020 möglich, die ohne Rücksprache mit der Zivilgesellschaft veranlasst wurde. Infolgedessen wuchs das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen weiter. Darüber hinaus hat Covid-19 die Versammlungsfreiheit im Vorfeld der Wahlen begrenzt. Gerade bei öffentlichen Versammlungen und Veranstaltungen werden in Wahlkampfzeiten Informationen weitergegeben und auch Oppositionspolitiker*innen vorgestellt. Die Oppositionspartei kritisierte, dass die Pandemiesituation instrumentalisiert worden sei, um ihre Veranstaltungen zu verbieten. 

Viertens können Fehler bei der Wähler*innenregistrierung in Kontexten, wie der Côte d’Ivoire, leicht zur Delegitimierung von Wahlergebnissen instrumentalisiert werden (Oduro 2021, 170). Präsidentschaftskandidaten, die die Wahl verloren haben, haben darauf wiederholt zurückgegriffen, wie auch Gbagbo in Côte dÌvoire 2010 (Nyong´o 2017, p. 213). Diese Gefahr wird dadurch erhöht, dass die Registrierungsprozesse unter Covid-19 nur eingeschränkt möglich waren. In Côte d’Ivoire fand die Registrierung bisher zumeist in Präsenz statt. Dies erfordert jedoch ein hohes Maß an interpersonaler Interaktion und somit eine potentielle Gefahr für die Ausbreitung der Infektionskrankheit. Die Registrierungsvorgänge wurden an die Pandemiesituation angepasst, was jedoch dazu führte, dass in Côte d’Ivoire letztlich nur 130,000 Wähler*innen anstelle der anvisierten sechs Millionen registriert wurden. 

Fünftens kam es durch Covid-19 zu beschränkten Reisefreiheiten, was sich wiederum auf die Wahlbeobachtung auswirkte. Es waren weniger Wahlbeobachter*innen vor Ort und so wurde vermehrt auf lokale Beobachter*innen zurückgegriffen. Gerade in Ländern wie der Côte d’Ivoire, in denen viele Menschen kein ausreichendes Vertrauen in die rechtmäßige Auszählung der Stimmen haben oder in denen es auch vor der Wahl immer wieder zu Unruhen kam, sind Wahlbeobachtungen essenziell, um ein Gefühl der Sicherheit herzustellen und im Nachhinein die Vorgänge transparent und objektiv bewerten zu können. 

Wahlprozesse: In der Pandemie vergessen 

Die diskutierten Faktoren zeigen, wie die Pandemiesituation den Zweifel an Wahlergebnissen intensivieren und dadurch das Konfliktpotential erhöhen kann. Zu Beginn erwähnte ich die zentrale Bedeutung von Wahlen für Friedensprozesse und die Stabilisierung der Sicherheit eines Landes auf der einen Seite und die Fragilität von Nationen im Momentum der Wahl auf der anderen Seite. Wie gezeigt, werden die bestehenden Risikofaktoren – „The Winner Takes it all“, schlechte Wahlinstitutionen, mangelhafte Registrierungsprozesse und fehlende Transparenz in Côte d‘Ivoire durch die Covid-19 Pandemie verstärkt. Dies kann mittelfristig auch Auswirkungen auf die regionale Stabilität haben. 

Krisen in der Region, wie bewaffnete islamistische Gruppierungen in der Sahel-Zone, stagnierende ökonomische Entwicklungen und gesellschaftliche Spannungen in den einzelnen Ländern können nur dann entschieden angegangen werden, wenn die Bevölkerung der eigenen Regierung vertraut und sie als legitim ansieht. Die Stabilität der Region Westafrikas ist auch für die internationale Gemeinschaft von großem Interesse. Immer wieder ist die UN in der Region aktiv geworden, um in gewaltsamen Konflikten zu intervenieren, wie z.B. UNOCI in der Côte d‘ Ivoire von 2004-2017. 

Durch Covid-19 besteht die Gefahr, dass die Unterstützung von Wahlprozessen von der globalen Agenda rutscht und in der internationalen Zusammenarbeit, wie auch in der Schwerpunktsetzung der Afrikanischen Union oder ECOWAS, nicht priorisiert werden. Entsprechend der hier dargestellten Bedeutung für Frieden und Konflikte und die verstärkte Prekarität der Situation, in der sie während der Pandemie stattfinden, sollten Wahlen mehr ins Licht gerückt werden und gerade in einer Zeit größerer Widerstände mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren. Die Ausgänge von Wahlen in westafrikanischen Ländern sind in deutschen Zeitungen beispielsweise oft nur eine Randnotiz, jedoch können ihre Auswirkungen groß sein und zur Stabilisierung oder zur Destabilisierung einer gesamten Region beitragen. 

Literaturverzeichnis 

Nyong´o, Peter Anyang (2017): Electoral Democracy and Election Coalition in Former Settler Colonies in Africa. Is Democracy on Trial or in Recerse Gear in Côte d`Ivoire and Zimbabwe. In: Eunice N. Sahle (Ed.): Democracy, Constitutionalism, and Politics in Africa. Historical Contexts, Developments, and Dilemmas. New York: Palgrave Macmillan US, pp.205–239. 

Oduro, Franklin (2021): The Changing Nature of Elections in Africa: Impact on Peacebuilding. In: Terence McNamee und Monde Muyangwa (Hg.): The State of Peacebuilding in Africa. Cham: Springer International Publishing, S. 163–180 

Taylor, Charles Fernandes; John C. W. Pevehouse, Straus, Scott (2017): Perils of Pluralism: Electoral Violence and Incumbency in Sub-Saharan Africa. In: Journal of Peace Research 54 (3), pp. 397–411 

Über die Autor*innen

Rebecca Petz befindet sich in den letzten Zügen ihres Masterstudiums der Peace and Conflict Studies in Magdeburg. Zuvor hat sie ein Studium der Sozialen Arbeit absolviert. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt auf der Region Westafrika, wo sie auch schon Arbeitserfahrung durch mehrere Praktika sammeln konnte. Thematisch liegen ihre Interessen bei Fragen von Good Governance, Transitional Justice und Peacebuilding. So schreibt sie auch ihre Masterarbeit über Transitional Justice in Côte d’Ivo