13. Forschungskolloquium
Das dreizehnte Forschungskolloquium des universitären Potentialbereichs Region und Stadt fand am Mittwoch, den 07. Dezember 2022 von 12:00 bis 13:00 Uhr, zum Leitthema Smart City I statt.
Das Forschungskolloquium fand wiederholt über Zoom statt.
Zunächst präsentierten Justine Dambacher und Falco Nogatz den Aufbau einer Mobilitätsplattform für individualisierbares Routing in Kaiserslautern. Justine Dambacher ist seit 2020 im herzlich digitalen Team für das Smart Cities Projekt Lotsensystem für Sehbehinderte und Blinde zuständig und ist in der Stadtverwaltung im Referat Stadtentwicklung angesiedelt. Falco Nogatz ist seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im SmartCity Living Lab des DFKI. Dort erforscht er innovative Ansätze und moderne Technologien für die Stadt der Zukunft. Seit mehr als zehn Jahren engagiert er sich ehrenamtlich im „Code for Germany“-Netzwerk, zuletzt in Ulm und Würzburg, wo er Informatik studierte und promovierte.
Am Aufbau der Mobilitätsplattform sind drei Bereiche beteiligt: Die Stadtverwaltung Kaiserslautern, Herzlich Digital und das DFKI mit dem Smart City Living Lab. Das DFKI nimmt hierbei eine beratende Rolle ein. Sie evaluieren und beraten in strategischen und technischen Fragen. Kaiserslautern ist eine Smart City Modell Kommune, in der insgesamt acht Projekte bearbeitet werden, eins dieser Projekte ist das Lotsensystem für blinde Menschen, welches im Verlauf der Präsentation weiter vorgestellt wurde. Das Lotsensystem ist eine der Applikationen, die auf die Multimodale Mobilitätsplattform zugreifen werden.
Im Rahmen des MPSC Projektes Lotsensystem für Blinde und Sehbehinderte stellte sich die Frage ob trotz Blindheit oder Sehbehinderung für diese Personengruppen eine selbstständige Mobilität möglich ist. Auf unbekannten Wegen benötigen rund 85% eine Begleitperson zur Bewältigung ihrer Mobilität. Auf bekannten Wegen circa 25%, bei Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) circa 40%, bei Nutzung der Bahn im Fernverkehr circa 55% und lediglich knapp 4% benötigen bei keiner der genannten Wege die Unterstützung einer Begleitperson. Selbstständige Mobilität ist daher bei der Mehrheit der Betroffenen nur auf bekannten oder aufwändig trainierten Strecken möglich. Es gibt eine steigende Tendenz bei der Nutzung von GPS-Navigationsmitteln wie zum Beispiel auf Smartphones. Obwohl 40% der Betroffenen über 80 Jahre alt sind, nutzen über 31% bereits elektronische Navigationsmittel und profitieren von einem Lotsensystem.
Das Lotsensystem für Sehbehinderte und Blinde ist ein Teilprojekt der Förderung Modellprojekt Smart Cities des BMWSB. Das Projekt verfolgt primär das Projektziel:
Erhöhung der Mobilität und Teilhabe am Stadtleben für Blinde und Sehbehinderte
- Entwicklung & praktische Erprobung eines durchgängigen personalisierten Zielführungssystems, welches von blinden und sehbehinderten Menschen in bekannten und unbekannten Orten/Städten genutzt werden kann
- Das System soll multi-modal, d.h. zu Fuß Outdoor als auch Indoor (öffentliche Gebäude) und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, einsetzbar sein
- Ermittlung der besten/sichersten Route zu Fuß bzw. Verbindung mit ÖV
- Hohe Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Ortung und Zielführung auf Fußwegen sowohl außerhalb als auch innerhalb von Gebäuden (z.B. Bahnhöfen) und in öffentlichen Verkehrsmitteln als auch eine hohe Genauigkeit der statischen und dynamischen Datengrundlage
- Sekundär soll die Teilhabe und Selbstständigkeit durch zielgruppengerechte integrierte Zusatzfunktionen (z.B. Objekterkennung) unterstützt werden
Es fand eine umfassende Evaluation bestehender Systeme und eine Zielgruppenanalyse statt, welche zu dem Ergebnis kam, dass exakte Umgebungsdaten benötigt werden, damit eine entsprechende Infrastruktur über diese Daten zugänglich ist. Für zielgruppenorientiertes Routing werden zudem Geodaten, wie beispielsweise barrierefreie Lichtsignalanlagen und abgesenkte Bordsteinkanten benötigt. Daraus folgt die Erkenntnis, dass umfangreiche und vielfältige Datentöpfe eine Daten- und Mobilitätsplattform erfordern.
Die Multimodale Mobilitätsplattform soll einen Mehrwert für alle Nutzer*innen bieten. So besteht bei der pauschalen Routenplanung das Problem, dass die individuellen Bedürfnisse der Nutzer*innen nicht berücksichtigt werden. So meiden beispielsweise blinde Menschen Routen mit lauten Baustellen, da sie sonst in ihrer Orientierung gestört werden. Der Mehrwert für Alle ergibt sich aus dem Ziel:
„Ziel des Projekts ist die Erhöhung der Mobilität und Teilhabe am Stadtleben durch stark individualisierbare Routenvorschläge. Es soll ein multimodales Zielführungssystem aufgesetzt werden, welches einen Mehrwert bietet für Menschen mit körperlichen Einschränkungen wie auch für alle Bürgerinnen und Bürger, die verschiedene Anforderungen und Präferenzen an die ihnen vorgeschlagenen Routen stellen.“
Erreicht werden soll das durch eine Multimodale Mobilitätsplattform mit Digitransit. Digitransit wurde in Helsinki und in den USA entwickelt und wird kontinuierlich verstetigt und weiterentwickelt. Die voraussichtliche Projektlaufzeit ist von 01.2023 bis 12.2024 mit einem Projektvolumen von 405.000 Euro.
In der Diskussion wurde die Frage gestellt, ob für die Mobilitätsplattform ausschließlich Bestandsdaten verwendet werden oder auch im Rahmen des Projektes selbst Daten erhoben werden. Es sind bereits viele Daten vorhanden, beispielsweise Daten von anderen Smart City Projekten, welche in die multimodale Mobilitätsplattform integriert werden können.
Anschließend präsentierte Falco Nogatz die Digitale Selbstbefähigung für Verwaltung und Zivilgesellschaft – Das Open Knowledge Lab Kaiserslautern. Code for Kaiserslautern erhebt und nutzt offene Daten und verfolgt mehr Transparenz zum Nutzen aller. Zu Beginn wurden zum besseren Verständnis offene Daten definiert:
„Offene Daten sind Daten, die von jeder und jedem frei verwendet, nachgenutzt und verbreitet werden können.“
Code for Kaiserslautern gehört zum deutschlandweiten Netzwerk Code for Germany. Das Netzwerk ist von Menschen, die sich praktisch mit offenen Daten und Civic Tech beschäftigen. Die Idee hinter Code for Germany:
„Gemeinsam offene Daten, Bürgerbeteiligung und staatliche Transparenz vorantreiben und nützliche digitale Werkzeuge entwickeln.“
Es gibt insgesamt über 30 Standorte in ganz Deutschland, bei denen sich lokale Gruppen, die sogenannten Open Knowledge Labs (OK Labs) gebildet haben. Die OK Labs treffen sich regelmäßig, um an Anwendungen und Visualisierungen für ihre Städte zu arbeiten und vernetzen sich deutschlandweit, um gemeinsam Projekte zu verwirklichen. In den OK Labs arbeiten Vertreter*innen der Bürgerschaft, Politik und Verwaltung gemeinsam an Projekten. Die OK Labs stellen ihre Projekte auf der Website codefor.de (Link einfügen) vor. Die Projekte sind vielfältig, so können sich die Nutzer*innen anzeigen lassen, wann und wo in ihrer Stadt Markt ist, oder wo aktuell Parkplätze in der Stadt frei sind. In Zukunft plant Code for Kaiserslautern ein Haltestellen Netz mit Überblick über barrierefreie ÖPNV-Nutzung und eine Anwendung, in der jeder Baum der Stadt und dessen Wasserbedarf angezeigt wird. Dadurch können insbesondere im Sommer Baumgießpatenschaften übernommen werden.
Code for Kaiserslautern trifft sich alle zwei Wochen um 20:00 Uhr bei Chaos inKL. e.V. (Rudolf-Breitscheid-Straße 65 67655 Kaiserslautern). Das letzte Treffen war am 8. Dezember 2022. Über den Twitter Account informiert Code for Kaiserslautern über die geplanten Treffen.
In der Diskussion wurde zuerst nach der Rolle des Chaos Computer Clubs bei Smart City Projekten gefragt. Die Rolle kann unterschiedlich ausfallen. In Kaiserslautern ist der Chaos Computer Club Gastgeber für die Treffen von Code for Kaiserslautern.
Anschließend wurde eine Frage zum Living Lab und der verwendeten Methode gestellt. Das Living Lab wurde bei einem Workshop zum Lotsensystem mit Blinden durchgeführt. Es wurden aufgrund der Corona Pandemie online fünf Workshops mit Blinden aus ganz Deutschland durchgeführt. In diesen Workshops wurde die Disney Methode angewandt: Im ersten Schritt wurden User Personas definiert (fünf Blinde und zwei Sehbehinderte Personen) und im zweiten Schritt die jeweiligen Anforderungen analysiert und definiert. Welche Wünsche haben Sehbehinderte und Blinde und wie können sie sich mobil bewegen? Was ist realistisch? Die Anforderungen sollten innovativ, aber auch umsetzbar sein.
Abschließend stellte der Präsentator Falco Nogatz die Frage in die Runde, auf welchen Plattformen oder Medien die wertvollen Erkenntnisse veröffentlicht werden können. Genannt wurden mehrere Foren, wie zum Beispiel die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) und die Zeitschrift „Planerin“ der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL).
Ausblick
Das 14. Forschungskolloquium findet am Mittwoch, den 18.01.2023 von 12:00 bis 13:00 Uhr, zum Leitthema Smart City II statt. Es werden zwei Projekte des Fraunhofer Instituts (IESE) zu einer Plattform für Smarte Regionen und einem Smart City Projekt vorgestellt.