8. Forschungskolloquium

Das achte Forschungskolloquium des universitären Potentialbereichs Region und Stadt fand am Mittwoch, den 23. Juni 2021, zum Leitthema „Mobilitätswende: Fahrrad“ statt.

Aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen fand das Forschungskolloquium wiederholt in einem digitalen Rahmen über Zoom statt.

Plakat zum Kolloquium


Der erste Vortrag wurde von Anja Müller und Lars Uhland vom Institut für Mobilität und Verkehr (imove) sowie Lutz Eichholz vom Kooperationslehrstuhl Stadtplanung gehalten. Präsentiert wurde das noch junge Projekt „Verkehrskultur und Verkehrsmarketing“, welches im Rahmen des BMVI-Forschungsprogramms Stadtverkehr als Forschungsauftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) finanziert wird und eine Laufzeit von Februar 2021 bis Januar 2023 hat. Im Fokus des Vortrags stand die Förderung des Radverkehrs im urbanen Raum mit Hinblick auf das Etablieren einer Fahrradkultur sowie verschiedene Radverkehrsmaßnahmen an nationalen und internationalen Beispielen. Zuerst wurde die allgemeine Veränderung des Mobilitätsverhaltens, welche anhand des Modal Splits (2002-2017) und eines stetig steigenden Absatzes von Fahrrädern veranschaulicht. Weiterhin wurde der Begriff der „Fahrradkultur“ definiert und verschiedene internationale und nationale Best-Practice-Beispiele präsentiert. In diesem Zusammenhang wurden diverse nationale Führungsformen dargelegt, welche aufgrund der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) und der Empfehlung für Radverkehrsanlagen (ERA) aktuell angewendet werden. Neben den etablierten wurden auch nationale und internationale innovativen Führungsformen vorgestellt und positive sowie negative Aspekte kurz erörtert. Ziel des bis Januar 2023 laufenden Projekts ist die Erstellung eines Leitfadens, welcher in der stadtplanerischen und politischen Praxis Verwendung finden soll. In dem Leitfaden werden richtlinientaugliche Gestaltungsvorschläge definiert, um eine konfliktfreie Interaktion des zukünftigen Verkehrs im begrenzten urbanen Raum zu ermöglichen.

In der anschließenden Diskussion thematisierten die anwesenden WissenschaftlerInnen am Beispiel Südwestdeutschlands über die Wichtigkeit, ein lückenloses und konsequentes Fahrradnetz aufzubauen, wie es aktuell bei den Best-Practice-Beispielen Niederlande und Dänemark vorzufinden ist. In diesem Zusammenhang wurde betont, dass zwar Fahrradwege in Südwestdeutschland vorhanden sind, diese jedoch bislang unzureichend vernetzt sind. Ferner wurde die Bedeutung von verschiedenen Nutzergruppen von Radfahrenden auf den zukünftigen Verkehr angesprochen und diskutiert, welchen Einfluss E-Bikes auf diesen haben werden. Anschließend wurde ein Vergleich von Fahrradkulturen und Planungskulturen in die Diskussion eingebracht, woraus sich ergab, dass der Begriff der Fahrradkultur einen interdisziplinären Ansatz bietet und Gemeinsamkeiten mit Planungskulturen aufweist.


Anja Müller und Lutz Eichholz präsentierten im zweiten Vortrag das Forschungsprojekt „RAD-AUTO-NOM – Konzepte zur Integration des Radverkehrs in zukünftige urbane Verkehrsstrukturen mit autonomen Fahrzeugen“. Das durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderte Kooperationsprojekt zwischen dem Institut für Mobilität und Verkehr, dem Lehrstuhl Stadtplanung sowie dem Fachgebiet für Elektromobilität hat eine Laufzeit von Juni 2019 bis Mai 2022. Der Fokus des Vortrages lag auf der zukünftigen Veränderung des Miteinanders verschiedener Verkehrsmittel aufgrund von autonomen Fahrzeugen. Autonome Fahrzeuge werden zukünftig einen größeren Anteil am Gesamtverkehr einnehmen und mit dieser Entwicklung vielfältige Wirkungen für andere Verkehrsteilnehmer auslösen. Insgesamt sind für den Stadtverkehr und urbane Räume vier generelle Trends zu erwarten: (1) Mobilitätswende, (2) Wandel durch Covid-19, (3) Renaissance der gemischten lebendigen Stadt und (4) technische Aufrüstung. Diese Trends werden Einfluss auf den Radverkehr nehmen und bringen dementsprechend neue Herausforderungen mit. Die angestrebten Projektergebnisse sind (1) eine Online-Umfrage zum Stress- und Sicherheitsempfinden von Radfahrenden, (2) Gestaltungsansätze zur Vermeidung von Konflikten, (3) eine Entwicklung von Szenarien hinsichtlich der Interaktionen zwischen Kfz- und Radfahrenden, (4) ein Leitfaden für die Verkehrs- und Stadtplanung, (5) ein Algorithmus zum Aufspüren und Vorhersagen der Fahrmuster von Radfahrenden und (6) Technische Systeme in autonomen Fahrzeugen zur Erkennung von Radfahrenden. Im Zuge des Vortrags wurde die Auswertung der Online-Umfrage vorgestellt und erste Schlüsse daraus gezogen. Weiterhin wurde skizziert, welche Konflikte zwischen Radfahrenden und autonom-fahrenden Fahrzeugen bestehen und wie diese gelöst werden können. Ferner wurden verschiedenen Positiv- und Negativbeispiele in Bezug auf Operational Design Domain (ODD) dargestellt und die Auswirkungen des autonomen und vernetzten Fahrens (avF) auf die Anzahl des motorisierten Individualverkehr (MIV) erläutert. Abschließend wurden drei verschiedene Zukunftsszenarien vorgestellt und wichtige Einflüsse auf diese erläutert.

In der anschließenden angeregten Diskussion reflektierten die anwesenden WissenschaftlerInnen über den Aspekt des Sicherheitsgefühls von Radfahrenden. Dabei wurde deutlich, dass eine Vorhersage des Verhaltens eben jener für andere und insbesondere den autonomen Verkehr sehr komplex ist. Weiterhin wurde diskutiert, ob sich das Stadtbild grundlegend ändern muss, um einen autonomen Verkehr zu ermöglichen und ob ein steigender Anteil autonomer Fahrzeuge Einfluss auf die Fahrradkultur haben wird. Ferner wurde der Aspekt verschiedener Pilotprojekte diskutiert, welche häufig in außereuropäischen Ländern betrachtet werden und ob diese auf europäische Modelle angewendet werden können. Anschließend wurde über die Frage diskutiert, nach welchem Algorithmus ein autonomes Fahrzeug bei Gefahrensituationen entscheiden soll und wie Recht und Ethik diesen Algorithmus beeinflussen werden.