Juli 2014: MdB von ERMA überzeugt
Seit fünf Legislaturperioden vertritt Anita Schäfer die Südwestpfalz im Deutschen Bundestag. Auf Einladung des Themencluster Nachhaltigkeit am Lehrstuhl für Virtuelle Produktentwicklung (VPE) besuchte die erfahrene, hochrangige Vertreterin aus der Bundespolitik am 23. Juli 2014 die RPTU. Neben der Vorstellung von Lehrstuhl, Forschung und Lehre zeigte sich die Berufspolitikerin hochinteressiert an der Fragestellung zum Verbundprojekt ERMA.
Warum ständig das Falsche optimieren, anstatt gleich das Richtige zu tun? Wie die Produkte von morgen zu den Rohstoffen von übermorgen werden können beschreibt Michael Braungart spannend und anschaulich in seinem Werk »cradle to cradle«. Braungarts einfaches Credo lautet dabei, die Intelligenz endlich an den Anfang der Produktentwicklung zu stellen. Es geht auch darum, die gesamte Lebensdauer eines Produktes zu gestalten. Demnach gehört die Entsorgung zur Entwicklungs- und Design-Aufgabe. Die Tatsache, dass ein Material recycelt wird, macht es nicht automatisch umweltfreundlich, vor allem dann nicht, wenn das Recycling bei der Herstellung nicht ausdrücklich mit eingeplant wird. Eine wichtige Voraussetzung ist die Kenntnis über alle Inhaltstoffe der Produkte, zugrunde liegende technische Prozesse und das intelligente Vordenken zukunftsfähiger Produktsysteme über ihren gesamten Lebensweg.
Diese Herausforderungen waren im Jahr 2011 der Initialfunke für das Verbundforschungsprojekt ERMA der Forschergruppe Produktentwicklung am Zentrum für Nutzfahrzeugtechnologie der RPTU. Vier Lehrstühle des Fachbereichs Maschinenbau und Verfahrenstechnik arbeiteten seither zusammen, um am Beispiel eines Mobilbaggers der Firma Volvo Construction Equipment (Standort: Konz, Rheinland-Pfalz) neue Konzepte und Methoden zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz zu entwickeln. Gefördert wurde das Forschungsprojekt durch die Stiftung Rheinland-Pfalz für Innovation.
Interessiert verfolgte die Bundestagsabgeordnete in den vergangen Jahren die Forschungsaktivitäten der Lauterer Wissenschaftler. Sie freute sich besonders, nun vor Ort neueste Trends in dem Forschungskontext aus erster Hand zu erfahren.
Das Ziel des Verbundprojektes war die Entwicklung innovativer Konzepte und Technologien für zukünftige mobile Arbeitsmaschinen. Dabei zählte jedoch nicht die große Idee des Einzelnen, sondern praxisorientiertes, akribisches Arbeiten an zahlreichen Details, wie in den Bereichen Antrieb, Energiemanagement, Reibung und die ganzheitliche Betrachtung durch ein Life Cycle Management. Neben der Optimierung mechanisch-hydraulischer Komponenten wurden neue, hocheffiziente mechatronische Konzepte entwickelt. Dabei wurde die Gesamtenergieeffizienz der Neuentwicklungen im Rahmen einer prospektiven Analyse untersucht. Das bedeutet, dass beispielsweise nicht nur die Einsparung von Energie und Ressourcen beginnend bei der Rohstofferzeugung, über die Produktion bis zur Entsorgung analysiert wurden, sondern auch das kraftstoffintensive Arbeiten in spezifischen Betriebsszenarien, sowie die Wahl des Energieträgers selbst. Die Bewertung liefert Ergebnisse auf Basis eines intellektuellen Produktes, also dem digitalen Modell in der frühen Entwicklungsphase. Es werden keine Ressourcen verschwendet, sondern die technischen Kreisläufe der zukünftigen Lösung vorausschauend bewertet. Am Ende des Projekts stehen nun praxisnahe, nach ihrer Leistungsfähigkeit beurteilte Konzepte und Methoden, die bei der Optimierung eines zukunftsfähigen Produktes Verwendung finden können. Zum Erreichen der gesteckten Ziele waren ein umfangreiches Arbeitsprogramm und unterschiedliches Entwicklungs-Know-how notwendig, welches nicht durch einen Lehrstuhl allein bereitgestellt werden konnte.
„Der Zusammenschluss der beteiligten Lehrstühle bündelt Kompetenzen und schafft Synergien“, berichtet das VPE Projektteam. Die Unterstützung durch einen erfahrenen Industriepartner war außerdem die ideale Voraussetzung und bildete eine solide Grundlage für den Erfolg eines solch komplexen Projekts. In Versuchen unter realen Bedingungen vor Ort beim Hersteller wurden Energie- und Ressourcenintensität, gerade vor dem Hintergrund der hohen Nutzungsvariabilität des Versuchsträgers, ermittelt. Dabei sind als typische Betriebsszenarien der mobilen Arbeitsmaschine die Geländebearbeitung, das Leistungsbaggern, Graben und Verladen, die Umsetzung einer Last und der Fahrbetrieb als Einsatzspektrum analysiert und innerhalb des Life Cycle Modells valide abgebildet worden.
„Wissenstransfer und Synergien als wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit und nachhaltigen Entwicklung unseres Bundeslandes Rheinland-Pfalz . . . exzellent“, lobte Anita Schäfer MdB.
„Die enge Kooperation mit dem weltweit tätigen Hersteller sichert die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis“, zitiert der VPE-Projektbearbeiter aus einem Brief von Dr. Barbara Jörg (Geschäftsführerin am Commercial Vehicle Cluster Südwest) an ERMA. „Das Projekt ist repräsentativ für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in Clustern und Netzwerken, insbesondere da der Transfer der Forschungsergebnisse in die Lehre und Weiterbildung stattfindet“, so in ihrem Brief Dr. Jörg weiter. Im Rahmen des Projektes gehen die involvierten Lehrstühle nämlich mit einer innovativen Idee einen neuen Weg und fördern auch über das Projekt hinaus die enge Kopplung zwischen Forschung und Lehre. Die Projektpartner bieten an der Universität ein Programm für studentische Arbeiten an. Auch damit wird die Zukunftsfähigkeit und nachhaltige Entwicklung der Region gestärkt. Die Studierenden arbeiteten im Projekt aktiv mit.
„ERMA InnoStud - Innovativ, Interdisziplinär und Praxisnah!“ Die Bundestagsabgeordnete begrüßt ausdrücklich die enge Kopplung zwischen Forschung und Lehre.
In wechselnden Formaten: ob als Workshop, World-Café, online als Webinar bzw. Videokonferenz, in Exkursion oder als Teilnehmer von Expertengesprächen; ERMA-InnoStud ist die Plattform und liefert ein breites (Bildungs-)angebot, das den Studierenden einen Rahmen vorgibt, der gerade im fortgeschrittenen Studium flexibel erweitert und ergänzt werden kann. In der wissenschaftlichen Abschlussarbeit wird aktiv die Eigenverantwortung jedes einzelnen Teilnehmers eingefordert. Es gilt die im Studium erlernten Vorkenntnisse in einem technischen Projekt praxisnah, auch in enger Abstimmung mit verknüpften Arbeiten - somit im Team - umzusetzen. Hierfür muss jeder Einzelne von sich aus die zu bearbeitenden Teilprobleme erkennen, ihre Wichtigkeit oder Vernachlässigbarkeit priorisieren und die Methodik des Lösens technischer Probleme anwenden. Dieser innovative Charakter des Forums und die Heterogenität - mit einer bewussten Fluktuation an Studierenden und Einzelthemen - führen zu einer kreativen Dynamik in der Gruppe, die fortwährend neue Impulse für die Forschung generiert.
Konkret: Die Studierenden erhalten in ihren individuell gewählten Vertiefungs- und Abschlussarbeiten einen intensiven Zugang zur Forschungsthematik und leisteten damit einen wertvollen Beitrag für das Projekt. Typische Arbeiten beschäftigten sich mit dem interdisziplinären Vorgehen bei der Abschätzung von sogenannten Verlustleistungen: Verluste, die nach Gewichtung der Szenarien und in unterschiedlicher Ausprägung nach Einzelkomponenten entstehen. Wo Verluste auftreten und wie sie sich im Kontext des Gesamtsystems auswirken, kann in einem modular aufgebauten Simulationsmodell errechnet werden. Arbeiten zu technologisch optimierten Teilsystemen wurden in das Modell implementiert und mit der Ausgangslösung vergleichen. Das technische Verständnis des Versuchsträgers ist hier grundlegend. Auf diese Weise wird ein hoher Praxisbezug der Lehre erreicht und sogar noch deutlich gesteigert. Die angehenden Ingenieure werden damit nach dem neuesten Stand der Erkenntnisse qualifiziert und sie erwerben damit auch erforderliche Kompetenzen für die technologische Weiterentwicklungen der Zukunft. Eine große Anzahl an Studierenden nutzt als wertvolle außer-curriculare Ausbildung außerdem die Möglichkeit, konkrete Projektarbeiten im Rahmen von Hiwi-Tätigkeiten weiter zu vertiefen. Das mit »ERMA-InnoStud« betitelte Programm stellt ein echtes Alleinstellungsmerkmal dar. „Eine verbesserte Lehre wird auch erreicht, indem die Ergebnisse aus dem Projekt direkt in Lehrveranstaltungen der Studiengänge Maschinenbau und des internationalen Masterstudiengangs Commercial Vehicle Technology einfließen“, führen die Projektverantwortlichen zu dem am Lehrstuhl VPE erdachten ERMA-InnoStud weiter aus. Sie sind überzeugt: Durch die gezielte Vernetzung von Studium und Forschung fördert ERMA-InnoStud wissenschaftliches, interdisziplinäres Arbeiten von Studierenden und macht das Ingenieurstudium an der RPTU einmal mehr attraktiv.
Das Verbundforschungsprojekt spiegelt besonders gut die innovative Entwicklungskompetenz der Hochschule im Bereich Nutzfahrzeuge wieder. Mit dem Projekt wird nicht nur bundesweit die Nutzfahrzeugkompetenz des Standortes Pfalz in Forschung, Entwicklung und Lehre unterstrichen, sondern auch die Fähigkeit der Wissenschaft, gemeinsam mit der Industrie Antworten auf die weltweite Herausforderung der Nachhaltigkeit zu finden.
Mit dem zwischen 2011 und 2014 bearbeiteten Projekt ERMA stehen die Forscher noch ganz zu Beginn des Eingangs von Braungart propagierten Paradigmenwechsels hin zu intelligenteren Produktsystemen. Der Weg ist der Richtige und wird ab Sommer 2014 bis Ende 2016 in dem vom Zentrum für Nutzfahrzeugtechnologie geförderten Verbundprojekt „Ökoeffiziente mobile Arbeitsmaschinen“ weiter erforscht. Braungart selbst schlägt als Leitprinzip und Formel für ein nachhaltiges Wirtschaften innerhalb der nächsten industriellen Revolution vor, mutig bei Innovationen voranzugehen, Lernkurven zu verstehen und anzuwenden sowie bewusst Verantwortung zu übernehmen und nicht auf eine nachfolgende Generation abzuschieben. An Braungarts spannender Geschichte interessiert sich auch Steven Spielberg. Der US-Regisseur hat sich schon früh die Filmrechte gesichert und begleitet Braungart nun häufiger mit der Kamera bei seinen Aktivitäten.