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Humboldt-Stipendiatin Ana Paz forscht über Revolutionär der portugiesischen Musikausbildung
Was verbindet den portugiesischen Komponisten, Pianisten und Vordenker José Vianna da Motta (1886 – 1948) mit der RPTU in Landau, konkret mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften? Und warum kommt die Professorin Ana Paz von der Universität Lissabon an die RPTU in Landau, um sein Leben hier im Rahmen einer halbjährigen Gastprofessur weiter zu erforschen? Der Grund liegt in seiner Liebe zu Deutschland - vor allem zu Berlin, wo er viele Jahre lebte und arbeitete. Als Meister-Klavierschüler, unter anderem von Franz Liszt, nahm er aus dieser Zeit viele Eindrücke und Ideen mit, die er später als Leiter des Konservatoriums Lissabon in der Lehre umsetzte. Mit seiner revolutionären Herangehensweise veränderte er die musikalische Ausbildung junger Menschen in Portugal maßgeblich. Die Forscherin Paz will verstehen, wie ihn seine Stationen in Deutschland beeinflussten und prägten und machte das Leben und Wirken des deutsch-portugiesischen Stars seiner Zeit zum Thema ihrer Fallstudie.
Ana Paz ist Professorin im Bereich der Lehrerausbildung für den Bereich der kulturellen Bildung. In Portugal fallen darunter unter anderem die Ausbildung von Kunst- und Musiklehrenden an staatlichen Einrichtungen genauso wie an privaten und auch die Ausbildung von Museumsmitarbeitenden. Eigentlich arbeitet und forscht sie in diesem Bereich an der Universität in Lissabon. Für ein halbes Jahr hat sie die portugiesische Großstadt gegen das südpfälzische Landau getauscht. In ihrem kleinen gemütlichen Büro, an dessen Wänden Bücher über die großen Denker der Geschichte die großen Regale füllen, steht Ana Paz vor einem Whiteboard. Wie in einem amerikanischen Krimi hängen an der Tafel Portraits unterschiedlicher Menschen, Notizzettel mit kurzen Informationen, ein Stadtplan von Landau und Bilder ehrwürdiger Kirchen. Die einzelnen Hinweise sind feinsäuberlich durch ein Fadennetz verbunden. „Jeder dieser Hinweise zeigt eine Verbindung zu da Motta“, erklärt Ana Paz und lächelt dabei. Ihre Augen blitzen vor Begeisterung, als sie beginnt von da Motta zu erzählen.
Sein Leben ist ihr Forschungsgegenstand
Von dem berühmten Pianisten und Komponisten, der auf der kleinen Insel São Tomé mitten im Atlantik kurz vor der afrikanischen Küste geborenen wurde, spricht sie, als sei er ein guter alter Freund. „Von sich selbst sagte José Vianna da Motta, er sei halb deutsch, zumindest fühle er sich so. In Berlin kam er als 14-Jähriger an.“ Zu dieser Zeit war er schon ein herausragend guter Pianist, der unter dem Schutz und mit der Unterstützung von Ferdinand II. am Konservatorium in Lissabon ausgebildet worden war. Prinz Ferdinand von Coburg-Sachsen (1816 – 1885) war der zweite Ehemann der portugiesischen Königin und großer Kunstliebhaber. Deswegen trägt er in Portugal auch den liebevollen Titel „Künstlerkönig“.
In Berlin wurde er von berühmten Pianisten und Komponisten weitergebildet. Von dort startete er etliche Konzertreisen und machte für Meisterklassen Station in verschiedenen Städten Deutschlands, unter anderem in Koblenz, Frankfurt (Main) und Bingen. „Für mich ist das Eintauchen in seine Lebensstationen hier wichtig, um verstehen zu können, wie sie seine spätere Tätigkeit am Konservatorium Lissabon und sein Verständnis von Musikunterricht geprägt und verändert haben.“
Hat sich da Motta auch in Landau aufgehalten? „Nein“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und lächelt, „aber ich wollte gerne unter Professor Angelo Van Gorp forschen.“ Der Prodekan am Institut für Erziehungswissenschaften an der RPTU Landau ist zugleich Leiter der internationalen HEC (History of Educational Ecologies) Forschungsgruppe. Dahinter steckt eine europäische Gruppe Wissenschaftler, die daran arbeiten, Bildung und Erziehung in historische Kontexte zu setzen. „In der Forschung zur Geschichte der Bildungsökologien spielen die Räume, in denen Bildung passiert und die Verbindungen zu anderen Domänen und Lebensbereichen, sowohl zu Menschen als auch zu Materialien eine Rolle“, erklärt Paz. Die europäische Forschungsgruppe nimmt dabei in den Fokus, was Europa im Bereich Lehre, Erziehung und Bildung trennt und was vereint.
Da ist ein Gelehrter, hoch gebildeter Pianist, Komponist und späterer Klavierpädagoge, der sich gleich in zwei europäischen Ländern zu Hause fühlt, ein sehr interessanter Charakter. „Das allein macht ihn noch gar nicht so spannend. Das Besondere ist die Quellenlage, die so gut ist, dass wir eine sehr genaue Beschreibung seines Lebens und seiner Arbeit haben. Sein intensiver Briefwechsel mit Ferruccio Busoni, einem italienischen Pianisten, blieb der Nachwelt erhalten. Genauso seine Gedanken und Erinnerungen an die Meisterklasse von Hans von Bülow, an der er teilgenommen hatte.“ Dadurch ist es der Forscherin möglich, tief in sein Leben einzutauchen und die Kontexte seiner eigenen Bildung und seiner späteren Lehrtätigkeit zu verstehen.
Humboldt-Stipendium hält Rücken frei
„Für mich ist es ein großes Glück, hier in Ruhe forschen zu können. Auch wenn da Motta nicht in Landau war, kann ich viele seiner Stationen von hier gut erreichen“, erzählt sie. „Das Glück habe ich der Humboldt-Stiftung zu verdanken. Durch das Stipendium kann ich mich voll auf meine Forschungsarbeit konzentrieren“, freut sie sich.
Das Forschen zu Hause in Portugal sei zeitlich schwer umzusetzen. „An der Universität in Lissabon habe ich als Professorin zwei Aufgabenbereiche. Das Forschen und die Lehre. Für die Lehre verwende ich rund zwei Drittel meiner Arbeitszeit. Ich unterrichte, betreue Studierende, bereite die Seminare vor und nach und gebe Fachstudienberatung. Für meine eigene Forschung bleibt da kaum Zeit übrig.“ Umso glücklicher ist sie, sich in Landau voll und ganz auf ihre Feldforschung zu da Mottas Leben in Deutschland konzentrieren zu können und dies zudem bei einem der führenden Wissenschaftler im Bereich der Historischen Bildungsforschung, bei Angelo Van Gorp. Der Professor ist Scout im Henriette Herz-Scouting-Programm der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. „Mitglied in diesem Programm zu sein, ist eine Auszeichnung für mich und die RPTU. Sie ergeht ausschließlich an in Deutschland tätige Professorinnen und Professoren, die ein forschungsstarkes, internationales und innovatives Profil haben. Als Mitglied ist es mir außerdem möglich, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für ein Humboldt-Forschungsstipendium vorzuschlagen. So konnte ich Ana Paz die Möglichkeit schaffen, hier ihre Forschungsarbeit, die von großer Bedeutung für das HEC-Projekt ist, fortzusetzen“, erklärt Van Gorp.
Mit dem Finger fährt Ana Paz nachdenklich über die am Whiteboard angepinnten Lebensstationen, Notizen und Fotografien. „Ein wenig tragisch ist für mich und es bleibt ein sonderbares Gefühl, dass viele Stationen, von denen da Motta in seinen Briefen erzählt, schlicht nicht mehr da sind, weil sie im Krieg zerstört wurden. Das kenne ich aus Portugal nicht. Und obwohl ich das natürlich wusste, fühlt es sich sonderbar an, wenn man auf einmal vor einem Nichts steht, statt vor einem Konzerthaus, einer Musikschule oder Ähnlichem.“ So wie auf dem Whiteboard Fäden die Dinge verbinden, sucht Paz in ihrer Fallstudie nach den Verbindungen zwischen da Motta und den historischen Zeitgenossen, wie von Bülow, Franz Liszt oder Walter Benjamin, indem sie dieselben Wege geht. Das gewonnene Wissen nutzt sie nachzuvollziehen, wie er sich zu einem revolutionären Pädagogen entwickeln konnte.
„Wenn ich nach diesem halben Jahr zurück nach Lissabon gehe, werde ich eine Menge neue Erkenntnisse im Gepäck, neue Verbindungen entdeckt und das alles auch schon zu Papier gebracht haben“, schwärmt die sympathische Wissenschaftlerin. „Dafür ist Landau der perfekte Ort: Es ist schön und ruhig. Der ideale Ort, um ein Buch zu schreiben.“
Text: Miriam Tsolakidis