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Vortrag „Gutes Tun und gutes Lernen – Förderung von Campus Community Partnerships an der Universität Duisburg-Essen mit Einordnung in deutsche und internationale Kontexte“ in der hybriden Vortragsreihe „CampusTalk” von Dipl. Päd. Jörg Miller

Wer studiert denn heute noch in Regelstudienzeit?

Unsere Campus-Reporterin ist aktuell in ihrem achten Hochschulsemester eingeschrieben. Für die Frage, wann sie „denn nun endlich fertig“ sei, hatte sie lange nur ein genervtes Kopfschütteln übrig. Nun, da sich ihre Zeit im Bachelorstudiengang Sozial- und Kommunikationswissenschaften dem Ende neigt, blickt sie auf vier Jahre zurück und nimmt besonders das letzte, anscheinend überflüssige genauer unter die Lupe. Waren das wirklich zwei verschwendete Semester?

Wenn ich in meinem Freundeskreis über die Regelstudienzeit spreche, höre ich immer wieder die selben Sätze. „Das geht doch eh nicht“, sagen viele. Manche meinen damit, dass Seminare teilweise auf die gleichen Zeitpunkte fallen, sodass man sich zwischen zwei Modulen entscheiden muss. Andere wollen mit diesem Satz ausdrücken, dass der Workload im Semester und in den Prüfungsphasen unrealistisch hoch angesetzt ist. Einige Studis sagen frei heraus, dass sie ihr „Studentenleben noch genießen wollen“ bevor für sie „der Ernst des Lebens“ beginnt. Viele Studierende überschreiten daher die Regelstudienzeit von sechs Semestern. Offiziell sollten bis auf wenige Ausnahmen alle Studiengänge innerhalb dieses Zeitraums, der sich auf grob drei Jahre beläuft, absolvierbar sein. Im Jahr 2022 haben das laut dem Statistischen Bundesamt jedoch nur rund ein Drittel aller Universitätsabgehenden in Deutschland geschafft. Etwa 43 % der Studierenden haben zum Zeitpunkt ihres Abschlusses ein bis zwei Semester länger drangehangen. Ich liege also eindeutig im Durchschnitt. Dennoch kommt das Thema immer wieder auf, sei es auf der Familienfeier oder beim Abi-Treffen.

Warum will man nach sechs Semestern mit dem Studium fertig sein?

Es gibt einige Studierende, denen die Regelstudienzeit nicht egaler sein könnte. Zu ihnen gehören vor allem Menschen, die kein BAföG, also die staatliche finanzielle Unterstützung für Studierende sowie Schülerinnen und Schüler, erhalten. Sind die eigenen Eltern nicht in der Lage oder willens, finanzielle Unterstützung zu leisten, wird die Länge der eigenen Studienzeit schnell wahnsinnig wichtig. Das liegt unter anderem daran, dass die staatliche Förderung grundsätzlich an die Einhaltung der Regelstudienzeit gekoppelt ist. Wer länger studiert, kommt so schnell in finanzielle Engpässe. Miriam Jungheim, die an der RPTU in Landau für die Studienberatung zuständig ist, berichtet mir jedoch von einer allgemeinen Erfahrung, die sie in Beratungsgesprächen gemacht hat: „Wenn ich mit Studierenden spreche, die sich komplett selbst finanzieren, ist der Faktor der Studienzeit immer ein Thema. Das gilt insbesondere für BAföG-Empfangende, aber auch für Fachwechselnde oder Menschen, die Zweifel an ihrem Studiengang haben. Gerade diese Gruppen, können es sich schlicht nicht leisten, all zu lange für ihr Studium zu brauchen.“ Laut Jungheim geht es vielen Studierenden also weniger darum, pünktlich fertig zu sein und mehr darum, möglichst schnell finanziell unabhängig zu sein.

Generation Arbeitsfaul

In vielen Branchen kommt es sicher nicht all zu gut an, wenn die Studienzeit sich auf fünf oder sechs Jahre erstreckt, wo formell gesehen drei Jahre ausreichen würden. Andererseits fordern immer mehr Arbeitgeber Berufseinsteigende, die bereits praktische Erfahrungen vorweisen können. In welcher Zeit sollen Studierende also die vielgeforderten Praktika machen, die sie brauchen, um sich wiederum auf Praktika zu bewerben, die dann hoffentlich in einer Festanstellung münden? Ich finde es ungerecht, wenn Vertreter der älteren Generationen sich über die untätige und arbeitsfaule Jugend beschweren. Meiner Erfahrung nach ist das Problem weniger, dass wir nicht arbeiten und mehr, dass wir viel unbezahlte Arbeit leisten.  Das fängt bei Ehrenämtern an und hört bei Praktika mit Aufwandsentschädigung auf. Tatsächlich zeigte eine Umfrage im Jahr 2020, dass nahezu drei Viertel der Studierenden neben dem Studium zusätzlich einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. Immerhin erhalten nur die wenigsten BAfÖG, die Preise für WG-Zimmer steigen überall und die Inflation macht auch vor dem studentischen Geldbeutel keinen Halt. Gleichzeitig zeigt die Umfrage, dass Studierenden das Arbeitsklima und zeitliche Flexibilität wichtiger sind als die Bezahlung. Ist es nicht verständlich, dass man sich beim Arbeiten wohlfühlen möchte?

Alles für den Lebenslauf

In dem Moment, in dem ich mein erstes freiwilliges Praktikum angetreten habe, verabschiedete ich mich endgültig von der Vorstellung, den Studienverlaufsplan einzuhalten. Damals war ich im vierten Semester. Weil ich das Praktikum in Norddeutschland und außerdem inmitten der Vorlesungszeit absolvierte, konnte ich einige Veranstaltungen nicht besuchen, geschweige denn die Prüfungsleistungen erbringen. Was in meiner Notenübersicht wie Stillstand aussah, hat mich tatsächlich unfassbar in meiner charakterlichen und beruflichen Entwicklung vorangebracht. Auch Miriam Jungheims Erfahrungen aus ihren Beratungsgesprächen, zeigen, dass Studierende, die die Studienzeit strapazieren, alles andere tun als auf der faulen Haut zu liegen: „Oft haben Personen Auslandssemester gemacht, mehrmonatige Praktika absolviert oder engagieren sich in Ehrenämtern“, erklärt sie. Der häufigste Grund für eine längere Studienzeit sind aus ihrer Sicht allerdings Umorientierungsprozesse während des Studiums. „Gerade wenn sich jemand relativ spät für einen Studiengangs- oder Fachwechsel entscheidet, ist die Sorge um die Zeit bei den Studierenden groß. Wenn jemand im sechsten Semester beispielsweise den dritten Fehlversuch schreibt, muss er das Fach wechseln“, erklärt Jungheim. Oft säßen ihr Studierende gegenüber, deren größte Sorge es ist, durch ihren Fachwechsel und ihre damit verlängerte Studienzeit negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Ihre Antwort ist dann ebenso simpel wie erleichternd: Nein, sollte man kein BAföG erhalten, passiert da erstmal nichts dramatisches.

Wer zahlt?

Für die Universität und die Gesellschaft wäre es finanziell gesehen dennoch besser, würden Studierende sich nicht all zu viel Zeit mit der Selbstentwicklung und Umorientierung lassen. Der 2019 vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit verabschiedete Hochschulpakt legt fest, dass die Universitäten mehr finanzielle Förderung für Studierende erhalten, die innerhalb der Regelstudienzeit studieren. Zwar wurde diese Regelung für Studierende, die während der Corona-Krise eingeschrieben waren, um zwei Semester verlängert. Die Belastungen durch die Pandemie kamen für Studierende jedoch lediglich on top zu allen anderen.

Persönlichkeitsentfaltung versus Gesellschaft?

Miriam Jungheim wirbt für mehr Verständnis: „Der Großteil derer, die in meiner Studienberatung sitzen, will einen guten Platz in der Gesellschaft finden. Sie möchten mit einem Beruf, den sie gerne ausüben einen sinnvollen Beitrag leisten.“ Dieses Bedürfnis treffe ihrer Beobachtung nach auf junge Menschen allgemein zu. „Am schönsten wäre es natürlich, wenn alle die Zeit bekommen könnten, die sie zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit und fachlichen Bildung brauchen“, sagt sie. Irgendwo müsse jedoch eine Grenze gezogen werden. Aktuell liegt diese Grenze nun mal bei sechs Semestern Regelstudienzeit, auch wenn sie regelmäßig überschritten wird. Solange sich daran nichts ändert, bleibt Selbstentfaltung im Studium ein Privileg, das man sich leisten können muss.

Autorin: Lena Frohn