Das deutsche Lieferkettengesetz: Neues juristisches Konfliktfeld des transnationalen Menschen- rechtsschutzes
von Christian Scheper und Carolina A. Vestena - Institut für Entwicklung und Frieden – INEF
Der Entwurf für ein deutsches 'Lieferkettengesetz' ist ein wichtiger und überfälliger Regulierungsschritt. Er bedeutet aber noch keine automatische Stärkung der Menschenrechte, sondern spiegelt einen neuen rechtlichen Schauplatz des Konflikts zwischen Menschenrechten und vorherrschenden Produktionsweisen wider. Der Blog-Beitrag hebt die Konflikthaftigkeit der Lieferkettenregulierung hervor und argumentiert, dass der Gesetzesentwurf bisher entscheidende Schritte verpasst, um Rechteinhaber:innen in globalen Lieferketten zu stärken.
Im Schatten der Corona-Krise hat das Bundeskabinett am 3. März den Entwurf des „deutschen Lieferkettengesetzes“ verabschiedet. Derartige Gesetze sind seit längerem Gegenstand internationaler und nationaler Debatten und werden von zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisationen seit Jahren gefordert. Das nun vorgeschlagene Gesetz definiert Maßstäbe für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht deutscher Unternehmen in ihren globalen Lieferketten. Man kann den Entwurf als wichtigen Meilenstein im großen Konflikt um Menschenrechte und die transnationale Produktion von Gütern betrachten. Es scheint uns angesichts des neuen Gesetzes bedeutsam, ebendiese Konflikthaftigkeit des Gegenstands hervorzuheben: Es geht nicht nur um die Setzung neuer Normen und damit die Schließung von Regulierungslücken, sondern tatsächlich um neue Formen der Bearbeitung eines Konflikts: International anerkannte Arbeits- und Menschenrechtsnormen und vorherrschende Formen der Produktion von Gütern durch transnationale Unternehmen und ihre Lieferkettenstrukturen stehen in vielerlei Hinsicht unvereinbar nebeneinander. Sie repräsentieren einen gesellschaftlichen Konflikt um die Arten und Weisen der Produktion sowie die Verteilung ihrer Kosten und Gewinne. Die Pandemie und ihre verheerenden Auswirkungen auf Arbeiter:innen in globalen Lieferketten und die vielfachen, teilweise auch gewaltsamen Konflikte um die Anerkennung grundlegender Rechte, etwa in Textilfabriken, im Bergbau oder der Landwirtschaft des Globalen Südens, zeigen dies besonders deutlich. Das Lieferkettengesetz stellt eine neue politische Entwicklung in diesem Konflikt dar, die wir im Folgenden reflektieren und angesichts weitergehender Transformationen in der politischen Ausgestaltung von Lieferketten bewerten wollen.
In den Worten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bedeutet das Sorgfaltspflichtengesetz sowohl „Rechtsklarheit für die Wirtschaft“ als auch eine Stärkung der „Einhaltung von Menschenrechten durch Unternehmen“. Das Gesetz erreiche dies durch eine „Bemühenspflicht“, der die Unternehmen nachkommen müssen; es handele sich dabei weder um „Erfolgspflicht noch Garantiehaftung“. Das bedeutet, dass ein Unternehmen für das eigene Bemühen verantwortlich gemacht werden soll, ökologische und menschenrechtskonforme Produktionsbedingungen in der Lieferkette zu erreichen, nicht aber für das Ergebnis in den Produktionsländern, die von vielen weiteren Faktoren abhängen können – etwa staatlichen Institutionen. Die im Gesetz verankerte Verantwortung zum Menschenrechtsschutz basiert auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die bereits 2011 durch den Menschenrechtsrat beschlossen wurden und 2016 in einen nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung übertragen wurden. Gemäß der Leitprinzipien hat nach wie vor der Staat seine völkerrechtlichen Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten. Aber Unternehmen tragen selbst auch eine Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte, die über die eigenen betrieblichen Grenzen hinausreicht und ihre gesamten Einflussbereiche umfasst – etwa Zulieferverträge und andere Geschäftsbeziehungen. In aller Regel spiegelt diese Verantwortung aber eher eine gesellschaftliche Erwartung und ist rechtlich nicht bindend. Diverse Länder haben daher begonnen, über entsprechende gesetzliche Änderungen zu diskutieren. Einige haben bereits Sorgfaltspflichtengesetze für Unternehmen verabschiedet (Frankreich) oder durch Parlamente und zivilgesellschaftliche Gruppen diskutiert (z.B. Österreich). Mit Ausnahme Frankreichs etablieren die beschlossenen Gesetze allerdings keine allgemeine Sorgfaltspflicht, sondern beziehen sich auf spezielle Themen, z. B. Sklaven- und Zwangsarbeit (Australien, Großbritannien) oder Kinderarbeit (Niederlande), oder sie adressieren nur bestimmte Industriesektoren und Handelsgüter (z.B. EU-Konfliktmineralienverordnung).
Noch vor seinem endgültigen Erlass ist der verabschiedete deutsche Gesetzestext in die Kritik der Zivilgesellschaft geraten. Beanstandete Aspekte sind fehlende zivilrechtliche Klagemöglichkeiten, der enge Geltungsbereich und eine stark eingeschränkte Wirksamkeit in die Tiefen der Lieferketten hinein – z. B. im zweiten, dritten oder vierten Glied einer Zulieferkette, wo häufig auch weitgehend ungeschützte, informelle Arbeit vorherrscht und der Einfluss des betreffenden deutschen Unternehmens aufgrund intransparenter Informationslage meist unklar ist. Vor allem wurde am Entwurf aber die sehr geringe Berücksichtigung ökologischer Sorgfaltspflichten bemängelt. Das Gesetz wird nach einer weiteren Beratungsrunde im Bundestag erst ab 2023 in Kraft treten und gilt zunächst nur für sehr große Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten, ab 2024 auch für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten. EU-Kommissar Didier Reynders betonte just am Tag der Bekanntmachung des deutschen Gesetzesentwurfs, dass die EU weitergehen werde und ein Sorgfaltspflichtengesetz mit breitem Anwendungsbereich und zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten plane. Im Juni 2021 soll der Entwurf der Kommission vorliegen.
Wie verändert sich der Konflikt um Menschenrechte in der Lieferkette?
Politisch sind drei Entwicklungen interessant in der aktuellen Diskussion um die neue Regulierung von Lieferketten: Erstens zeigt sie, dass die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung über globales Wirtschaften und internationale Menschenrechte nun zunehmend in einer juristischen Konfliktarena ausgetragen wird. Das Recht spielt dabei eine ambivalente politische Rolle. Zweitens, und hiermit eng verbunden, verschiebt sich der Konflikt um Standards und Rechte in Lieferketten mit der Einführung der Sorgfaltspflicht stark auf die Managementebenen der Unternehmen. Die unternehmenseigenen Verfahren zur Gewinnung von Informationen über Risiken und Missstände, die häufig kaum vollständig für außenstehende Akteure nachvollziehbar oder gänzlich intransparent sind, werden dabei zunehmend zur Entscheidungsgrundlage und damit zum zentralen Konfliktgegenstand. Drittens lässt sich angesichts dieser Verschiebung vermuten, dass die politische Gestaltung globaler Lieferketten, das heißt ihre Praktiken der Steuerung und der Konfliktbearbeitung, vor tiefgreifenden Veränderungen stehen. Nicht nur aufgrund der aktuell sichtbaren Pandemiefolgen, sondern auch angesichts eines breiten gesellschaftlichen Digitalisierungstrends dürfte sich die Verfügbarkeit und Relevanz von Informationen und Daten in Lieferketten grundlegend verändern. Vor allem die ersten zwei Entwicklungen wollen wir im Folgenden weiter aufgreifen, um das Lieferkettengesetz als neues Element im Konflikt um globale Produktionsbedingungen zu bewerten.
Verschiebung des Konflikts in das juristische Feld: Zur Ambivalenz des Rechts
Folgen wir dem Soziologen Pierre Bourdieu (2019: 36), so sind rechtliche Normen weder Ausdruck einer rein juridischen Dogmatik noch bloßes Ergebnis ökonomischer Macht. Das Recht ist eher ein „Kampfplatz“ (Bourdieu 2019: 39), auf dem gesellschaftliche Konflikte ausgetragen werden. In dieser Arena treten Jurist:innen in Konkurrenz auf und ringen dabei um das Monopol, um die gute Ordnung zu verkünden: „Daraus ergeben sich [...] systematische Differenzen im sozialen Gebrauch des Rechts und, genauer gesagt, in der Rolle, die dem Bezug auf das Juridische im Universum möglicher Handlungen zukommt, insbesondere im Kontext sozialer Kämpfe um bestimmte Forderungen“ (Bourdieu 2019: 43). Mit Blick auf das Lieferkettengesetz kann Bourdieus Sichtweise auf die strategische Deutung und die strukturelle Ambivalenz des Rechts in der Lieferkettenproblematik hilfreich sein. Mit den neuen Sorgfaltspflichten werden einerseits Probleme in der Lieferkette sichtbar gemacht, darunter der fehlende Schutz fundamentaler Rechte bei der Arbeit, etwa auf faire Löhne, unabhängige Gewerkschaften, Maßnahmen zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und die Vermeidung von Zwangs- und Kinderarbeit. Durch die Gesetzesform entstehen auch teilweise neue und lange überfällige Wege für die Justiziabilität dieser Missstände – in Deutschland zwar auch mit dem neuen Gesetz nicht durch zivilrechtliche Klagen, aber zumindest durch die Möglichkeit behördlicher Bußgeldverfahren.
Verschiebung der Konfliktbearbeitung auf die Managementebene: Sorgfalt als Abwägung zwischen konfligierenden Interessen
Andererseits können die rechtlich kodifizierten Sorgfaltspflichten weitergehende Folgen für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den bestehenden normativen Widersprüchen und Ungerechtigkeiten in globalen Lieferketten haben. Während das Gesetz bestimmte Probleme und Lösungswege rechtlich erfasst, werden andere ausgeblendet. Neben der sehr eingeschränkten Berücksichtigung ökologischer Aspekte steht generell bei der Sorgfaltspflicht die Perspektive der Leitunternehmen auf die unmittelbaren Zulieferer im Vordergrund des deutschen Gesetzes. Normative Maßstäbe sind neben den internationalen Menschenrechten im Wesentlichen die üblichen, als angemessen erachteten „guten“ Industriepraktiken, an denen sich eine unternehmerische Sorgfalt orientieren muss. Letztere bauen aber bisher zumindest teilweise auf ebenjenen Spannungen zwischen menschenrechtlichen Normen und Profitmodellen auf, die Kern des Konflikts sind: Strukturelle Ungleichgewichte, wie die Benachteiligung von Frauen und rassistische Prägungen der Produktionsbedingungen, gesellschaftlich problematische Geschäftsmodelle (z.B. Fast Fashion) sowie die ungerechte Arbeitsteilung zwischen dem Globalen Süden und Norden können mit den Mechanismen der Sorgfaltspflicht rechtlich kaum angegangen werden. Der Fokus auf Sorgfalt und Transparenz der Leitunternehmen reduziert in der juristischen Auseinandersetzung die multiplen Dimensionen, die Konflikte entlang der Lieferketten kennzeichnen und verschiebt gleichsam die Konfliktbearbeitung auf die Ebenen des Unternehmensmanagements selbst. Die Entscheidung über angemessene Maßnahmen und Priorisierungen werden wesentlich in den Management-Abteilungen getroffen. Damit ergibt sich ein Zuwachs an politischer Autorität der Unternehmen gegenüber Rechteinhaber:innen im genannten Konflikt.
Um diese Vermutung plausibel zu machen, ist es hilfreich etwas näher zu betrachten, um welche Entscheidungen und Veränderungen es für Unternehmen vornehmlich gehen wird, um der Sorgfaltspflicht nachzukommen. Neben einem allgemeinen Bekenntnis zu den Menschenrechten wird erwartet, dass Unternehmen effektive Risikoanalysen in der Lieferkette vornehmen. Hierbei geht es nicht um betriebliche Risiken, sondern um Risiken für Rechteinhaber:innen, also z.B. Arbeiter:innen in der Lieferkette. Bisher gibt es für solche Analysen zwar internationale Empfehlungen, aber in den meisten Unternehmen kaum etablierte und bewährte Verfahren. Es bestehen eher erste Versuche und Pilotprojekte. Der neue rechtliche Rahmen wird somit für die weitere Entwicklung und Ausgestaltung solcher Verfahren prägend sein.
Schauen wir uns die Vorgaben und Anreize für die Risikoanalyse im deutschen Gesetzesentwurf an, so wird deutlich, dass hier die wesentliche Ausgestaltung entlang der Prämissen der „Angemessenheit“ durch Unternehmen selbst vorgenommen werden muss. Hier muss das Unternehmen also in vielen Entscheidungen abwägen, wie das Anspruchsniveau an den Menschenrechtsschutz sein soll, d. h. welche Unternehmenspraktiken geändert oder weiterhin unhinterfragt bleiben, ob und wie stark zusätzliche Kosten akzeptiert oder inwieweit profitable Produktionsbereiche zugunsten besseren Menschenrechtsschutzes umgestaltet werden. Legen wir unsere Konfliktperspektive zugrunde, so kommt dem Gesetz gerade in diesen Abwägungsfragen Signalwirkung zu, da es hier klar die Prämissen zugunsten der Handlungsmöglichkeiten von Rechteinhaber:innen verschieben müsste, um dem eingangs zitierten Anspruch, den Menschenrechtsschutz zu verbessern, gerecht werden zu können.
Bleiben wir beim Aspekt der Risikoanalyse, so wird im deutschen Gesetzesentwurf deutlich, dass eher ein gegenteiliger Anreiz gegeben wird: Unternehmen sind für die Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen bei mittelbaren Zulieferern – also solchen Betrieben, die nicht in einem direkten Lieferverhältnis mit dem deutschen Unternehmen stehen – nur dann zu einer Risikoanalyse und zu weiteren Maßnahmen aufgerufen, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ von möglichen Verletzungen geschützter Rechtspositionen erlangen. Dies könnte durchaus als Anregung verstanden werden, die Kenntnisse über Arbeitsbedingungen im Wesentlichen (wieder) auf die direkten Zulieferer zu beschränken. Damit wäre ein Hauptproblem der globalen Lieferketten ausgeklammert: die weite Verzweigung und Unterauftragsvergabe in die stärker ungeschützten und informellen Bereiche der Wirtschaft, in denen Arbeitsrechte kaum geschützt sind. Andere notwendige Schritte neben der Risikoanalyse, wie Maßnahmen zur Verringerung von Risiken, zur Wiedergutmachung oder Beschwerdeverfahren, unterliegen ebenfalls einem starken Ermessensspielraum der Unternehmen und müssen sich praktisch noch bewähren.
Von einer Perspektive der „Regulierungslücken“ aus betrachtet – die also nicht von grundlegend konfligierenden Interessen ausgeht – ist gegen einen solchen Ermessensspielraum im Management nichts einzuwenden. Er ist pragmatisch, denn er entspricht einem heterogenen Feld von Unternehmenstypen, -größen und -praktiken und folgt der Annahme, dass Unternehmen selbst am besten die geeigneten Verfahren wählen und ausgestalten können. Gehen wir allerdings von einem grundlegenden Konfliktfeld aus, in dem Unternehmen nur eine Partei darstellen, so liegen die Entscheidungen über die Gegenstände und Bearbeitungsverfahren des juristischen Konflikts einseitig bei dieser Partei. Verbunden mit der öffentlichen Relevanz und den durch das Gesetz begründeten behördlichen Prüfansprüchen entsteht damit auch ein enormer Bedarf an Daten und Informationen, die Unternehmen selbst über die eigenen Verfahren zum Monitoring, zur Risiko- und Schadensminimierung erzeugen und öffentlich kommunizieren müssen. Unternehmerisches Wissen und Informationen werden also zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt in der politischen Auseinandersetzung über Lieferketten und Menschenrechte.
Fazit: Lieferketten und Menschenrechte als Konfliktfeld begreifen
Die Konfliktperspektive auf globale Lieferketten und Menschenrechte macht die politische Bedeutung der Verschiebungen sichtbar, die mit den neuen gesetzlichen Regulierungen einhergehen. Verstehen wir das Lieferkettengesetz als Element eines größeren Konflikts um Wirtschaftsunternehmen und Menschenrechte, so wird deutlich, dass die von der Bundesregierung propagierten Ziele – mehr Rechtssicherheit für Unternehmen und stärkerer Menschenrechtsschutz – zwei Seiten des Konflikts darstellen. Um es klar zu sagen: Das vorgeschlagene Gesetz ist ein wichtiger und längst überfälliger Regulierungsschritt. Aber die rechtlich verbindliche Form als solche bedeutet noch keine automatische Stärkung der Menschenrechte. Wir müssen genauer hinschauen, um zu verstehen, welche neuen Praktiken und Wege der Konfliktbearbeitung sich konkret aus dem Gesetz ergeben.
Hierbei sehen wir im vorliegenden Entwurf nur unzureichende Möglichkeiten, damit Beschäftigte das Recht als transnationales Instrument für die Einforderung von Menschenrechtsnormen effektiv gegenüber Unternehmen nutzen können. Hierfür fehlen z.B. zivilrechtliche Klagewege und es gibt widersprüchliche Anreize für eine konsequente Sorgfalt in den Tiefen der Lieferketten. Auch die vielfachen Wechselwirkungen zwischen ökologischen Folgen in der Lieferkette und Menschenrechte werden bisher wenig erfasst – man denke z.B. nur an die Auswirkungen regional konzentrierter Färbereien oder auch giftiger Viskoseproduktionen für die globale Textilindustrie. Darüber hinaus fehlen der Form der Sorgfaltspflicht auch Ansatzpunkte, wie strukturelle Probleme der Lieferkette (z.B. Diskriminierung, unterschiedliche Rechtssicherheit für transnationale Konzernnetzwerke und Beschäftigte, indirekte ökologische Schäden usw.) rechtlich in Zukunft herausgefordert werden können. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich derartige Räume öffnen. Es scheint sich mit der Sorgfaltspflicht aber zunächst vielmehr ein breites und komplexes Konfliktfeld auf eine Perspektive der Leitunternehmen zu verengen. Auch in dieser Form könnte das Gesetz jedoch starke Anreize setzen, damit Leitunternehmen den Menschenrechten eine andere Priorität in strategischen Entscheidungen einräumen, als sie es bisher getan haben – die Corona-Krise hat die Notwendigkeit mehr denn je deutlich gemacht. Dies wird bisher im deutschen Entwurf versäumt und es bleibt zu hoffen, dass der Bundestag nachbessert. Die EU-Kommission scheint stärker in diese Richtung gehen zu wollen, daher kann auch der für Juni 2021 angekündigte Vorschlag mit Spannung erwartet werden.
Darüber hinaus kristallisieren sich Daten und Informationen als neue Arena heraus, die durch die Digitalisierung einen grundlegenden Wandel erfahren, aber bisher kaum im Hinblick auf ihre Bedeutung zur Bearbeitung der Konflikte um Menschenrechte in der Lieferkette diskutiert werden. Eine Reihe an technologischen Lösungen zur „Fernsteuerung“ des Monitorings von Arbeitsbedingungen durch digitale Tools verspricht dieses Problem zu adressieren, wirft aber neue Fragen auf. In der Lieferkettendiskussion scheint es bisher primär um ein Mehr an Daten und Transparenz zu gehen, nicht aber um die Frage, wer auf welche Weise hierdurch an Handlungsmöglichkeiten und Einfluss gewinnt, wer Daten erheben, kontrollieren und verifizieren kann und welche Haftungsfolgen dies haben sollte.
Zitierte Literatur:
Bourdieu, Pierre (2019): Die Kraft des Rechts. Elemente einer Soziologie des juridischen Felds. In: Kretschmann, A., Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus. Weilerswist: Velbrück, 35–75.
Über die Autor*innen
Dr. Carolina A. Vestena ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen, wo sie im Projekt „Digitale Tools and Interessenorganisation im Globalen Süden” arbeitet. Regional liegt ihr Schwerpunkt auf Südamerika und ihre Forschungsinteressen sind u.a. kollektive Rechtsmobilisierung und soziale Rechte.
Dr. Christian Scheper ist Politikwissenschaftler und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Institut für Entwicklung und Frieden. Er forscht u.a. zu transnationaler Unternehmensregulierung, Lieferketten und Menschenrechten.