Demokratisierung am Tiefpunkt!

Zum Stand der gegenwärtigen politischen Situation in Myanmar

VonChristina Grein

Drei Jahre nachdem demokratische Wahlen die Herrschaft der semi-militärischen Regierung in Myanmar beendeten, befindet sich der Demokratisierungsprozess in einer Sackgasse. Das Militär hält weiterhin die Fäden der Macht in der Hand. Die Menschenrechtssituation hat sich dramatisch zugespitzt. Die Regierung der Friedensnobelpreis-Trägerin Aung San Suu Kyi scheint gescheitert.

Als Aung San Suu Kyi mit ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) die landesweiten Wahlen 2015 für sich gewann, erwarteten große Teile der Bevölkerung Myanmars eine politische Wende. Der neuen Regierung wurde sowohl national als auch international mit viel Geduld und Nachsicht begegnet. Denn so mächtig das Image der ehemaligen Opposition auch war, hatte sie doch zuvor so gut wie keine Politikerfahrung sammeln können. Es war damit zu rechnen, dass diese Legislaturperiode turbulent werden könnte. Denn das Militär verfügt weiterhin, qua Verfassung, über das Recht auf politische Teilhabe und kontrolliert drei zentrale Behörden – die Ministerien für Inneres, Grenzangelegenheiten und Verteidigung. Darüber hinaus verfügt das Militär, im Gegensatz zur Regierungspartei, über jahrzehntelange Erfahrungen in der politischen Herrschaft.

Die Entwicklungen unter der neuen Regierung nahmen bereits kurz nach ihrer Amtsübernahme 2016 besorgniserregende Gestalt an. Suu Kyi und die NLD waren nicht in der Lage oder auch nicht willens, dem Rückgang der Demokratisierung im Land Einhalt zu gebieten und den vor allem international so oft beschworenen Balanceakt mit dem Militär zu meistern. Die Menschenrechtssituation in Myanmar hat sich immens verschlechtert. Angefangen bei der Repression der Meinungsfreit, der exponentiellen Zunahme von anti-muslimischen Ressentiments und Hassreden über die Verschärfung der bewaffneten Konflikte im Nordosten bis hin zur Vertreibung und den unvorstellbaren Gräueltaten gegen die Rohingya.

Friedensprozess in der Sackgasse

Das Militär hat bereits bewiesen, dass es der stärkste und durchsetzungsfähigste Akteur in den Friedensverhandlungen mit den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen ist. Es wird alles daransetzen, seine zentrale Stellung im Machtgefüge aufrecht zu erhalten oder auch zu erweitern. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Wahrnehmungen und Interessen der ethnischen Minderheiten in den Gesprächen kaum einbezogen werden. Zwar haben inzwischen 10 von 20 offiziell anerkannten bewaffneten ethnischen Gruppen das nationale Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Die entscheidenden und truppenstärksten Organisationen verwehren sich jedoch bis heute diesem Schritt. Angesichts der schwachen Rolle der Regierung in diesem Prozess ist ein politischer Dialog auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten illusorisch. Die Friedensverhandlungen stecken daher gegenwärtig fest.

Die anhaltenden bewaffneten Konflikte im Norden und Nordosten sind keine temporären Scharmützel, sondern die Fortführung des seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948 andauernden Bürgerkrieges im Land. Erst kürzlich führte Myanmars Militär mehrere Angriffe unter Einsatz von schweren Waffen, Bomben und Artilleriefeuer auf zivile Gebiete im Kachin- und im nördlichen Shan-Staat durch. Seit 2011 sind hier über 120.000 Menschen vertrieben worden. Bis heute wird humanitären Organisationen und Menschenrechtsorganisationen der Zugang zu den betroffenen Regionen in der Regel versperrt. Auch in anderen Nationalitätenregionen kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Kampfhandlungen, die in den meisten Fällen vom Militär provoziert wurden, so etwa auch mit bewaffneten ethnischen Gruppen, die das Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung und dem Militär unterzeichnet haben. Das Militär folgt weiterhin ausschließlich seinen eigenen Regeln. Menschenrechtsorganisationen werfen der Armee Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Der Friedensprozess steht also unter keinem guten Stern.

Kampf gegen die Meinungsfreiheit

Die Ausübung und Verteidigung grundlegender Menschenrechte werden regelmäßig von Behörden unterbunden und bestraft. Gerade die Meinungs- und Pressefreiheit wurde in den letzten beiden Jahren immer weiter eingeschränkt. Erst kürzlich wurden zwei Journalisten, die für die Nachrichtenagentur Reuters arbeiten, zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Journalisten hatten über ein Massaker des Militärs an zehn Rohingya im Rakhine-Staat recherchiert. Das Gericht befand sie für schuldig, sich im Rahmen der Recherchen geheime staatliche Dokumente beschafft zu haben und damit gegen ein aus der Kolonialzeit stammendes Gesetz zu Staatsgeheimnissen verstoßen zu haben. Inzwischen wirft die UN der Regierung und dem Militär vor, den unabhängigen Journalismus mit politischen Mitteln zu unterdrücken.

Keine Aufklärung der Verbrechen im Rakhine-Staat

Über 700.000 Rohingya und Muslim*innen sind vor der Gewalt des Militärs im Rakhine-Staat nach Bangladesch geflüchtet. Hier sind sie in Camps unter desaströsen Verhältnissen untergebracht. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Im Norden des Rakhine-Staates sollen mehrere Tausend Menschen durch myanmarische Sicherheitskräfte getötet worden sein. Letztes Jahr wurde eine internationale Untersuchungskommission vom UN-Menschenrechtsrat ins Leben gerufen, um die Situation in Myanmar, neben Rakhine auch in Kachin und Nord-Shan, unabhängig zu untersuchen und Empfehlungen zu formulieren. In ihrem Abschlussbericht vom September dieses Jahres fordert die Kommission die Untersuchung und Strafverfolgung insbesondere der obersten Militärränge Myanmars. Gegen das Militär solle eine Ermittlung wegen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen eingeleitet werden. Sie empfiehlt den Internationalen Strafgerichtshof oder ein Sondertribunal hiermit zu betrauen sowie Sanktionen gegen einzelne Personen zu verhängen. Lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen begrüßen den Bericht und fordern die UN zum sofortigen Handeln auf. Myanmars Regierung hatte die Zusammenarbeit mit der Kommission verweigert. Es gab weder offizielle Treffen oder Informationsaustausch noch Einreisegenehmigungen für die Kommissionsmitglieder ins Land.

Im Zuge koordinierter Angriffe auf Polizei- und Militärposten durch die Arakan Rohingya Salvation Army im nördlichen Rakhine nahm die Flucht der Rohingya extreme Ausmaße an. Das Militär leitete Aufstandsbekämpfungs-Operationen ein und riegelt bis heute die Region ab. Menschenrechtsorganisationen berichten von systematischen Vergewaltigungen, Tötungen und der Zerstörung etlicher Siedlungen. Bis jetzt wird Medien mit wenigen Ausnahmen der Zugang zur Region versperrt. Auch humanitäre Hilfsleistungen gestalten sich weiterhin als sehr schwierig.

 Ausstehende Kraftprobe

Die jüngsten Entwicklungen in Myanmar haben die Grundpfeiler des Demokratisierungsprozesses ins Wanken gebracht. Wir können für die nahe Zukunft ein fortschreitendes Kräftemessen zwischen Myanmars Regierung, dem Militär und der internationalen Gemeinschaft erwarten. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat verkündet, dass er eine vorläufige Untersuchung einleiten wird. Dafür ist allerdings auch die Kooperation der Regierung Myanmars notwendig und diese hat das Rom-Statut nicht unterzeichnet. Das Mandat des Strafgerichtshofs ist damit auf die Staatsgrenzen von Bangladesch, Unterzeichner des Rom-Statuts, beschränkt. Damit könnten Personen aus dem Militär wegen Vertreibung, allerdings nicht wegen Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, angeklagt werden.

Die drängendsten Fragen betreffen jetzt vor allem die Konfliktsituation im Norden und die  Zukunft der geflüchteten Menschen in Bangladesch. Was soll mit den Vertriebenen passieren, werden sie diesbezüglich Mitspracherechte haben und auf welchem Weg kann ihnen endlich Staatsbürgerschaft gewährt werden? Ohne die Kooperation Myanmars wird die UN keine Lösungen anbieten können. Die bis heute herrschende Straflosigkeit und willkürliche Gewaltausübung im Land muss beendet werden. Dafür muss die internationale Gemeinschaft die Komplexität der Konfliktzusammenhänge in ihrer Ganzheit berücksichtigen und lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Ein tiefgehendes und langfristig angelegtes Engagement im Land sowie die Unterstützung und Förderung der Zivilgesellschaft sind nach wie vor entscheidend.

Über die Autor*innen

Christina Grein ist Ethnologin und koordiniert die Burma-Initiative der Stiftung Asienhaus.