Friedvolle Straßen? Eine Zwischenanalyse zu einem interdisziplinärem Kunst-, Forschungs- und Friedensprojekt
Von Dr.in Nicole Pruckermayr
Was sind „friedvolle Straßen“? Die Künstlerin, Initiatorin und Kuratorin Nicole Pruckermayr stellt das Projekt „Comrade Conrade“ vor, das sich mit geschlechtlicher Repräsentation im öffentlichen Raum in Graz beschäftigt.
„Friedvolle Straßen“
Was kann man unter „friedvollen Straßen” verstehen? Und wie können öffentliche Räume auf friedensfördernde Art gestaltet werden? Mit diesen Fragen setzt sich das Projekt „Comrade Conrade“ auseinander, dass sich zugleich als Kunst-, Forschungs- und Friedensprojekt versteht. Bei der Frage, was den öffentlichen Raum friedvoll oder gewaltvoll macht, spielt zum einen die Repräsentation eine Rolle, die in Straßennamen zum Ausdruck kommt: Nach wem werden Straßen benannt und wer wird wie repräsentiert? Aus der Benennung von Straßen lassen sich Schlüsse darüber ziehen, welche Handlungen in unserer Gesellschaft wertgeschätzt und geehrt werden. Die Politik spielt hier als Entscheiderin und Vertreterin des Volkes eine große Rolle. Zum anderen geht es auch um die Frage, auf welche Weise öffentlicher Raum unterschiedlichen Personengruppen zugänglich gemacht wird. Hier zeigt sich auch, wie viel potenziell gemeinschaftsbildenden Raum sich eine Gesellschaft leistet, um zukünftige Konflikte bereits im Vorfeld abfedern zu können. Dabei ist vor allem die Stadt- und Raumplanung gefordert, die Rahmenbedingungen definiert. Städtische Räume sind nach der Geografin und Sozialwissenschafterin Doreen Massey immer geschlechtlich „codiert“. „Dies reicht von symbolischen Bedeutungen, die Räumen zugeschrieben werden und die eindeutige geschlechtlich differenziert sind, bis hin zur direkten Ab- und Ausgrenzung durch (die Angst vor) Gewalttätigkeiten.“ [1] Räume drücken die Art und Weise, wie Geschlechterverhältnisse konstruiert werden aus und beeinflussen so das Erleben und Verständnis von Geschlecht. Umgekehrt prägen sie aber auch Geschlechterbilder. Gesellschaftliche Machtverhältnisse wie auch unaufgearbeitete Konflikte und Ungleichgewichte werden so im öffentlichen Raum sichtbar. Darauf will das Projekt „Comrade Conrade“ am Beispiel der Conrad-von-Hötzendorf-Straße in Graz aufmerksam machen.
Der Krieger und die Pazifistin: Wem begegnen wir im öffentlichen Raum?
Seit einigen Jahren befindet sich die Conrad-von-Hötzendorf-Straße in einem massiven städtebaulichen Transformationsprozess, der durch verschiedene Um- und Neubau-Projekte das Antlitz der Stadt Graz weiter verändern wird. Ein Teil dieses Prozesses betrifft die Auseinandersetzung um die Namensgebung der Straße nach Franz Conrad von Hötzendorf (1852-1925) – Chef des Generalstabes für Österreich-Ungarn und wesentlich mitverantwortlich für den Weg in den Ersten Weltkrieg, die brutale Kriegsführung und Übergriffe gegen Zivilist*innen.
Eine – wesentlich von der Partei „die Grünen“ ausgehende Initiative hatte zum Ziel, die Straße in Bertha-von-Suttner-Straße umzubenennen. Bertha von Suttner (1843-1914) war eine österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin, die 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie lebte in etwa zeitgleich mit Conrad von Hötzendorf. In der medialen Auseinandersetzung bildete sich jedoch schnell eine starke Opposition, welche ökonomische Aspekte der Namensänderung in den Vordergrund rückte, woraufhin die Initiative fallen gelassen wurde. Als Ergebnis der gescheiterten Initiative zur Umbenennung der Straße entstand jedoch das Ansinnen, einen gemeinschaftsfördernden Platz zu Ehren von Bertha von Suttner. Dieser Platz ist als generationenübergreifende Grünoase, die zum Verweilen und Spielen einlädt, geplant.
Die Schaffung des Bertha von Suttner-Platzes ist nicht nur für Friedensfreund*innen, sondern auch für diejenigen, denen an der Repräsentation von Frauen im öffentlichen Raum gelegen ist von Bedeutung. Denn von den etwa 52,5 Prozent der nach Personen benannten Straßen im Grazer Stadtgebiet sind bis heute lediglich ca. 2,5 Prozent nach Frauen benannt. Die restlichen Namen gehen auf Flurnamen, Zielpunkte einer Straße oder Tier- und Pflanzennamen zurück. Dabei reichen zum Beispiel die eher raren Pflanzennamen mit 2,11 Prozent fast schon an die Frauenquote heran. Da sich das Stadtgebiet in absehbarer Zeit nicht wesentlich verändert, ergeben sich voraussichtlich auch keine zusätzlichen Neubenennungen.
„COMRADE CONRADE”
Das interdisziplinäre und mehrjährige Kunst-, Forschungs- und Friedensprojekt „COMRADE CONRADE. Demokratie und Frieden auf der Straße“ beschäftigte sich, anhand der Conrad-von-Hötzendorf-Straße, mit Zustand und Zukunft von Demokratie und Frieden der österreichischen Stadt Graz.
Das Projekt begann recht klein mit der Autorin als Initiatorin, fand aber schnell einen großen gesellschaftlichen und medialen Wiederhall und wuchs dementsprechend schnell. Rund 50 Personen und Institutionen aus Wissenschaft, Kunst und Zivilgesellschaft waren über den Zeitraum von 2016 bis 2019 in das Projekt eingebunden und gewährleisteten einen multidisziplinären und vielschichtigen Zugang zur Thematik. Teil des Projektes waren universitäre Institute, wie das Centrum für Jüdische Studien, die Institute für Kulturanthropologie und Ethnologie sowie das Europäische Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität Graz, Fachhochschul-Lehrveranstaltungen des Themenkreises Städtebau und Stadtentwicklung, der Verein Frauenservice, das Institut für Männer- und Geschlechterforschung, die Lebenshilfe, das Stadtteilzentrum, das GrazMuseum, Künstlerinnen und Künstler und viele mehr.
Während des gesamten Projektzeitraumes wurden fünf methodisch und inhaltlich eigenständige Diskurs-Plattformen realisiert. Als erste Diskursebene diente ein niederschwelliges, ganzjähriges Rundgangsprogramm von insgesamt zehn Rundgängen, welches sich auf die etwa zwei Kilometer lange Straße und ihre Umgebung konzentrierte. Mithilfe der Expertise verschiedener Mitwirkender wurden unterschiedliche Aspekte des Lebens in der Stadt beleuchtet. Die Soziologin Elli Scambor fokussierte beispielsweise auf die verschiedenen Arten von Männlichkeit in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße während die Diversitätsfachfrau Edith Zitz im von ihr gestalteten Rundgang die Kultur der Arbeit und Wirtschaft in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße mit stadtentwicklerischen Perspektiven und Fragen der Geschlechterdemokratie in Verbindung brachte.
Eine weitere Projektplattform stellten mehrere „Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekte“ dar, die teils partizipativ angelegt und teilweise über mehrere Monate im öffentlichen Stadtraum besichtigt und erlebt werden konnten.
Weiters wurde eine mehrtägige internationale Tagung gemeinsam mit dem Centrum für Jüdische Studien und dem Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie zum breiteren Thema von „Demokratie und Frieden auf der Straße“ durchgeführt und auch in den Nahbereich der Straße getragen. Es fanden viele Veranstaltungen vor allem auch vor Ort statt, die sich mit dem täglichen Miteinander auseinandersetzten und den Wünschen der Bevölkerung Raum boten.
Was bleibt?
Zentrales methodisches Element innerhalb dieses Projektes waren die niederschwelligen Rundgänge, die Anknüpfungspunkte an die lokale Umgebung und vor allem an die Bevölkerung schufen, und die vor allem essenziell für ein friedvolles Miteinander stehen. Dadurch dass ganzjährig und konstant immer wieder Veranstaltungen zum Thema durchgeführt wurden konnten viele Menschen erreicht werden.
Eine Herausforderung für das Projekt bestand darin, einen Prozess der Öffnung anzustoßen, der notwendig ist, um die Bevölkerung teilhaben zu lassen aber gleichzeitig ein handhabbares Format zu wahren – mit klar begrenztem Ende und definiertem Ergebnis. Hier war es wichtig, Netzwerke zu bilden und die unterschiedlichen Beteiligten als selbstbewusste und eigenständige Akteur*innen in einen gemeinsamen Rahmen einzubinden. Die US-amerikanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks, die dafür plädiert alle Adressatinnen und Adressaten als aktive und eigenständige Personen wahrzunehmen und verschiedene Sorten an Wissen miteinander ins Gespräch zu bringen, war hier eine große Inspiration.[2]
In der Planungsphase des Projekts lag der Fokus auf dem aktuellen Stand der Geschlechtergerechtigkeit in einem bestimmten Stadtteil. Im Projektverlauf weitete sich dieser Schwerpunkt zunehmend aus, sodass viele weitere friedensrelevante Aspekte thematisiert werden konnten. Zentral hierfür war die Etablierung von friedvollen, diskursiven Räumen, die einen sachlichen Austausch in heterogenen Gruppen ermöglichen. Das Projekt „Comrade Conrade“ konnte wesentlich dazu beitragen, wechselseitiges Vertrauen zwischen Ortsansässigen und Vertreter*innen der Politik auf Bezirksebene und der Verwaltung aufzubauen. Das gesammelte Wissen soll nun in Form einer Publikation wieder in die Stadt eingebracht werden, um auch andere zu inspirieren, sich an der Gestaltung des öffentlichen Raums zu beteiligen.
[1] Massey, Doreen. 1994. „Space, Place and Gender” In: Belina, Bernd / Naumann, Matthias und Anke Strüver (Hrsg.): Handbuch Kritische Stadtgeographie. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.
[2] hooks, bell. 2010. Teaching Critical Thinking: Critical Wisdom . New York/London: Routledge.
Über die Autor*innen
Nicole Pruckermayr studierte Biologie, Architektur, Visuelle Kultur und Kunstanthropologie. Zwischen 2004 und 2012 unterrichtete sie als Universitätsassistentin am Institut für Zeitgenössische Kunst /TU Graz vorwiegend Kunst im öffentlichen Raum. Derzeit lebt sie als freischaffende Künstlerin und Kuratorin in Graz/Österreich.