Kinderrechte ‘under attack’ in Zeiten des konservativen Wandels
Von Evgeniya Gataulina
Mit der zunehmenden Popularität konservativer Ideen geraten internationale Kinderrechtsnormen unter Kritik. Die Gegenüberstellung von Kinderrechten und Elternrechten ist ein gängiges Argument, das sowohl in liberalen Demokratien, als auch in autoritären Staaten zu hören ist. Während in Deutschland öffentliche Auftritte gegen Kinderrechte vereinzelt und ohne politische Konsequenzen bleiben, ist es Kinderrechts-Opponenten in Russland gelungen, die Verabschiedung mehrerer progressiver Gesetze zu stoppen. Was steht hinter ihren Forderungen? Und was kann man gegen die Diskreditierung der Kinderrechte tun?
Ablehnung trotz Anerkennung
Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) von 1989 ist das einzige UN-Menschenrechtsabkommen, das alle Staaten der Welt – außer den USA – ratifiziert haben. Folgt man dem Spiralmodell des Menschenrechtswandels[1], sollten Kinderrechtsnormen nach der Ratifizierung im jeweiligen Staat zunächst einen präskriptiven Status erhalten. In der Praxis bedeutet das zum einen, dass die nationale Gesetzgebung in Einklang mit internationalen Normen gebracht wird. Zum anderen gehört auch die Anerkennung der Gültigkeit der Normen im administrativen und bürokratischen Diskurs zu den nachfolgenden Umsetzungsschritten. In der letzten Spiralkurve verringert sich die Kluft zwischen Rhetorik und der tatsächlichen Praxis weiter. Sowohl nationale Regierungen, als auch Rechtsgewährer wie beispielweise Verwaltungsbehörden richten nun ihr Verhalten an die neuen Normen, so dass systematische Kinderrechtsverletzungen nicht mehr vorkommen (vgl. Risse/Jetschke/Schmitz 2002: 43; Heller 2008: 50).
Formal anerkannt, wird die UN-Kinderrechtskonvention in den letzten Jahren dennoch zunehmend Gegenstand öffentlicher Kritik in bestimmten konservativen Kreisen. Mit der Distanzierung von ‚westlichen Ideen‘, stellen sich immer mehr Staaten als Protagonisten ‚traditioneller Werte‘ dar, die mit den internationalen Menschenrechtsnormen vermeintlich nicht vereinbar seien (vgl. Stachursky 2013; von Heusinger 2015). Einschränkende Handlungsbedingungen – sogenannte shrinking spaces – für aus dem Ausland geförderte menschen- und kinderrechtsorientierte Nichtregierungsorganisationen sind eine direkte Folge dieses Abschottungskurses. Die Einführung einer restriktiven NGO-Gesetzgebung findet zurzeit nicht nur in autoritären Staaten wie Russland, der Türkei oder Ägypten statt, sondern ist auch ein Teil der Nationalpolitik in den EU-Staaten Ungarn und Rumänien (vgl. Toksabay/Sezer 2016; Terre des hommes 2017; Human Rights Watch 2017).
Aus Sicht der KritikerInnen gefährden Kinderrechte und ihre BefürworterInnen das konventionelle Familienbild und die althergebrachte Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Kindern und ihren Eltern. Auch in liberalen Demokratien greifen konservative politische und zivilgesellschaftliche Akteure dieses Argument auf, wenn sie Kinderrechte versus Elternrechte ausspielen. Elternrechte verstehen konservative Opponenten nicht als „ein pflichtgebundenes, treuhänderisches Recht, […] das seine Grenzen am Wohl des Kindes findet“ (Maywald 2016: 1340). Vielmehr betonen sie uneingeschränkte Rechte von Eltern über ihre Kinder, die ausschließlich als Objekte der elterlichen Erziehung – und nicht als Subjekte mit eigenen Rechten – wahrgenommen werden. Körperliche Züchtigung gehört hierbei zu den natürlichen, traditionellen Erziehungsmethoden.
Appelle, die Familie als eine Einheit gegenüber individualisierten Menschenrechten ihrer Mitglieder zu schützen, bilden die Grundlage für zahlreiche pro-family NGOs. So protestiert die US-basierte NGO „Family Watch International“ gegen alle Familienformen, die von einer Ehe zwischen Mann und Frau abweichen, und kritisiert die „Menschenrechtssprache“ und die „verdeckte Agenda“ der Vereinten Nationen (vgl. Huffington Post 2011). Unter dem Deckmantel des Kinder- und Familienschutzes vertrete sie „xenophobe, frauenfeindliche, homophobe, rassistische oder nationalistische Ansichten“ und trage zur Aufrechterhaltung der Diskriminierung von Frauen und Kindern bei, kritisiert das internationale Advocacy-Netzwerk Child Rights Information Network diese NGO (CRIN 2017). In Deutschland tritt beispielweise die AfD-Politikerin Beatrix von Storch öffentlich gegen Kinderrechte auf, in dem sie u.a. Tweets postet wie: „Kinder HABEN Rechte, weil sie Menschen sind. Aber wer extra „Kinderrechte“ fordert, will Rechte gegen Eltern. Daher: NEIN zu Kinderrechten.“ Während hierzulande solche Aussagen als marginaler Diskurs erscheinen und eine große Empörungswelle hervorrufen, finden kinderrechtsfeindliche Parole in einigen anderen Staaten eine breite öffentliche Unterstützung. Am Beispiel Russlands wird im Folgenden gezeigt, wie eine kinderrechtsfeindliche Bewegung entsteht und welchen Einfluss sie auf den politischen Entscheidungsprozess gewinnen kann. Die Analyse stützt sich auf ExpertInnen-Interviews mit VertreterInnen von russischen kinderrechtsorientierten NGOs, die im Rahmen einer Feldforschung in der ersten Jahreshälfte 2014 durchgeführt wurden.
Anti-juvenile Bewegung in Russland als eine neue „zivilgesellschaftliche“ Macht
Nach einem Jahrzehnt der demokratischen Reformversuche in den 1990er Jahren vollzog sich seit Beginn der Amtszeit von Wladimir Putin im Jahr 2000 eine konservative Wende (vgl. Bluhm 2017). In der politischen Sprache des Kremls sind westlich geprägte Begriffe wie liberale Demokratie, offene Gesellschaft und sogar Menschenrechte schrittweise zu „damaged goods“ geworden (Pomerantsev 2012). Stattdessen werden Stabilität, Ordnung, traditionelle Werte und Patriotismus zu den neuen Slogans des offiziellen Diskurses. Dabei vermischt die staatliche Propaganda antiwestliche und antiliberale Vorstellungen, Homophobie, Pädophilie und Anti-Amerikanismus in einem Topf und prangert die Unsittgkeit des Westens an (vgl. Gudkov/Rogov 2014).
Im Rahmen dieses konservativen Wandels ist eine neue Strömung in der russischen zivilgesellschaftlichen Community entstanden. Aus Sicht von befragten Kinderrechts-Aktivisten handelt es sich um „eine neue wahnsinnige Macht“, aggressive „Kettenhunde“ oder gar „gruselige Fanatiker“ unter der Leitung von „dunklen Gruppenführern“, die sich für den „Erhalt patriarchaler Grundlagen der Familie“ einsetzen und massive Unterstützung sowohl in der Bevölkerung, als auch im Kreml selbst erfahren. Da diese konservativen, anti-westlichen Organisationen sich als Gegner der Juvenilen Justiz – im Deutschen der Jugendgerichtsbarkeit – positionieren, bezeichnen sie sich als eine anti-juvenile Bewegung. Zusammengefasst verstehen sie sich als eine patriotische, anti-westliche, konservative, christlich orthodoxe Bewegung zum Schutz traditioneller Familienwerte.
Neben der „Verteuflung“ des Westens bildet die Kritik gegenüber staatlichen Vormundschafts- und Pflegebehörden die ideologische Basis der anti-juvenilen Bewegung. Diese Behörden, die an deutsche Jugendämter erinnern, haben aufgrund ihren willkürlichen Methoden einen schlechten Ruf, vor allem weil sie den Entzug des Sorgerechts lange als ihr Hauptmittel gegenüber Familien in Krisensituationen benutzt haben. Die Anführer der konservativen Bewegung verknüpften die anti-westliche Rhetorik mit der Angst gegenüber den Vormundschaftsbehörden. Sie verpönten aufgrund dessen jegliche Einmischung in die inneren Familienangelegenheiten als ‚juvenile Justiz‘. Losgelöst bzw. entkoppelt von seinem ursprünglichen Sinn, wird „juvenile Justiz“ zu einem Sammelbegriff, den seine Gegner mit neuen Inhalten füllen und mit der Hinterfragung der elterlichen Autorität gleichsetzen. Aus ihrer Sicht benutzten westliche Staaten Kinderrechte als Deckmantel, um Familien zu zerstören. Kinderrechte seien daher für Russland inakzeptabel.
Advocacy-Kampagnen gegen Kinderrechte
Der Wendepunkt der anti-juvenilen Kampagne fand im Zeitraum 2011-2012 statt, als Sergej Kurginjan, der Gründer der Bewegung „Das Wesen der Zeit“, Gegendemonstrationen zu massenhaften Protesten gegen die manipulierten Duma-Wahlen[2] organisierte. Kurginjan ist als ein überzeugter Verfechter des sowjetischen Erbes bekannt, der zwar „keine offizielle [politische] Position“ hat, dessen Ansichten jedoch „sehr nahe bei der ideologischen Position des Kremls“ liegen (Schmid 2015: 110). Während Kurginjan die ersten Kundgebungen als „anti-orange“ (in Anspielung an die orange Revolution in der Ukraine) bezeichnete und aktiv für Putin warb, änderte sich seine Rhetorik im Mai 2012, als er zum ersten Mal gegen die Einführung der Normen der juvenilen Justiz protestierte. Er rief damit eine gezielte Diskreditierungs-Kampagne gegen zwei Gesetzentwürfe ins Leben, die zu diesem Zeitpunkt im russischen Parlament diskutiert wurden. Konkret ging es dabei um das Gesetz über den sozialen Patronat und das Gesetz über die öffentliche Kontrolle in staatlichen Waiseneinrichtungen.
In der Darstellung der Bewegung „Das Wesen der Zeit“ drohten diese Gesetze traditionelle Familienwerte in Russland zu zerstören. Tatsächlich zielten sie darauf ab, zum einen Familien in Krisensituationen zu unterstützen und zum anderen Kinderrechte in staatlichen Internatsanstalten einzuhalten. Beide Gesetzentwürfe waren ein Ergebnis langjähriger Lobbying-Bemühungen russischer Kinderrechts-NGOs und entsprachen sowohl den internationalen Normen als auch den Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschusses. Im Rahmen der anti-juvenilen Kampagne organisierte „Das Wesen der Zeit“ Demonstrationen, Protestposten und Konferenzen in mehreren russischen Städten und sammelte über 200 000 Unterschriften gegen die oben genannten Gesetzentwürfe. Laut einem Mitglied der Gesellschaftskammer bekamen Duma-Abgeordnete – obwohl sie diese Gesetze zuerst unterstützten – „Angst, weil diese Menschen anfingen sie zu belagern, ihnen Petitionen zu schicken, Kundgebungen und Prozessionen gegen all das [zu] organisieren“ (Interview A, 29.05.2014). Sogar Präsident Putin, der am 28. Dezember 2012 der Staatsduma empfiehl, beide Gesetze vorrangig auszuarbeiten, änderte kurz danach seine Meinung. Schließlich lehnte die Duma beide Gesetzentwürfe ab.
Die medienresonanten Unterschriftsaktionen mündeten in der Gründung der Bewegung „Allrussischer Eltern-Widerstand“ am 9. Februar 2013. Da die anti-juvenile Rhetorik sich als ein höchst wirksames Mobilisierungsinstrument bewiesen hat, nutzte Kurginjan den günstigen Moment, um eine Schwestern-Organisation seiner eigenen Bewegung „Wesen der Zeit“ zu gründen, an deren Spitze er seine Frau – Maria Mamikonjan – einsetzte. Möglicherweise schien ihm eine ‚Eltern-Bewegung‘ ein besseres Format zu sein, um auch politikferne Menschen zu erreichen, die sich von den stark politisierten Forderungen des „Wesens der Zeit“ nicht angesprochen fühlen. Mit seinen Ängste schürenden Warnungen über die Gefahr für russische Familien und Kinder[3] hat Kurginjan einen Weg gefunden, weitere Menschen für seine Zwecke zu mobilisieren. Erstaunlich findet ein Kinderrechtsaktivist die Position von Präsident Wladimir Putin, der diese „Schickeria, diesen Sabbat halbkranker, marginaler Menschen“ besuchte und damit „versicherte: ‚Leute, ich bin mit euch‘“ (Interview B, 19.06.2014).
Zu den markantesten Lobbying-Aktivitäten des „Allrussischen Eltern-Widerstands“ gehörte die Kampagne gegen das umfassende Gesetzespaket, das physische Gewalt in Familien verbieten sollte. Ihr Hauptargument gegen das „Popoklatsch-Gesetz“, wie sie es verniedlichend bezeichnete, besteht in der Behauptung, dass das Gewaltverbot ein Teil einer massiven Kampagne gegen russische Familien sei und die überwiegende Mehrheit der Russen ‚leichte Formen der Gewalt‘ nicht verurteile. Führende Figuren der Russisch-Orthodoxen Kirche äußerten ebenso ihre Kritik gegen das Gesetz, das „russische Familien gefährde“ (Johnson 2017: 2). Die konservative Bewegung rechnete es schließlich als ihren Erfolg an, dass im Januar 2017 ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das Gewalt in der Familie „von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufte“ und damit de-kriminalisierte (Kosterina 2017: 4).
Durch massenhafte Advocacy-Kampagnen gegen kinderrechtsorientierte Politik demonstriert die anti-juvenile Bewegung ihren wachsenden Einfluss. Ihr offensichtliches Ziel besteht darin, die althergebrachten, auf Diskriminierung basierenden Machtverhältnisse im privaten und öffentlichen Raum aufrechtzuerhalten und die Kinderrechtsidee zu diskreditieren. Beispielweise schlug eine Bewegungsanhängerin dem ersten Kinderrechtsombudsmann Alexej Golovan vor, dass Russland aus der UN-Kinderrechtskonvention austreten sollte. Dafür versprach sie ihm „ein Denkmal“ (Interview B, 19.06.2014).
Unterstützung trotz Widersprüche
Trotz vielfacher Widersprüche und der inkonsequenten Argumentation der anti-juvenilen Organisationen verfügen sie über hunderttausende Sympathisanten in der russischen Gesellschaft. Die interviewten NGO-ExpertInnen sehen dafür zwei Hauptgründe. Zum einen bilden die anti-westliche Hysterie und der eifrige Patriotismus einen wesentlichen Teil des offiziellen Isolationskurses. Odiöse Figuren wie Kurginjan und Mamikonjan können daher auf den Rückhalt des Staates zählen, sei es in Form von finanziellen Zuwendungen oder einer offenen Zustimmung. Immer öfter treten einflussreiche Personen aus Politik, Justiz und Religion wie der Vorsitzende des Verfassungsgerichts Valery Zorkin bei anti-juvenilen Veranstaltungen auf und kritisieren den Westen für die „Einmischung (…) in durchaus glückliche Familien“ (RBK 2016). Zum anderen sehen die befragten NGOs in der „Unwissenheit“ der Menschen einen weiteren Grund für ihre Popularität, insbesondere unter Gläubigen, die leicht zu Opfern von Manipulationen werden. Als Gegenstrategie halten die NGO-Aktivisten es für notwendig, die inneren Widersprüche und die verdeckten Ziele der anti-juvenilen Bewegung aufzudecken und öffentlich zu benennen sowie die Reformideen faktenbasiert und praxisnah zu artikulieren. Mit anderen Worten, kinderrechtsorientierte Werte und Normen brauchen Befürworter vor Ort, die lokale Missstände mit dem globalen Kinderrechtsdiskurs verknüpfen und einen alternativen Diskurs zur anti-westlichen Rhetorik entwickeln.
Fazit
Das Ausspielen von Kinderrechten gegen Elternrechte und die Gleichsetzung von Kinderrechten mit der Einmischung des Staates in private Familienangelegenheiten sind die häufigsten Argumente von den konservativen Kinderrechts-Opponenten. Vielmehr versucht die UN-KRK eine delikate Balance zwischen dem Recht des Kindes auf eine Familie und der primären Rolle der Familienintegrität einerseits und den besten Interessen des Kindes andererseits zu finden. Die Konvention hebt hervor, dass Familie die wünschenswerteste und geeignetste Umgebung für das Kind sei (Präambel). Sie verpflichtet Vertragsstaaten, alle möglichen Maßnahmen zu unternehmen, um die Familie zu unterstützen und ihren Kollaps zu vermeiden (Art. 18, 27). Gleichzeitig tritt das Kind als ein autonomer Rechtsträger auf, der – zugespitzt – kein Besitz seiner Eltern ist und daher von Misshandlungen und Vernachlässigungen auch im familiären Kontext geschützt werden muss (vgl. Schapper 2014; Holzscheiter 2010; Cantwell/Holzscheiter 2008).
Kinderrechtsfeindliche Äußerungen und Kampagnen sind für konservative Akteure üblich, die einem gesellschaftlichen sowie politischen Wandel entgegenwirken wollen. Wie die oben erwähnten Beispiele zeigen, findet die Hinterfragung der Kinderrechte sowohl in autoritären Staaten, aber auch zum Teil in liberalen Demokratien statt. Aus meiner Sicht ist die effektivste Methode gegen diese Erscheinung, Kinderrechte mit lokalen Problemen zu verknüpfen und ihren Nutzen für eine Problemlösung in konkreten Bereichen darzulegen. Zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Organisationen steht hierbei eine besondere Rolle als Normen-Lokalisierer oder Normen-Übersetzer zu. Durch ihre konkrete, tägliche Arbeit – sei es mit Einzelfällen oder bei der Bekämpfung systemischer Missstände – können sie Kinderrechte „mit Leben“ füllen. In vielen Gesprächen mit MitarbeiterInnen deutscher und russischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die direkt mit Kindern und Familien arbeiten, stellte ich fest, dass sie über die Existenz der Kinderrechtsnormen meistens Bescheid wissen, sie jedoch oft nicht als handlungsleitend für ihre Arbeit sehen. Um das zu ändern, müssen sich diese Organisationen natürlich erst selber mit kinderrechtlichen Themen auseinandersetzen, z.B. im Rahmen von Weiterbildungen, Austauschprogrammen oder Tagungen. Bereits im Studium sollen zukünftige pädagogische, medizinische und andere Fachkräfte mit Kinderrechten in Berührung kommen und sich Gedanken über ihre Anwendbarkeit in ihrem Fachgebiet machen. Beispielhaft dafür steht der berufsbegleitende Masterstudiengang „Kinderschutz“ an der Alice-Salomon-Hochschule oder das Masterprogramm „Childhood Studies and Children’s Rights“ an der Universität Potsdam. Abgesehen von sporadischen Seminaren zu Kinderrechtsthemen findet eine solche Auseinandersetzung an deutschen Hochschulen sonst eher selten statt. Ereignisse wie das Kinderrechte-Filmfestival in Berlin und Brandenburg bieten eine wunderbare Möglichkeit für pädagogische Fachkräfte und alle Interessierte, sich diesem Thema aus einem neuen Blickwinkel – aus der Perspektive der Kinder selbst – zu nähern (vgl. Bachner 2017). Besteht in der Gesellschaft ein breites Verständnis, was Kinderrechte im Großen und im Kleinen bedeuten und bewirken können, haben kinderrechtsfeindliche Aussagen und Appelle keine Chance.
[1] Die fünf aufeinander aufbauenden Phasen verlaufen von (1) Repression, über (2) Leugnen und (3) Taktische Konzessionen bis zum (4) Präskriptiven Status und dem (5) Normgeleiteten Verhalten (Risse/Ropp/Sikkink 1999, Risse/Jetschke/Schmitz 2002: 31-45, Risse/Ropp/Sikkink 2013: 5-22).
[2] Nach der sogenannten Rochade am 24. September 2011, als der damalige Kremlchef Dmitri Medwedew Wladimir Putin als Kandidaten für die Präsidentenwahl 2012 vorgeschlagen hat, um ihn beim Posten des Regierungschefs ‚abzulösen‘, mehrten sich kritische Stimmen in der Bevölkerung (vgl. Lenta 2011). Die offensichtlich manipulierten und gefälschten Dumawahlen am 4. Dezember 2011 dienten als ein Auslöser für die größten Protestaktionen seit dem Zerfall der Sowjetunion (vgl. Lipman 2012).
[3] So behauptet Kurginjan im Interview dem Ersten Kanal, dass man „im Westen“ Kinder von ihren Familien trenne, wenn die Mutter ihre Kinder „zu sehr liebt“ oder wenn die Eltern ihr Kind mahnen, seine Hände vor dem Essen zu waschen (Pervij Kanal 2012).
Quellen
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Über die Autor*innen
Evgeniya Gataulina hat Internationale Beziehungen an der Universität Bremen/Jacobs Bremen University sowie an der Udmurtischen Staatlichen Universität in Russland studiert. Sie promoviert an der Freien Universität Berlin zum Thema „Die Rolle internationaler Kinderrechtsnormen für Advocacy-NGOs in Russland“. Zwischen 2013 und 2017 war sie Promotionsstipendiantin der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie arbeitete haupt- und ehrenamtlich in verschiedenen Kinderrechts-NGOs wie Save the Children und Kindernothilfe und engagiert sich für geflüchtete und migrierte Familien.