Mit Gefühl gegen Vorurteile und Rassismus

Das internationale Jugendbegegnungsprojekt - „Wie lebst denn Du? – Die Geschichte des Anderen verstehen lernen“

Von Stefanie Landgraf und Johannes Gulde

Im Schul- und Lebensalltag gilt: Wir lernen nicht nur mit dem Verstand. Fehlen Menschlichkeit und Mitgefühl, gleich ob für den Nachbarn oder den asylsuchenden Menschen, erleben wir soziale Ausgrenzung und Rassismus. Dies zeigen die zahlreichen Angriffe auf Geflüchtete, brennende Asylunterkünfte und vielfacher Hate Speech in den sozialen Netzwerken. Ohne Mitgefühl auch kein Miteinander.

Wie können wir Diskriminierung und Rassismus begegnen, wie bei Heranwachsenden Empathie und Mitgefühl fördern, die für ein friedlich-kooperatives Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft erlernt werden müssen? Wie können wir zu einem besseren zwischenmenschlichen Verständnis beitragen, frei von Vorurteilen und kulturellen Missverständnissen?

Gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut (dji) entwickelten wir in den 1980er Jahren im Münchner Norden, der als sozialer Brennpunkt galt, das interkulturelle Begegnungs- modell „Fremde und eigene Lebenswelten wahrnehmen und verstehen lernen“. Über kreativ-künstlerische Interaktionen, mit Rollenspiel und einer selbstbestimmten Video- und Medienarbeit förderten wir zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Kulturen eine Begegnungs- und Beziehungskultur, die ihnen eine Perspektive vermittelte, sich selbst und andere, die sie als „fremd“ wahrnehmen, besser kennenlernen und verstehen zu können. So taten sich z.B. in einer multikulturellen Freizeiteinrichtung die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sehr schwer, „Tätlichkeiten zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen“ zu unterbinden. Wir nahmen uns Zeit, die Abläufe im Freizeitheim kennenzulernen, erlebten die täglichen Ausgrenzungen und Rassismen, die das Verhältnis der Jugendlichen untereinander bestimmten[1].

Dann entschieden wir, mit beiden Gruppierungen zunächst getrennt zu arbeiten, jede Gruppe erst ihre eigene Spiel- und Kameraerfahrung, ihren eigenen Videofilm machen zu lassen - über Cliquen, Elternhaus, Schule, Ausländer oder Was ist Heimat? - und sie erst danach zusammenzuführen. Dieses Konzept trug Früchte. Schon in der ersten gemeinsamen Begegnung zeigten sich die türkischen und deutschen Jugendlichen gegenseitig ihre selbstgedrehten Videos, entdeckten dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede, z.B. „wenn in der Türkei Männer Arm in Arm gehen oder sich küssen so ist das nicht schwul sondern eine Geste für Freundschaft und Respekt“. Sie begannen einander zuzuhören, unterschiedliche Sichtweisen aufzunehmen und sich darüber auszutauschen. Mit einem gemeinsamen Video schlossen wir das Projekt ab.

Gelingt es, die eigene Lebensweise – und die damit verbundenen Werte und Normen – als eine unter vielen Möglichkeiten zu sehen und sie nicht zum Maßstab für andere zu machen, können Heranwachsende auch andere kulturelle Werte und Normen als gleichberechtigt gelten lassen und darüber hinaus eigene durchaus in Frage stellen. Dazu hat der Austausch über kulturelle Sitten und Gebräuche beigetragen, die je nach Herkunftsland sehr verschieden sind und oft zu Mißverständnissen führen.  Im Ergebnis zeigte sich, dass über aktive, selbstbestimmte Medienarbeit ein Dialog und ein sich gegenseitiges Verstehen möglich wurden. Spielten die deutschen und türkischen Jugendlichen Fußball zuvor nur in der eigenen Herkunftsgruppe, standen sie sich am Ende des Workshops als Mannschaften gegenüber, die zum ersten Mal nicht mehr getrennt, sondern gemeinsam auf einem Platz mit einem Ball spielten[2].

Dieses interkulturelle Begegnungsmodell haben wir im Rahmen unserer medienpäda- gogischen Arbeiten in nationalen und internationalen Workshops in Zusammenarbeit mit pädagogisch-künstlerischen Teams über die Jahre weiter entwickelt - gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, vom Auswärtigen Amt, der Robert-Bosch-Stiftung, Caritas Internatiomal, terre des hommes, Evangelische Landeskirche in Bayern und anderen. 

2016schließlich konnten wir das von uns entwickelte internationale Jugend-begegnungsprojekt „Wie lebst denn Du? – die Geschichte des Anderen verstehen lernen“ realisieren, das 2018/2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Praxisforschungsprojekt gefördert und von der Hochschule München unter Leitung von Prof. Dr. Constance Engelfried wissenschaftlich begleitet wurde.  

Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Workshops waren 16- bis 20-jährige Jugendliche mit Fluchterfahrung, die bei uns Schutz vor Terror, religiöser Verfolgung und Krieg suchten, und Jugendliche aus Bayern, Sachsen und Jordanien, die eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau, Bäckerin, zum Zimmerer, Kfz-Mechaniker oder ein berufsförderndes Jahr (BJV) absolvierten. Für Auszubildende hatten wir uns deshalb entschieden, weil sie bereits im Arbeitsprozess stehen und Berufsschulen im Gegensatz zu Realschulen und Gymnasien kaum Möglichkeiten haben, ihre Schüler und Schülerinnen an interkulturellen Begegnungs- und Austauschprogrammen im Ausland teilnehmen zu lassen. Ein wichtiges Projektanliegen für uns war, den Begegnungsprozess durchgehend mit Video zu dokumentieren und das Ergebnis als Medienpaket der Bildungsarbeit zur Verfügung zu stellen.

Das pädagogisch-didaktische Workshopkonzept von „Wie lebst denn du?“ beruhte auf körperbasiertem, kreativen und Sozial-Emotionalem-Lernen (SEL), das in Übereinstimmung mit neuesten Befunden der Hirnforschung steht und prägnant besagt: Wir lernen nur was uns berührt - ohne Gefühl geht gar nichts!  Warum? Weil erst Gefühle und emotionale Involviertheit tragfähige Lern- und Veränderungsprozesse ermöglichen, ebenso die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Auf dieser Grundlage können neue Einstellungen und Handlungsweisen erlernt und emotional verankert werden, die durch intellektuelle Einsicht allein nicht erreicht werden können. „Neues Wissen, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwirbt ein Mensch nur dann, wenn es ihn emotional berührt, wenn ihm etwas unter die Haut geht, wenn also die emotionalen Zentren in seinem Gehirn aktiviert werden“, so der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther in seinem Artikel „Lernen mit Begeisterung - Ein Plädoyer für eine neue Lernkultur“.  „Nur dann werden an den Enden der weitverzweigten Fortsätze der im Mittelhirn in den emotionalen Zentren lokalisierten Nervenzellen so genannte neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet... Deshalb kann man eigentlich nur dann etwas Neues lernen und eine neue Erfahrung in Form neuer Verschaltungsmuster im Hirn verankern, wenn man sich dafür begeistert...“

Der Workshop wurde von uns mit zwei Kameras dokumentiert, das Videomaterial (über 250 Stunden) in mehrmonatiger Arbeit zu einem Film aufbereitet, der auf mehreren Vorstellungen 2020/22 in unserem Studio und in einem Kino eine starke Resonanz auslöste, nicht nur bei pädagogischen Fachkräften. Der Film macht erstmals den Prozess des kreativen und Sozial-Emotionalen-Lernens auch als pädagogische Aufgabe sicht- und nachvollziehbar. In fünf Kapiteln(165 Minuten) vermittelt er den Prozess von Widerstand und Annäherung, den die Jugendlichen in der Begegnung durchlaufen. Alle wurden vom pädagogisch - künstlerischen Team gleichermaßen wertgeschätzt – ohneBewertungen und Belehrungen. Das hat es den Jugendlichen ermöglicht, ihre Lust am gemeinsamen Gestalten zu entdecken, ihre Talente zu entfalten: Im Rollenspiel, pädagogischen Boxen und Tanzen, Malen, Impro-Theater und Poetry/Rap, über den sie sich über alle Sprach- und Kulturgrenzen hinweg verständigen konnten. Die Jugendlichen erlebten, wie es sich „anfühlt, wenn ich etwas Neues in der Gruppe ausprobiere“, fanden es „toll“, wenn etwas, das „wir zum ersten Mal machen“, mit Unterstützung des Teams „schließlich klappt“.

Am ersten Tag im Workshop war die Atmosphäre noch spürbar gespannt. Keiner kannte die anderen.  Die 17- jährige Yarah aus dem Bürgerkriegsland Syrien erzählt in Kapitel 1 im Film stockend: „Wir sind Christen... und viele in unserem Dorf wurden getötet…wir hatten Angst, ganz schreckliche Angst ...wollten nur weg vom Terror und Krieg“. Nach einer sehr langen Pause die Reaktion der Jugendlichen aus Sachsen und Bayern: „Wir kennen Krieg nur aus dem Fernsehen... Es ist schwer, sich in eine solche Situation reinzuversetzen“.  Kurz darauf: Der Choreograf und Tänzer Deniz - in der deutschen und türkischen Kultur zu Hause - motiviert die Jugendlichen, ihre Gefühle, die sie mit Angst verbinden, in Mimik, Gestik und einer Tanzbewegung zum Ausdruck zu bringen. Das hat das Eis gebrochen. In der Folge begannen die Jugendlichen einander zuzuhören, sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszutauschen und voneinander zu lernen. Stereotype und Ängste begannen sich aufzulösen und ein Gefühl des „Gemeinschaftlichen“ verankerte sich.

Das künstlerisch-pädagogische Programm förderte bei den Jugendlichen ein kreatives Selbsterleben, das die Grenzen der eigenen Erfahrung erweiterte. (Programmteil Wahrnehmung und Vorurteil / Andere Sitten und Gebräuche). Sie lernten mit den eigenen Emotionen, Ängsten, Stärken und Schwächen und denen der anderen umzugehen (Programmteil Tanz und pädagogisches Boxen), ebenso Konflikte fair und gewaltfrei zu lösen (Programmteil Im Schuh des Anderen). „Solche Prozesse“, so Hüther, „führen zur Herstellung von Kohärenz zwischen dem Fühlen und Denken, zwischen den alten Erfahrungen und den neuen...zwischen sich und dem Anderen, zwischen sich und seinem Körper, zwischen sich und der Welt ...“  „Wer das versteht", so der Neurobiologe, „versteht auch, warum man Menschen nichts beibringen kann, was ihnen nicht unter die Haut geht“.

Zu einer zentralen Erfahrung für die Gruppe wurde ihreBegegnung mit Auszubildenden in Jordanien, „wo", wie sie sagten, "Islam und Kopftuch zu Hause sind“, zu einem einschneidenden Erlebnis der Besuch des Flüchlingslagers Al Za'atari in einer Wüstenregion an der syrischen Grenze. Er löste Empathie und einen kritischen Blick, beispielsweise auf Lebensverhältnisse aus, die Menschen veranlassen zu fliehen, um Schutz in anderen Ländern zu suchen.  

 

Leon: "Krass wie die Menschen leben, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie dort keine Zukunft mehr haben“

Firaz: "Ich habe einen Jungen gefragt, wie sie mit der Hitze zurechtkommen, da die Container aus Blech sind. Und sie haben keine Ventilatoren. Und im Winter regnet es rein. Wenn es dann drei bis vier Stunden lang regnet, können sie nicht schlafen, weil überall das Wasser reinläuft..."

Chris: "Ich muss ehrlich sagen, es war eine Erfahrung, die ich vorher nicht machen konnte. War krass."

Yazan: "Was wir im Fernsehen sehen, ist ganz anders als was wir hier erlebt haben." 

Moussa: "Also ehrlich, im Fernsehen sehen die Container viel schöner aus. Die Berichte zeigen nicht, wie es wirklich ist. Sie vermitteln uns nur, was sie wollen, dass die Flüchtlinge normal und gut leben können.... Ich finde die Situation dort eine Katastrophe."

 

Im 5. Teil des Films kommen die jordanischen Jugendlichen zum Gegenbesuch nach Deutschland. „Ein Traum“, wie sie immer wieder sagten, der sich für sie nun erfüllt. Deutschland oder andere europäische Länder kennen sie nur von Youtube–Filmen oder aus dem Fernsehen. In der Gruppe tauschen sie sich über ihre ersten Eindrücke in Deutschland aus: 

 

Fayez: "Unterwegs ist mir aufgefallen, dass alle Kopfhörer tragen und Musik hören. Jeder ist für sich. Bei uns im Bus sprechen alle miteinander, hier ist es ganz ruhig. Das gefällt mir sehr." 

Hadeel: "Bei uns kann man auch im Bus Musik laut hören. Bei euch nicht. Warum?"

Leon: "Weil die Leute einfach ihre Ruhe haben wollen."

Yazan: "Das Schönste in Deutschland ist die Natur, alles ist Grün. Das ist bei uns leider nicht so. Unser Land besteht aus viel Wüste und Dornensträuchern. Und trotzdem leben da auch Menschen!"

Yazan: "Was mir bei den Deutschen gefällt, ist ihre Zuverlässigkeit....Wenn du ein Taxi bestellst und es heißt in 5 Minuten, dann kommt es auch in 5 Minuten. Das finde ich toll."

Firaz: "Wenn sich hier jemand daneben benimmt, zu laut wird oder Müll auf die Straße wirft, dann wird er gleich darauf angesprochen. Sie sagen ihm, dass es Regeln gibt...   Wer Ordnung liebt, kann hier durchaus was lernen."

Moussa: "Hier läuft alles nach Regeln. Das macht mich nicht so an. Ich bin mehr ein Chaot."

 

Im Ergebnis vermittelt der Film:

*  Unterschiede zwischen den Kulturkreisen konnten als Bereicherung erlebt werden

*  Vertrauen in die eigene kreative Gestaltungs- und Urteilskraft entstand

*  Offenheit, den Geschichten der Anderen zuzuhören

*  Mut, die eigene Geschichte zu erzählen

*  Respekt und Empathie für die Lebenswelt der anderen Jugendlichen  

*  Über Gemeinschaftserfahrungen verankerte sich emotional das Erkennen und die

    Einsicht, dass Menschen unterschiedlich, aber gleichwertig sind

*  Es möglich ist, mit Unterschieden zu leben

*  Wir alle das gleiche Bedürfnis nach „Anerkennung, Respekt und Liebe“ haben.

 

Die wissenschaftliche Begleitforschung kommt zu ähnlichen Ergebnissen und hebt hervor, dass der von uns gewählte künstlerisch-pädagogische und sozial-emotionale Ansatz geeignet ist, „das Selbstbewusstsein von Jugendlichen zu stärken... neue Zugänge zur eigenen und fremden Körperlichkeit zu eröffnen...neue Bindungen aufzubauen...die peer-group als Aushandlungsraum für die Erprobung von Differenz und Übereinstimmung sowie die Entwicklung von solidarischem Handeln zu erleben...und sich mit eigenen rassistischen und fremdenfeindlichen Vorurteilen produktiv auseinanderzusetzen.[3]

Was sie aus dem Workshop mitnehmen, was sie am meisten emotional berührt hat, berichteten die Jugendlichen einzeln in einem kurzen Auftritt vor der ganzen Gruppe. Im Hintergrund das große Bild, das sie gemeinschaftlich zum Thema „Heimat“ über die Dauer des Workshops gemalt haben - manchmal ein Ort, an dem sie sich wohl und zu Hause fühlten, dann wieder ein Sehnsuchtsort, aus dem sie vertrieben oder flüchten mussten.  Wem die Stimme versagte, wurde von der Gruppe in den Arm genommen. Beeindruckt hat uns ihre Schlussperformance mit Tanz- und Boxkompositionen, spielerischer Pantomime und Rap, in denen sie mit eigenen Texten ihre Begegnungserfahrung reflektierten. (Kapitel 5 im Film). Auszug aus einem ihrer Raps:

 

... der Tourischeiß ist jetzt vorbei,

wenn ich was gelernt hab ist es Menschlichkeit,

nicht nur Sehenswürdigkeiten und gutes Essen,

wir sind mit 80.000 Syrern in einem Camp gesessen,

wir haben viel gesehen, wir haben nachgedacht,

wir haben eine Sache klargemacht:

Fremde sind nur Freunde,

die wir noch nicht kennengelernt haben ....

 

Vom Workshop haben alle profitiert. Die Geflüchteten, die mehrheitlich - obwohl schon einige Jahre bei uns - keine Deutschen kannten, die Jugendlichen aus Sachsen und Bayern, die – bis auf zwei Ausnahmen – nie zuvor Geflüchteten begegnet sind, die zuvor die Straßenseite wechselten, weil „Angst vor Ausländern“ ihr Verhalten bestimmte.

Am Ende des Workshops konnte die 17-jährige Yarah aus dem Bürgerkriegsland Syrien ihrer Angst vor rassistischer Hetze und Rufen wie „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ - ob auf Facebook oder auf der Straße – eine neue und ermutigende Erfahrung entgegenstellen: „Ich habe erlebt, dass es hier wirklich viele Leute gibt, die mir das Gefühl geben, dass ich hier auch Heimat finden kann“. Auch Jahre danach noch stehen die Jugendlichen miteinander in Verbindung: Facebook & Co machen es möglich.       

Eine Fotogalerie mit Impressionen aus dem Jugendbegegnungs-Workshop

"Wie lebst denn du?"  hier!

Abschließend noch ein Hinweis zu unserem Praxis-Workshop "Mit Gefühl gegen Vorurteile und Rassismus", den wir nach der quarantänebedingten Zwangspause wieder bundesweit durchführen.

Wir vermitteln: Kreatives und sozial-emotionales Lernen fördert den gesunden Ausgleich zwischen Körper, Gefühl und Verstand für eine gelingende Bildung, unterstützt die Entwicklung und Durchführung „unterrichtsergänzender Zusatzangebote“, die die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) im Rahmen der „Aufholprogramme Coronabedingter Lernrückstände“ jetzt verbindlich fordert, “weil bei Kindern und Jugendlichen durch die Kontaktbeschränkungen auch die psycho-soziale Entwicklung... die sozial-emotionale Entwicklung... und körperlich-motorische Entwicklung durch lange Phasen ohne Präsenzunterricht besonders belastet wurde“.

Deutlich vernehmbar wird die Forderung nach einer „bildungspolitischen Trendwende“[4]. Unser Bildungssystem ist gut darin, kognitive, vor allem sprachliche und logisch-mathematische zu entwickeln. Es ist darauf ausgerichtet, den Verstand auszubilden und blendet Körper und Emotionen weitestgehend aus. Lebenskompetent ist aber nur, wer über kreative und sozial- emotionale Kompetenzen verfügt, d.h. wer „(…) sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft, erfolgreich Probleme löst und Gefühle und Stress bewältigen kann.“[5]. Dies wird längst in einigen europäischen Ländern und in den USA im Unterricht vermittelt, mit großem Erfolg, wie viele Studien belegen, zuletzt die Studie der OECD zu sozialem und emotionalem Lernen 2021[6]. Schon seit Jahren fordert die OECD deshalb Deutschland auf, den systemischen Ansatz des kreativen und sozial-emotionalen-Lernens viel umfassender in das Bildungssystem zu implementieren.

Was kreatives und sozial-emotionales-Lernen zu leisten vermag, vermitteln wir mit unserem Film aus dem Medienpaket „Wie lebst denn du? Das Narrativ des Anderen verstehen lernen“. Er ermöglicht erstmals ein unmittelbares „Miterleben der Prozesse, den deutsche Jugendliche in der Begegnung mit Flüchtlingen“ und einer ihnen „unbekannten Kultur in Jordanien durchlaufen“. Er macht „die sozialen und emotionalen Verhaltensänderungen sichtbar“, die sich bei ihnen durch das pädagogisch - künstlerische und kreative Begegnungskonzept einstellen (Feedbacks aus den Workshops). Hervorgehoben wurden auch die „konzeptionellen und didaktischen Handreichungen“, die über den Film und die pädagogischen Begleitmaterialien im Medienpaket für die Unterrichtspraxis vermittelt werden.

Der Workshop wird von uns in unterschiedlichen Formaten durchgeführt, als Tagesseminar oder mit tanzpädagogisch ausgebildeten Künstlern oder Künstlerinnen als kreativerWochenendworkshop. Im kreativen und körperorientierten Spiel können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen z.B. in Tanzbildern ihre Gefühle wie Angst, Abwehr, Freude oder Zum-Leben-Erwachen zum Ausdruck bringen und dabei den Ansatz des kreativen, sozialen und emotionalen Lernens selbstreflektierend erleben, der den Jugendlichen im Film eine Perspektive vermittelt, sich selber und „andere“, die als „fremd“ und bedrohlich wahrgenommen werden, besser verstehen und kennenlernen zu können.

Der Workshop richtet sich an Lehrkräfte aller Schultypen, sozialpädgogische Fachkräfte in der offenen Jugendarbeit, an Hochschulen für Pädagogik und Sozialpädagogik, ebenso an alle Interessierte.

 

© Stefanie Landgraf und Johannes Gulde, Mai 2023

Terra Media Akademie e.V.

Mail: info@terramedia-akademie.de   Phone: +49 (0) 89 354 3118

Internet: www.terramedia-akademie.de  und  www.terramedia-online.de

[1] Mehr unter: www.terramedia-akademie.de/elementor-796/aktive-videoarbeit-in-einem-multinationalen-kinder-

und-jugendhaus/

[2] vgl. Barthelmes et al. / Medienpädagogische Materialien zur Aus- und Fortbildung von Erziehern. Dazu der Film von Johannes Gulde und Stefanie Landgraf: „Videoarbeit in einem multikulturellen Kinderhaus“

[3] Constance Engelfried, Hrsg., Das Narrativ des Anderen kennenlernen, Wirkungsforschung in einem deutsch-jordanischem Jugendbegegnungsprojekt, Verlag Barbara Budrich

[4] Bundestagsdebatte 21.4.2023

[5] WHO 1994

[6] Beyond Academic Learning / First Results from the Survey of Social and Emotional Skills

Über die Autor*innen

Stefanie Landgraf, MA phil. der Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Philosophie und Johannes Gulde, Diplom der Hochschule für Fernsehen und Film, Medienpädagoge. Gemeinsame Entwicklung von Forschungsprojekten mit dem Deutschen Jugendinstitut (dji) und BMBF zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen. Prädikatisierte Medienpakete u.a. Agroforst - Kampf gegen Hunger und Dürre in Afrika (Deutscher Journalistenpreis Entwicklungspolitik) und Das historische Narrativ des Anderen verstehen lernen – Israelis und Palästinenser, gefördert u.a. von der Robert-Bosch-Stiftung, vom Auswärtigen Amt und der Evangelischen Landeskirche in Bayern. Projekt- und Filmarbeit mit kriegstraumatisierten Kindern in Mozambique, Rwanda, Libanon, Kongo, Sierra Leone und Flüchtlingskindern in Deutschland - in Zusammenarbeit u.a. mit Caritas International und terre des hommes. Langzeitdokumentationen und Medienpakete zur psycho-soziale Rehabilitation von Kindersoldaten und traumatisierter Kindersklaven in Afrika u.a. in Zusammenarbeit mit KIRA (Kinderrechte Afrika), UNESCO, Unicef.