Nichts gelernt? Libyen vier Jahre nach der Intervention

von Gregor Hofmann

Vier Jahre nach der Intervention in Libyen droht die internationale (Staaten-)Gemeinschaft in ihrer Verantwortung zur Prävention eines weiteren Blutvergießens zu scheitern.

Im Jahr 2011 hat der Sicherheitsrat in Libyen eine militärische Intervention mandatiert; erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen geschah dies mit einem Verweis auf die sogenannte Schutzverantwortung. Gegen den Willen einer amtierenden Regierung mandatierte der UN-Sicherheitsrat die Intervention mit der Begründung, die lokale Zivilbevölkerung schützen zu müssen. Dies wurde von vielen zunächst als Erfolg für die sogenannte Schutzverantwortung – die Responsibility to Protect gefeiert. Die internationale Gemeinschaft übernahm eben diese Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung vor schwersten Gräueltaten, da der libysche Staat im Vorgehen gegen die Opposition keine Rücksicht gezeigt hatte. Doch vier Jahre später macht sich Ernüchterung breit: In Libyen herrscht de-facto Bürgerkrieg. Angesichts der eskalierenden Lage steht die internationale Gemeinschaft nun wieder in der Pflicht ihrer Verantwortung zur Prävention neuer Gräueltaten in Libyen nachzukommen. Denn heute steht Libyen an einem Punkt an dem die wachsende Gewalt nicht nur in einem erneuten Bürgerkrieg weiter eskaliert, sondern in einen großangelegten Rachefeldzug ausufern könnte, unter dem vor allem wieder die Zivilbevölkerung leiden würde. Soll das Konzept der Schutzverantwortung weiterhin ernst genommen werden, steht die internationale Gemeinschaft in der Pflicht einer solchen Entwicklung vorzubeugen.

Prävention und Konfliktnachsorge als Bestandteil der Schutzverantwortung

In Folge der 2011 von den USA, Frankreich, Großbritannien, anderen NATO-Staaten und ihren arabischen Verbündeten durchgeführten Luftschlägen gegen das Regime von Muamar al-Gaddafi konnte die libysche Opposition innerhalb eines halben Jahres das alte Regime stürzen. Trotz internationaler Kritik am erzwungenen Regimewechsel, sahen viele Kommentatoren die Ereignisse als Erfolg; für die Norm der Schutzverantwortung und nebenbei auch für die Demokratisierung Nordafrikas.

Doch genau genommen hat die internationale (Staaten-) Gemeinschaft es versäumt ihrer Verantwortung in Libyen im vollen Umfang nachzukommen: Die Responsibility to Protect (R2P) ist als ein politisches Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft zu drei miteinander verschränkten Verantwortungen, oder „Postulaten“, zu verstehen, die die Generalversammlung der UN im Jahr 2005 einstimmig angenommen hatte: Jeder Staat habe die Verantwortung seine Bevölkerung vor Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen zu schützen (Säule 1). Zudem habe die internationale Gemeinschaft die Verantwortung den Einzelstaat in der Wahrnehmung seiner Verantwortung zu unterstützten (Säule 2). Versagt ein Staat oder ist er nicht willens seiner Verantwortung nachzukommen, so geht die Verantwortung an die internationale Gemeinschaft über. Dann stehe letztlich der UN-Sicherheitsrat bereit auch mit Zwangsmaßnahmen, bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt, zu reagieren (Säule 3).

Die Expertengruppe, die die Idee der R2P im Jahr 2001 ursprünglich formuliert hatte, hatte aber neben der Verantwortungen zu Prävention und Reaktion auch eine Pflicht zum Wiederaufbau (Friedenskonsolidierung, Konfliktnachsorge), eine Responsibility to rebuild, eingefordert: Nach einer Intervention beziehungsweise nach dem Ende schwerer Gräueltaten müsse die internationale Gemeinschaft den betroffenen Staat unterstützen, um einen Rückfall zu verhindern. Auch wenn sich die von der UN 2005 verabschiedeten R2P in einigen Punkten stark von der Urfassung von 2001 unterscheidet, ist die Konfliktnachsorge bzw. der Wiederaufbau immer noch ein Bestandteil der internationalen Verantwortung und wird unter dem zweiten Säule der R2P subsummiert. In den Worten des Generalsekretärs Ban ki-Moon: „Die Friedenskonsolidierung nach einer traumatischen Situation stellt eine entscheidende Phase für die Gewährung von Hilfe auf dem Gebiet der Schutzverantwortung dar“.

Scheitern der Prävention in Libyen nach 2011

Nach der Revolution spaltete sich die Opposition schnell wieder in viele kleine Milizen auf, die sich entlang ihrer Stammes-, Regions-, oder Religionszugehörigkeit organisierten. In Folge einer nicht erfolgten Entwaffnung nach dem Sturz Gaddafis, waren Waffen nahezu unbegrenzt verfügbar. Dies erschwerte die Herausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols. Die durch die Wahlen im Juli 2012 ins Amt gekommene Regierung war gar auf die unterschiedlichen Milizen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit angewiesen. Eine im Land stationierte UN Unterstützungsmission UNSMIL ist zwar mit etwas mehr als 200 zivilen Mitarbeitern in Libyen aktiv, eine bewaffnete UN Friedensmission zur Absicherung der Übergangsphase wurde aber nie ernsthaft diskutiert.

Betrachtet man das Risiko für schwere Gräueltaten in Libyen, wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, wird deutlich, dass viele der Risikofaktoren für das Auftreten solcher Verbrechen derzeit vorliegen. Für die Einschätzung des Risikos von Gräueltaten hat die UN einen Analyserahmen entwickelt. Die Existenz der benannten Faktoren führt aber nicht automatisch zu Gräueltaten. Es kann auch dazu kommen ohne dass alle Faktoren vorliegen. Trotzdem bietet der Analyserahmen ein Hilfsmittel, um die Ersthaftigkeit einer Situation einzuschätzen. Er setzt sich zusammen aus acht allgemeinen Risikofaktoren und sechs spezifischen Faktoren für bestimme Gräueltaten.


Frühwarn-Analyserahmen des Büros der Vereinten Nationen für Völkermordprävention und die internationale Schutzverantwortung

Allgemeine Risikofaktoren
  1. Bewaffneter Konflikt oder andere Formen der Instabilität
  2. Ernsthafte Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts
  3. Schwache staatliche Strukturen
  4. Existenz von Anreizen oder Motiven für schwere Gräueltaten
  5. Fähigkeiten schwere Gräueltaten zu begehen
  6. Abwesenheit mildernder Faktoren
  7. Vorliegen begünstigender Umstände oder vorbereitender Maßnahmen
  8. Vorliegen potentiell auslösender Faktoren
Spezifische Riskiofaktoren

Völkermord

  1. Spannungen zwischen Gruppen oder Diskrimierung der Mitglieder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe
  2. Anzeichen für die Intention eine bestimmte Bevölkerungsgruppe im Ganzen oder in Teilen zu vernichten

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

  1. Anzeichen für weitverbreitete oder systematische Angriffe auf zivile Bevölkerungsgruppen
  2. Anzeichen für einen Plan die zivile Bevölkerung anzugreifen

 Kriegsverbrechen

  1. Ernsthafte Drohungen gegen unter dem humanitären Völkerrecht geschütze Personen und Gruppen
  2. Ernsthafte Drohungen gegen humanitäre Hilfsoperationen oder Friedensmission

 Instabilität und schwache staatliche Strukturen

Im Frühjahr 2014 eskalierte die Lage in Libyen. Ähnlich wie in Syrien konnten extreme islamistische Gruppierungen die Instabilität im Land nutzen, um Fuß zu fassen. Bereits im Widerstand gegen Gaddafi spielten islamistische Milizen eine wichtige Rolle, doch nach dessen Sturz konnten radikal-islamistische Milizen wie Ansar al-Sharia die Kontrolle über ganze Städte übernehmen. Besonders im Osten des Landes, im Umfeld von Bengasi und Sirte wurden Waffenlager und Trainingsbasen aufgebaut, auch um Kämpfer für den Kampf in Syrien auszubilden.

General Khalifa Haftar, der sich Ende der 1980er mit Gaddafi überworfen und seitdem versucht hatte ihn zu stürzen, startete am 16. Mai die sogenannte „Operation Würde“, eine bis heute andauernde Offensive gegen islamistische Milizen. Viele werden die Bilder des brennenden Flughafens noch im Kopf haben. Haftar kontrolliert in seiner „Libyschen Nationalarmee“ große Truppenverbände.

Nachdem die islamistischen Muslimbrüder und mit ihnen verbündete Milizen aus Misrata im Juni 2014 die Wahl zum zuvor von ihnen dominierten Übergangsparlament verloren, öffnete sich eine zweite Konfliktlinie. Die Wahlverlierer erkannten das Ergebnis nicht an, zogen sich aus dem neuen Parlament zurück und starteten im Juli 2014 ihrerseits die „Libysche Morgendämmerung“ genannte Offensive, mit dem Ziel die Kontrolle über das Staatsgebiet zu erlangen. Schnell eroberten sie die Hauptstadt Tripolis. Dort riefen sie eine Gegenregierung aus, welche sich über die Reste des abgewählten Übergangsparlaments versuchte zu legitimieren. Die übrigen Parlamentarier flohen mit der Übergangsregierung in ein Hotel in der ostlibyschen Stadt Tobruk. Auch islamistische Gruppierungen im Osten Libyens werden mit der Operation Libysche Morgendämmerung assoziiert, welche sich aber von Ansar al-Sharia und anderen Extremisten distanziert.

Libyen ist heute ein sehr fragiler Staat, mit zwei konkurrierenden Regierungen und zahlreichen Milizen, die kleinere Gebiete kontrollieren. Dies spiegelt sich auch in einschlägigen Indices, wie dem Libyen ist nach dessen Maßstäben nicht mehr weit von einem staatlichen Zusammenbruch entfernt. Je höher die Punktzahl (zwischen 0 und 120), die ein Staat in diesem Index erhält, desto instabiler ist er. Der Index zählt Libyen noch nicht offiziell zu den gescheiterten Staaten – wie Südsudan, Somalia oder die Zentralafrikanische Republik. Der Trend deutet aber auf eine sich verschlechternde Entwicklung und die jüngsten Ereignisse sind noch nicht einmal in der Datengrundlage erfasst.

Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Die Lage in Libyen ist sehr unübersichtlich. Verschieden Milizen bekämpfen sich gegenseitig. Neben den Muslimbrüdern und den Milizen in Tripolis und Misrata, von denen sich viele selbst als eher moderate Islamisten sehen, sind auch radikalislamistische Organisationen wie Ansar al-Sharia stark. Zudem hat sich im Herbst 2014 auch ein Ableger des Islamischen Staates (ISIS) in Libyen gebildet. Die Muslimbrüder und ihre Verbündeten, die im Westen des Landes de facto den Staat und die Sicherheitskräfte kontrollieren, gehen auch selbst gegen islamistische Terroristen in Tripolis vor.

Das Parlament im ost-libyschen Tobruk dagegen unterstützt die „Libysche Nationalarmee“ von General Haftar, dem allerdings höchstens zweifelhafte demokratische Ziele nachgesagt werden. Die eigentliche libysche Armee spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Haftar und die libysche Übergangsregierung werden zudem von weiteren Milizen unterstützt, die jedoch auch eigene Ziele verfolgen. Bedroht von den Islamisten sehen sich moderate und liberale Politiker dazu gezwungen auf einer Seite mit ehemaligen Anhängern Gaddafis zu stehen, die sich Haftar gut als neuen starken Mann in Libyen vorstellen können.

Der Konflikt darf aber nicht als eindimensional religiös motiviert verstanden werden: Es geht nur scheinbar ausschließlich um einen Kampf zwischen Säkularen und Islamisten. Der Konflikt legt die tief liegende regionale Spaltung des Landes offen: Der wirtschaftlich starke und ölreiche Osten des Landes sieht sich schon lange vom Westen ausgenutzt, in dem die Mehrheit der Bevölkerung lebt. Die Bevölkerung wird zunehmend nach ihrer regionalen Herkunft gespalten. Wer im Osten des Landes lebt und Wurzeln im Westen hat, sieht sich immer häufiger dazu gezwungen zu migrieren und zu einem Binnenflüchtling zu werden. Das Misstrauen wächst.

Während sich Haftar als letztes Bollwerk gegen den islamistischen Terrorismus sieht, rechtfertigen die Muslimbrüder und mit ihnen verbündete Milizen ihr Handeln damit, Libyen vor einer Rückkehr der Gaddafi-Anhänger schützen zu wollen. Der jeweilige Gegner scheint zunehmend als zu vernichtendes Übel betrachtet zu werden.

Verletzung der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und Angriffe auf die Zivilbevölkerung

Beide Seiten sind bisher wenig rücksichtsvoll vorgegangen. Bombardierungen von zivilen Gebieten und andere Verletzungen des humanitären Völkerrechts sind keine Seltenheit in Libyen. Amnesty International legte einen Bericht vor in dem die Organisation beiden Seiten vorwirft, Zivilisten auf Basis ihrer Zugehörigkeit zu politischen Lagern zu attackieren. Auch die UNSMIL-Mission und das UN Menschenrechtsbüro sprechen von Kriegsverbrechen sowie gezielten Entführungen von Menschen auf Basis ihrer Religions-, Stammes- oder Familienzugehörigkeit. Zudem gibt es Berichte über die Entführung ägyptischer koptischer Christen durch Ansar al-Sharia sowie Übergriffe gegen andere ethnische Minderheiten im Land.

Abwesenheit konfliktmildernder Faktoren und Existenz begünstigender Umstände

Im Land herrscht eine Kultur der Gewalt und der Straflosigkeit. Niemand wird für Verletzungen des humanitären Völkerrechts zur Verantwortung gezogen. Zwar hat der Sicherheitsrat betont, dass der Internationale Strafgerichtshof auch die aktuellen Geschehnisse untersucht und die existierenden Sanktionen ausgeweitet, doch dies scheint bislang die Konfliktdynamik kaum abzumildern. Von den bislang eröffneten drei Verfahren wird nur eines, gegen Gaddafis Sohn Saif, weitergeführt. Dieses scheitert aber bislang an mangelnder Kooperation vor Ort.

Das Parlament in Tobruk scheint die Armee unter Haftars Führung nicht kontrollieren oder von Gräueltaten abhalten können. Auch scheinen die Hardliner im Übergangsparlament in Tobruk nicht an Friedensverhandlungen interessiert zu sein. Sie suchen stattdessen eine militärische Lösung des Konflikts. Ebenso sehen sich die Muslimbrüder als potentielle Sieger einer militärischen Auseinandersetzung. Beide Seiten können auf externe Unterstützung hoffen: General Haftar, das Parlament in Tobruk und verbündete Milizen (Operation Würde) erhalten Hilfe aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Muslimbrüder und verbündete Milizen (Operation Libysche Morgendämmerung) finden dagegen Wohlwollen in Katar, Sudan und der Türkei.

Die Ansar al-Sharia und die dem islamischen Staat nahestehenden Milizen erhalten Unterstützung von anderen verbündeten Terrororganisationen in Nordafrika und dem Nahen Osten. Ihr Ziel liegt nicht in Libyen selbst, sondern in der Kontrolle oder zumindest der Beeinflussung der gesamten Region. Frieden in Libyen würde daher ihren Zielen eher schaden als nützen – schließlich profitieren sie von der Schwäche des Staates.

Existenz von Motiven und Fähigkeiten für schwere Gräueltaten

Die Vermittlungsbemühungen der UN kommen entsprechend nur stockend voran. Der Mitte Januar 2015 vereinbarte Waffenstillstand ist brüchig. Lange war keine der Konfliktparteien bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Derzeit finden in Genf Verhandlungen zwischen einem Großteil der bewaffneten Fraktionen statt. Vertreter von Libysches Morgengrauen haben Ende Januar angekündigt, sich an den Verhandlungen zu beteiligen sofern diese in Libyen stattfinden. Doch die Ausgangslage ist problematisch: Da die internationale Gemeinschaft nur die Regierung in Tobruk als legitim anerkennt, haben die Islamisten wenig Anreize eine militärische Auseinandersetzung zu vermeiden. Ein militärischer Sieg könnte ihnen zumindest de facto zur alleinigen Herrschaft verhelfen. Auf der anderen Seite scheint General Haftar zu keinerlei Zugeständnissen an die Islamisten bereit, was in seiner mangelnden Unterscheidung zwischen Muslimbrüdern und Terroristen zum Ausdruck kommt. Beide Seiten, so berichten Menschenrechtsorganisationen, gehen bereits gezielt gegen zivile Anhänger der jeweils anderen Seite vor. Im Falle einer weiteren Eskalation der Gewalt könnten diese Übergriffe schnell in eine systematische Verfolgung eskalieren – Syrien, Südsudan und die Zentralafrikanische Republik sind hierfür tragische aktuelle Beispiele.

Alles bereits verloren? Wie kann die internationale Gemeinschaft noch präventiv oder friedenskonsolidierend in Libyen handeln?

Eine Lösung des Konflikts in Libyen ist nicht nur moralisch richtig, sondern würde auch fundamentalen Sicherheitsinteressen der westlichen Demokratien dienen: Die destabilisierende Wirkung Libyens auf die regionale Nachbarschaft konnte bereits 2012 in Mali beobachtet werden. Die Präsenz von ISIS und Ansar-Al-Sharia in Libyen zeigt zudem wieder einmal auf, wie schnell instabile Staaten zum Rückzugsraum für Terroristen und Dschihadisten werden können.

Noch scheint es nicht zu spät, Schlimmeres in Libyen zu verhindern. Die libysche Bevölkerung scheint gegen eine bewaffnete Konfliktaustragung zu sein und unterstützt die verschiedenen Milizen vorrangig aus Gründen der Sicherheit im direkten privaten Umfeld. Auch äußerte der britische Botschafter in Libyen Ende Januar auf Twitter vorsichtigen Optimismus über das Voranschreiten der Verhandlungen.

Die Vermittlungsbemühungen der UN in Genf müssen durch ein ernsthaftes diplomatisches Engagement externer Mächte flankiert werden. Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Türkei, Katar und Sudan müssen ihre Unterstützung für die beiden Seiten des Konflikts einstellen. Zumindest auf die ersten vier haben die USA und der Westen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, der genutzt werden sollte. Das seit 2011 geltende Waffenembargo für Libyen muss zudem effektiver durchgesetzt werden. Auch die Übergangsregierung sollte keine Waffen mehr erhalten.

Zudem muss das Klima der Straflosigkeit in Libyen beendet werden, um die Konfliktparteien vor weiteren Gräueltaten abzuschrecken. Amnesty International und auch das Global Center for the Responsibility to Protect fordern vom UN Sicherheitsrat und vom Internationalen Strafgerichtshof Ermittlungen gegen die für Gräueltaten Verantwortlichen. Der Sicherheitsrat solle zudem die existierenden Sanktionen verstärkt zielgerichtet auf die Verantwortlichen ausdehnen und deren Bewegungsfreiheit im Ausland sowie die Möglichkeit zur Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr einschränken.

Ein weiterer Weg könnte die Konditionierung der internationalen Anerkennung für die Übergangsregierung in Tobruk sein, sollte diese sich nicht auf Friedensverhandlungen einlassen. Auch könnten die im Ausland liegenden Finanzmittel Libyens eingefroren und erst wieder freigegeben werden, wenn ein Friedensvertrag geschlossen wurde.

Die Transformation bestehender Konfliktdynamiken in Libyen und damit die Verhinderung möglicher schwerer Gräueltaten kann nur über Verhandlungen und eine Regierung der nationalen Einheit erfolgen, an der beide großen Lager beteiligt sein müssen. Ein umfassendes Friedensabkommen muss Planungen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Kämpfer beinhalten. Um zukünftigen Spannungen vorzubeugen, müssen zudem Mechanismen zur Aufarbeitung des Geschehenen und zur Bestrafung der Verantwortlichen Teil eines Friedensvertrages sein.

Erst wenn ein solches Übereinkommen in Libyen existiert und unterzeichnet wird, wäre ein Einsatz von UN-Blauhelmtruppen sinnvoll, die die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen überwachen und bei einer erneuten Eskalation Zivilisten schützen könnten. Doch ohne einen Friedensplan, den es zu schützen gilt und ohne eine Zustimmung der Konfliktparteien zu einem Blauhelmeinsatz würde ein erneutes militärisches Eingreifen In Libyen nichts bewirken können.

Die internationale Gemeinschaft hat folglich sowohl eine moralische als auch eine strategische Verpflichtung ihrer Präventions-verantwortung endlich entschieden nachzukommen.

QUELLEN

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Über die Autor*innen

Gregor Hofmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promotionsstipendiat der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK. Seit 2013 ist er auch Mitglied und Stellvertretender Vorsitzender bei Genocide-Alert e.V.