PESCO: Und wann versinkt die „Sleeping Beauty“ wieder zurück in den Schlaf?
Von Nele Marianne Ewers-Peters
Mit PESCO hat sich die Europäische Union eine neue, riesige Ambition erschaffen, die trotz der ausgeschmückten Jubelfeier von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Daran ist aber nicht allein die EU schuld. Um daraus einen Erfolg zu schöpfen, müssen sich die Mitgliedsstaaten zuerst einig sein über die strategische Ausrichtung der EU und ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).
Mit der Entscheidung, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) im November 2017 zu lancieren, wollten die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht nur ein Zeichen der Einheit setzen, sondern auch ihre Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiter vertiefen. Die Verankerung von PESCO im Vertrag von Lissabon durch die Artikel 42(6) und 46 war ein großer – und in den Worten von der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini – gar ein „historischer“ Schritt. Es hat auch nur ein Jahrzehnt gedauert, bis die „Sleeping Beauty“ aufgeweckt wurde und die teilnehmenden Mitgliedstaaten den Wunsch der vertieften Integration in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik formalisiert haben. Befürworter betonen, dass die Idee hinter PESCO vielzählige Vorteile und Wertzuwachs für die Europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitbringt. Konkrete Schritte der weiteren Integration in diesen Politikbereichen und erhöhte Effektivität sowie der Ausbau und die Verbesserung der Verteidigungs- und Rüstungsindustrie sind nur ein paar angestrebte Ziele.
Man muss sich jedoch fragen, ob die EU in ihrer aktuellen Situation dem Projekt PESCO gewachsen ist. Erinnern wir uns einmal an die aktuelle Situation innerhalb der Union: Seit ebenfalls einem Jahrzehnt strauchelt die EU durch die Finanz- und Eurokrise. Im Falle Griechenlands ist ein baldiges Ende nicht in Sicht. Der Populismus mit seiner Anti-EU Stimmung breitet sich immer weiter aus und hat nun, neben anderen Mitgliedstaaten, auch Italien erreicht. Differenzen über die Lage der europäischen Migrations- und Flüchtlingskrise bestehen weiter. In knapp zehn Monaten scheidet das Vereinigte Königreich und damit einer der stärksten Militärmächte des Kontinents aus der EU. Und wie eh und je besteht Uneinigkeit über die allgemeine Ausrichtung und Orientierung Europas. Im Hinblick auf diese vielzähligen Krisen und Hürden sollte sich die EU zunächst auf die Lösung bereits bestehende Probleme konzentrieren bevor sie sich einer weiteren Herkulesaufgabe widmet.
Darüber hinaus haben sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit PESCO eine Ambition auf ihre Wunschliste geschrieben, die eigentlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Erstens, dieser Rahmen basiert auf der freiwilligen Teilnahme und Beiträgen der Mitgliedsstaaten, aktuell in 17 angestrebten Projekte. Gerade wenn es, wie zu erwarten ist, an politischem Willen mangelt, verfügen freiwillige Kooperationsprogramme über wenig Durchsetzungskraft. Zweitens, in Anbetracht der aktuellen Lage der GSVP kommen Zweifel über den Mehrwert durch PESCO auf. Denn derzeit gibt es nur sechs laufende Militäroperation, die zudem nur zu der Kategorie „niedrige Intensität“ zählen und es besteht momentan weder der Anlass noch der Wunsch nach neuen Operationen. Drittens, zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten (d.h. alle EU Mitgliedsstaaten exklusive Dänemark, Malta und das Vereinigte Königreich) gibt es noch immer starke Differenzen über die strategische Ausrichtung der EU und ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insbesondere zwischen den sogenannten Europeanists und Atlanticists und zwischen den Staaten mit den stärksten militärischen Kapazitäten. Damit von Einigkeit und vertiefter Integration die Rede sein kann, müssen sich die Staaten zuerst über die Auslegung und Strategie der GSVP einig sein bevor die geplanten Projekte, wie die Steigerung der Militärische Mobilität, C2 Systeme, Informationsaustausch sowie Cyber- und maritime Sicherheitsfähigkeiten, erfolgreich in die Realität umgesetzt werden können.
Damit PESCO nicht wie Vorgänger ihrer Art auf dem Aktenhaufen landet, muss die Stimmung zwischen den Mitgliedsstaaten harmonisierter werden. Es liegt nicht in den Händen der EU, sondern ihrer Mitglieder, aus PESCO einen Erfolg zu machen. Allem voran müssen sie sich über die strategische Ausrichtung der Europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einig werden sowie eine klare Strategie schaffen, die dann auch verfolgt wird. Noch hält das Momentum inne, das ausgeschöpft werden muss. Andernfalls wird die „Sleeping Beauty“ zurück in den Schlaf verfallen.
Über die Autor*innen
Nele Marianne Ewers-Peters ist Doktorandin und Lehrbeauftragte im Bereich Internationale Beziehungen an der University of Kent, Großbritannien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Rolle von Mitgliedsstaaten in der EU-NATO Kooperation sowie mit nationalen Positionen im Bereich Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.