‚Refugee-led CBOs‘: Gruppen und Organisationen von Geflüchteten und ihre Rolle für Schutz- und Unterstützungsleistungen
Von Ulrike Krause und Hannah Schmidt
In vorherigen Beiträgen zum Forschungsprojekt Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagement haben wir den Perspektivwechsel weg von humanitären Strukturen hin zur Analyse individueller und kollektiver Bewältigungsstrategien von Geflüchteten sowie Praktiken im Flüchtlingslager Kyaka II und in der Hauptstadt Ugandas, Kampala diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Rolle von Gruppen. Nicht nur soziale Verbindungen wie Freundschaften, religiöse Gruppen oder wirtschaftliche Kooperationen sind hier wichtig, sondern vor allem auch institutionalisierte Gruppen.
Im Rahmen des Forschungsprojekts haben wir diese institutionalisierten Gruppen als ‚refugee-led CBOs‘ (community-based organizations) erfasst, also von Geflüchteten selbst initiierte, ausgestaltete und geleitete Organisationen, die gemeindebasiert sind und daher in einem bestimmten lokalen Kontext funktionieren. Wissenschaftlich haben diese Gruppen in Ländern im globalen Süden bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten. Alexander Betts, Naohiko Omata und Louise Bloom gehen etwa auf das Unternehmertum solcher Gruppen ein. Sie unterscheiden zwischen unternehmerischem und sozialem Engagement von Geflüchteten und zeigen, wie die Menschen in den Gruppen Räume schaffen, in denen sie innovative Ideen fördern. Evan Easton-Calabria reflektiert ‚refugee-run organizations‘ und ihre Rolle für Entwicklungsinitiativen, während Eveliina Lyytinen ‚communities of trust‘ untersucht und u.a. die Bedeutung von gemeinsamem religiösem Glauben, alltäglicher Unterstützung und Zugehörigkeit herausstellt.
Aufbauend auf solchen Diskussionen sind wir unter anderem daran interessiert, wie geflüchtete Menschen Gruppen ausgestalten und welche Relevanz diese Gruppen für den humanitären Flüchtlingsschutz haben.
‚Refugee-led CBOs‘ zum eigenständigen Schutz von und für Geflüchtete
Zur Untersuchung der refugee-led CBOs in Uganda sind wir explorativ vorgegangen, um unterschiedliche Facetten und Zwecke der Organisationen beleuchten zu können. Unsere Einblicke zeigen, dass diese refugee-led CBOs in diversen Formen auftreten können. Sie reichen von recht losen Verbindungen wie zweckgebundene ökonomische Netzwerke oder Spargruppen mit bis zu 20 Mitgliedern, bis hin zu institutionalisierten Organisationen, die als NGOs in Uganda registriert sind. Die Gruppen decken diverse Ziele ab – Spargruppen und ökonomische Netzwerke dienen dem wirtschaftlichen Nutzen der Mitglieder, registrierte NGOs u.a. der schulischen und beruflichen Bildung. Von zentraler Bedeutung in allen Gruppenbildungen ist allerdings die soziale Komponente.
Unsere Untersuchungen in Kyaka II und Kampala verdeutlichen, dass die refugee-led CBOs stets besondere kollektive Bemühungen, aber auch individuelle Strategien darstellen, die Geflüchtete für ihre Sicherheit, ihren Lebensunterhalt und ihren Alltag nutzen. Dabei korrespondieren oftmals individuelle Interessen, wie etwa die Möglichkeit zum Sparen zu haben, mit kollektivem Nutzen, wie die Kreditvergabe an andere. Daher erweisen sich die refugee-led CBOs im Wesentlichen als soziale Unterstützungssysteme und -netzwerke, die sich auf das Engagement von Einzelpersonen stützen und im Laufe der Zeit stärken oder sogar institutionalisieren.
Diese Gruppierungen sind nicht auf gewisse Räume etwa in Aufnahmelagern begrenzt, sondern können sowohl regional im Aufnahmeland und grenzüberschreitend wirken als auch von vergangenen Traditionen in Herkunftsländern geprägt sein. Letzteres zeigt sich beispielhaft in lokalen Mechanismen zur Konfliktlösung durch Älteste und ‚local leaders‘, die eine wichtige Funktion für und in der Gemeinschaft erhalten. Bei Spannungen etwa unter Familienangehörigen oder in der Nachbarschaft treten diese Vertreter*innen ein und helfen bei der Beilegung. Diese Mechanismen sind nicht auf das Umfeld in Uganda begrenzt, sondern Geflüchtete nutzten sie teils bereits vor der Flucht in ihren Herkunftsländern. Ähnliches zeichnet Katharina Inhetveen hinsichtlich Repräsentationssystemen nach, was sie als importierte Machtstrukturen bezeichnet.
Charakteristisch für die institutionalisierten refugee-led CBOs, die etwa als kulturelle Tanz- und Gesangsgruppen in Kyaka II, gefestigte Spargruppen oder registrierte Organisationen in Kyaka II und Kampala auftreten, ist die Organisiertheit. Sie zeichnen sich durch regelmäßige Treffen aus, sind oft geregelt durch Satzungen und hierarchische Entscheidungsstrukturen mit Positionen wie einem Vorsitzenden, Stellvertreter und Schatzmeister. Durch die Satzungen bestimmen die Mitglieder der jeweiligen Organisationen gemeinsame Ziele.
Indes geht es nicht nur um das eigene Erreichen der Ziele innerhalb der Gruppen, häufig verkörpern die Gruppen eine Form der eigenständigen Hilfe zur Selbsthilfe unter Geflüchteten. Denn in Gruppen organisierte Individuen setzen sich für die Gemeinschaft ein. Unter den institutionalisierten refugee-led CBOs ist ein Beispiel aus Kampala die Organisation YARID, die ‚Young African Refugees for Integral Development‘. Als in Uganda registrierte NGOs, die 2007 von kongolesischen Geflüchteten gegründet wurde, bietet die Organisation Geflüchteten in Kampala Sprachkurse und Berufsausbildungen an und unterstützt sie somit direkt. Auch in Kyaka II gibt es solche registrierten Organisationen, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Gemeinschaft engagieren. Zwei Jugendinitiativen können exemplarisch genannt werden: Die Gruppe ‚Live Green Live In Wealth‘ zielt darauf ab, die Umwelt nachhaltig zu verbessern und Brennholz bereitzustellen. Die Gruppe ‚KITAD‘ strebt an, die schulische Bildung im Flüchtlingslager auszuweiten, indem sie Informationen und Übersetzungen für Geflüchtete zur Verfügung stellen und eine Berufsschule fördert. Über KITAD berichtete auch Israel Katembo in seinem Beitrag.
‚Refugee-led CBOs‘ als Akteure im Flüchtlingsschutz
In unserem Forschungsprojekt Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagement ist überdies eine wichtige Frage, welche Rolle die refugee-led CBOs im humanitären Flüchtlingsschutz spielen und wie sie mit humanitären und Regierungsorganisationen kooperieren. Grundsätzlich sind Aufnahmestaaten und humanitären Organisationen für den Flüchtlingsschutz zuständig. Indem sich aber Geflüchtete für ihre Unterstützung und ihren Schutz individuell und kollektiv in diesen Gruppen einsetzen, werden sie zu wichtigen Akteur*innen im Flüchtlingsschutz. Eben dieser Aspekt wurde in der Forschung bisher selten betrachtet.
Zusätzlich zu Einblicken in das Engagement von Geflüchteten in Gruppen bieten unsere empirischen Befunde aus Uganda auch Hinweise über die Verbindung zu humanitären Institutionen im Flüchtlingsschutz. Die refugee-led CBOs existieren nicht nur auf kurzfristiger Basis, sondern können im Laufe der Zeit wachsen und institutionalisiert werden. Dadurch treten die Menschen in und durch CBOs für ihren Lebensbedingungen und Sicherheit ein, anstatt passiv darauf zu warten, dass externe humanitäre Institutionen ihnen helfen. So sind refugee-led CBOs und traditionelle humanitäre Institutionen des Flüchtlingsschutzes darin verbunden, dass die CBOs auf lokaler Ebene eingreifen, um die Unterstützung zu leisten, die die Menschen konkret benötigen und von den humanitären Organisationen teils unzureichend oder gar nicht bereitgestellt werden. Diese Verbindung wird besonders deutlich in dem zuvor erwähnten Beispiel von YARID. YARID möchte laut Satzung den Belangen und Bedarfen der Geflüchteten in Kampala gerecht werden und passende Unterstützung leisten.
Doch unsere empirischen Einblicke zeigen auch, dass die Kooperation von refugee-led CBOs und traditionellen humanitären Institutionen des Flüchtlingsschutzes bislang unzureichend bleibt. Obwohl traditionelle Organisationen in Kyaka II auf die Zusammenarbeit mit refugee-led CBOs teilweise zurückgreifen, um eigene Interessen zu befördern, etwa um Informationen weitläufig weiterzugeben, bleiben Kooperationen asymmetrisch. Refugee-led CBOs sind teils von finanziellen Förderungen humanitärer Organisationen abhängig, die sie manchmal widersprüchlich und unregelmäßig zahlen, was zum Scheitern der Gruppen führen kann. Zudem können humanitäre Institutionen durch den Mittelfluss versuchen, auf die Aktivitäten der Gruppen Einfluss zu nehmen, was gegen die Eigenständigkeit der Gruppen spricht. Als Konsequenz können humanitäre Akteure auf refugee-led CBOs Macht ausüben und ursprüngliche Ziele verändern oder sogar ihre Idee für humanitäre Zwecken nutzen.
Fazit
Basierend auf den empirischen Daten lässt sich feststellen, dass sich Geflüchtete in verschiedenen Formen in Gruppen engagieren, die von lockeren Zusammenhängen bis hin zu institutionalisierten und registrierten Organisationen reichen. Mit solchen Gruppen können die Menschen zu ihren Lebensverhältnissen und ihrer Sicherheit beitragen. Dies bedeutet letztlich, dass diese Gruppen wichtige Institutionen in humanitärem Flüchtlingsschutz verkörpern. Schließlich fand das Projekt heraus, dass traditionelle humanitäre Organisationen mit Flüchtlingsgruppen zusammenarbeiten, aber der derzeitige Ansatz und das Ausmaß solcher Kollaborationen Raum für eine Intensivierung lassen, um die Möglichkeiten für Geflüchtete und den humanitären Schutz weiter zu stärken.
Dieser Beitrag erschien als Erstveröffentlichung auf L.I.S.A. WISSENSCHAFTSPORTAL GERDA HENKEL STIFTUNG. Wir bedanken uns für die Erlaubnis zum Repost.
Über die Autor*innen
Ulrike Krause ist Juniorprofessorin für Flucht- und Flüchtlingsforschung am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück sowie affiliierte Research Associate am Refugee Studies Centre der University of Oxford. Ihre Forschung konzentriert sich auf humanitären Flüchtlingsschutz, Konflikt-Flucht-Nexus, Resilienz, Gender sowie Gewalt sowie Wissensproduktion und postkoloniale Forschung mit regionalem Fokus auf Afrika, insbesondere Ostafrika.
Hannah Schmidt ist Doktorandin im Forschungsprojekt “Global Refugee Protection and Local Refugee Engagement. Scope and Limits of the Agency of Refugee-led Community-based NGOs” (gefördert durch die Gerda-Henkel Stiftung) am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) und am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.