WEHRHAFT OHNE WAFFEN

Kampagne zur Sozialen Verteidigung

Von Nele Anslinger 

Die Kampagne

Die Friedensbewegung sieht sich mit einem zentralen gesellschaftlichen Problem konfrontiert:  Unzureichendes Vertrauen in die gewaltfreie Wehrhaftigkeit der Zivilgesellschaft angesichts einer Vielzahl aufflammender Konflikte weltweit.

Deshalb wurde die Kampagne „Wehrhaft ohne Waffen“ gegründet. Sie bringt Soziale Verteidigung, eine nicht-militärische Form der Verteidigung, in die sicherheitspolitische Diskussion ein. Wir wollen eine Alternative zur Sicherheitslogik bieten und aufzeigen, wo die traditionelle militärische Verteidigung an ihre Grenzen stößt. Während Sicherheitslogik sich vor allem daran orientiert, drohender Gewalt von außen kraftvoll etwas entgegenzusetzen und dabei oft auf militärische Methoden zurückgreift, orientiert sich Soziale Verteidigung an den Ideen der Friedenslogik, wie sie auch die Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach formuliert hat.

Eine friedenslogische Perspektive sieht das Problem nicht in einer Bedrohung von außen, sondern in drohender Gewalt, die aus komplexen Problemlagen resultiert. Dieser Gewalt sollte am Besten vorbeugend, mindestens aber mit gewaltmindernden Methoden begegnet werden. In Abgrenzung zur Sicherheitslogik, die auf Abschreckung setzt, orientiert sich Soziale Verteidigung genau wie Friedenslogik an Deeskalation und – wo möglich - Dialog.  

Soziale Verteidigung greift auf bekannte Methoden des gewaltfreien Widerstands zurück, entwickelt diese mitunter aber auch weiter, wie zum Beispiel die von Theodor Ebert beschriebene Fortentwicklung des Generalstreiks zur „Dynamischen Weiterarbeit ohne Kollaboration“: Dabei erscheinen Menschen weiter zu Arbeit, nehmen aber keine Befehle entgegen, arbeiten bewusst langsam oder machen Fehler und treiben damit die Kosten für eine Besatzung in die Höhe. Sie ermöglicht somit Handlungsfähigkeit, wenn traditionelle Verteidigung an ihre Grenzen stößt. Das Ziel der Kampagne ist es, diese Formen der Verteidigung als ernstzunehmende Alternative in die öffentliche Debatte zu bringen und so das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für gewaltfreie Möglichkeiten der Verteidigung zu schärfen. Damit schaffen wir die gesellschaftliche Basis, um in einem zweiten Schritt Druck auf die Regierung aufbauen zu können, die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wie kann Soziale Verteidigung aussehen?

Soziale Verteidigung konzentriert sich nicht auf die Sicherung territorialer Grenzen, sondern sozialer Institutionen, wie z.B. Demokratie, Rechtssystem, Infrastruktur. Der Fokus liegt darauf Menschenleben, demokratische und selbstbestimmte Lebensweisen und Lebensnotwendiges zu bewahren, ohne sich Aggressor:innen passiv zu ergeben oder selbst zu Gewalt zu greifen. Studien, wie die von Erica Chenoweth und Maria Stephan 2011 und 2021 belegen, dass ziviler Widerstand ungefähr doppelt so erfolgreich ist wie gewaltvoller Widerstand.

Anders als spontane gewaltfreie Aktionen, brauchen langfristiger ziviler Widerstand und Soziale Verteidigung dauerhaftes und aktives zivilgesellschaftliches Engagement als Basis. Darüber hinaus ist die Bereitschaft notwendig, sich in der Vorbereitung und der Organisation vor Ort einzubringen. Soziale Verteidigung ist also auf soziale Kohäsion und Solidarität angewiesen. Eine reflektierte Bearbeitung der Spaltungslinien unserer Gesellschaft ist daher unbedingter Bestandteil unserer Kampagnenarbeit. Wir wollen eine Gesellschaft aufbauen, die die Menschen als schützenswert erachten. Das bedeutet zum Beispiel soziale Ungleichheit und Diskriminierung zu reflektierten und abzubauen. Und es bedeutet, dass wir Soziale Verteidigung nur mit klarer Abgrenzung zu menschenverachtenden Ideologien praktisch umsetzen können und wollen.

Herausforderung und Chance zugleich bedeutet dabei die Tatsache, dass Soziale Verteidigung als Gesamtkonzept bisher nie über das Stadium der Theorie hinausgekommen ist. Gleichzeitig gibt es weltweit eine Vielzahl von Handlungsweisen – angefangen vom gewaltfreien Widerstand der norwegischen Lehrer*innen gegen die Nazi-Besetzung, über Gandhis Salzmarsch bis hin zu Streiks, die wir beispielhaft als Elemente sozialer Verteidigung verstehen können und auch so deuten. Als Kampagne beleuchten wir daher nicht nur historische Beispiele, sondern erkunden die Bandbreite gewaltfreier Aktionen und binden sie in einen aktuellen und zeitgemäßen Kontext Sozialer Verteidigung ein.

Mitmachen

Um dies zu erreichen, hat die Kampagne eine doppelte Struktur aus Dachkampagne und lokalen Modellregionen. Die Dachkampagne übernimmt koordinatorische Aufgaben, bildet das nationale Netzwerk und gibt der Arbeit der Modellregionen eine bundesweite Bühne. In den Modellregionen wird Soziale Verteidigung konkret erlebt und erprobt. Dem Ansatz des Organising folgend, werden dabei beispielsweise lokale Gruppen miteinander vernetzt.

In unserer Modellregion Berlin-Moabit bedeutet das, sowohl die Zusammenarbeit mit dem Katastrophenschutz als auch lokale Kiezarbeit, um als „Leuchtturmzentrum“ eine umfassende Anlaufstelle für Resilienz zu werden. Im Wendland mit seiner Erfahrung im zivilen Anti-Atom-Widerstand werden die erfahrenen Gruppen unter anderem mit lokaler Feuerwehr und solidarischer Landwirtschaft zusammengebracht, um gemeinsam an lokal drängenden Herausforderungen– wie beispielsweise zunehmende rechte Tendenzen – zu arbeiten. Am Oberrhein wieder wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Frankreich in den Fokus der Arbeit gerückt.

Solche konkreten Erfahrungen evaluieren wir, um sie auch wissenschaftlich aufzubereiten.

Für alle interessierten Personen, Initiativen und Gruppen gibt es folgende Möglichkeiten:

  • Auf der Webseite wehrhaft-ohne-waffen.de kann man sehen, wo in der Nähe Menschen bereits aktiv sind.
  • Für konzeptionelle Mitgestaltung der Kampagne gibt es die Möglichkeit der Mitarbeit in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften (z.B. zu Bildung, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Konferenzen, Intersektionalität).
  • Für Organisationen gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, sich unserem Bündnis anzuschließen.00
 

Da Soziale Verteidigung auf breiter Beteiligung aufbaut, freuen wir uns über aktive Beiträge, Ideen und Vernetzungen - so können wir an einer ernsthaften Alternative in der sicherheitspolitischen Diskussion arbeiten!

Über die Autor*innen

Nele Anslinger ist Kampagnenkoordinatorin der Kampagne „Wehrhaft ohne Waffen“. Sie hat Friedens- und Konfliktforschung mit den Schwerpunkten zivile Konfliktbearbeitung und Friedenspädagogik, sowie Ethnologie und Theaterwissenschaften studiert. Bisher hat sie freiberuflich u.a. mit den Methoden des Theaters der Unterdrückten zu gesellschaftlicher Teilhabe, Antidiskriminierung und Extremismusprävention gearbeitet.