Ziviler Ungehorsam – ein wichtiges Instrument des Bürgerprotestes

Von Ute Finckh-Krämer

Der Begriff „Ziviler Ungehorsam“ ist historisch mit weltbekannten Aktionen wie Mahatma Gandhis „Salzmarsch“ oder der Busaktion der US-Bürgerrechtsbewegung in Montgomery (und dem Namen Rosa Parks) verbunden. In Deutschland fallen einem Ortsnamen wie Wyhl, Wackersdorf, Großengstingen, Mutlangen, Gorleben, Büchel und die Kyritz-Ruppiner Heide ein. Oder die „Ende Gelände“-Aktionen in Braunkohlegebieten. Die entscheidenden Merkmale von Zivilem Ungehorsam sind die Gewaltfreiheit und die begrenzte und begründete Verletzung von Gesetzen oder Vorschriften. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Aktionen des Zivilen Ungehorsams kalkulieren ein, dass sie festgenommen oder ihre Personalien aufgenommen werden und sie anschließend wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit belangt werden.

Nicht jeder politisch begründete Gesetzesverstoß ist also „Ziviler Ungehorsam“. Insbesondere sind Angriffe auf Personen und Sachbeschädigungen mit dem einzigen Ziel, etwas zu zerstören, keine Aktionen des Zivilen Ungehorsams. Wohl aber Aktionen wie die der Berlinerin Irmela Mensah-Schramm, die rechtsradikale Graffiti da, wo sie sie nicht entfernen kann, kreativ umgestaltet oder übersprüht, was von den Strafverfolgungsbehörden gelegentlich als „Sachbeschädigung“ gewertet wird. Auch das Beschädigen eines Zaunes, um sich für eine Protestaktion z.B. Zugang zu einem abgesperrten Militärgelände zu verschaffen, wird vom Begriff des „Zivilen Ungehorsams“ gedeckt.

Das Jugendaktionsnetzwerk ZUGABe (Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung) formuliert seine Grundsätze folgendermaßen:
„Gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams sind für uns nicht nur Folge einer pragmatischen Entscheidung für ein medienwirksames Spektakel. In der Aktion machen alle Beteiligten deutlich, dass sie in dem vorliegenden Konflikt – nachdem andere, weniger drastische Möglichkeiten ausgeschöpft sind – zur Abwendung schlimmer Folgen bereit sind, persönliche Risiken in Kauf zu nehmen und Gesetze zu übertreten. Sie stehen für ihr Handeln ein und begründen es gegenüber Medien, MitstreiterInnen und “Gegnern”, häufig auch vor Gericht.“ [1]

„Gewaltfreiheit“ wird meistens als Verzicht  auf Gewalt und damit als Einschränkung in der Wahl der Mittel in einer politischen Auseinandersetzung wahrgenommen. Das führt dann regelmäßig zur Frage, ob als letztes Mittel in bestimmten Fällen nicht doch Gewalt zum Einsatz kommen dürfe oder sogar müsse. Manchmal wird dann mit der höheren Aufmerksamkeit argumentiert, die brennende Autos oder eingeworfene Fensterscheiben bringen, manchmal wird Gewalt als „Gegengewalt“ gerechtfertigt.

Damit kommen allerdings oft Eskalationsspiralen von Gewalt und Gegengewalt in Gang, die schwer zu unterbrechen sind. Das gilt nicht nur für die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Protestierenden, sondern auch zwischen sich feindlich gegenüberstehenden politischen oder gesellschaftlichen Gruppen. Wer Gewaltaktionen aus dem eigenen Spektrum rechtfertigt, kann schwer vermitteln, warum die Gewaltaktionen anderer Akteure abzulehnen sind. Spätestens dann, wenn Unbeteiligte zu Schaden kommen, wird der Ruf nach schärferen Gesetzen und mehr Polizeigewalt laut, wodurch politische und gesellschaftliche Spielräume eher eingeschränkt als erweitert werden. Und wer das Anliegen derer, die Gewalt eingesetzt haben, unterstützt, setzt sich schnell dem Vorwurf aus, Gewalt als Mittel der Politik zu befürworten.

In geringerem Maße gilt das auch für Aktionen des Zivilen Ungehorsams: denjenigen, die sie durchführen, wird vorgeworfen, es mit staatlichen Gesetzen und Regeln nicht so genau zu nehmen. Wo kämen wir hin, wenn jeder für sich selbst entscheidet, welche Gesetze er einhält und welche nicht? Wer sich an einer Aktion des Zivilen Ungehorsams beteiligt, muss daher sehr genau darlegen können, welche Ungerechtigkeit oder Gefahr mit der Aktion bekämpft werden soll und welche legalen Mittel schon angewandt wurden, aber nicht zum Erfolg geführt haben. Nur wenn es gelingt, das eigentliche Anliegen und den Bezug der Regelverletzung zu diesem Anliegen überzeugend darzustellen, ist es sinnvoll, zu Mitteln des Zivilen Ungehorsams zu greifen.

Gewaltanwendung diskreditiert in der Regel das damit verfolgte politische Ziel, aber das Umgekehrte gilt nicht: wenn ein Ziel mit gewaltfreien Mitteln verfolgt wird, ist es noch nicht automatisch legitim.

 

[1] www.netzwerk-zugabe.de/selbst.html

Über die Autor*innen

Dr. Ute Finckh-Krämer ist seit über 40 Jahren friedenspolitisch aktiv und hat Anfang der Achtziger Jahre an gewaltfreien Blockaden in Großengstingen und Mutlangen teilgenommen.
Sie war von 2013 bis 2017 als Bundestagsabgeordnete der SPD unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Von 2000 bis 2013 und aktuell wieder arbeitet sie als Referentin im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.