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Dramatisierung der Judengasse (Teil 1)
Von Wölfen und Lämmern
Vorwort
„Das Theater ist eine Zeitmaschine, durch die Gegenwart und Vergangenheit miteinander in Beziehung treten“
(Roselt, Jens / Ulf Otto: Theater als Zeitmaschine, 2012)
Der Roman „Die Judengasse“ von Martha Saalfeld, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer kleinen westdeutschen Stadt spielt, hat auch im 21. Jahrhundert – leider – nichts an Aktualität verloren.
Insbesondere die Kunstform des Theaters blickt zurück auf eine lange Tradition gesellschaftskritischer Auseinandersetzung:
unangenehme Themen werden aufgegriffen, Missstände aufgezeigt, soziale Entwicklungen reflektiert und Räume für Diskussion geschaffen.
Dieser Tradition schließt sich die vorliegende Dramatisierung an.
Wie im Roman selbst wird nicht angeklagt, nicht vorgeworfen, nicht geschockt, sondern durch viele kleine „Nadelstiche“ eine Atmosphäre verdichtet, die eine Lebenswelt zeichnet, die zwar historisch verankert ist, aber bis heute erschreckend wiedererkennbar bleibt.
Wenn in einer Gesellschaft Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus nicht mehr klar verurteilt, sondern wieder salonfähig werden, besteht dringender Handlungsbedarf.
Ziel dieses Theatertextes ist es, eine Grundlage für historisch-politische Erinnerungsarbeit zu schaffen, einen sozialen Weckruf auszusenden und eine scharfsichtige Parabel zu erzählen, die zeigt, was geschieht, wenn Hass und Hetze ungehindert Raum gewinnen und Zivilcourage ausbleibt.
Das Stück möchte zur Diskussion anregen und ein Bewusstsein für die bis heute fortdauernden Herausforderungen schaffen, mit denen jüdische Gemeinschaften und andere Minderheiten konfrontiert sind.
„Der Verlust der Freiheit ist zu Beginn nie offensichtlich.“
– Reporter ohne Grenzen
Achtung
Dieses Theaterstück enthält Darstellungen und Dialoge, die mit Antisemitismus und anderer diskriminierender Sprache in Verbindung stehen.
Diese Inhalte können belastend wirken – insbesondere für Menschen, die selbst von Antisemitismus oder verwandten Diskriminierungserfahrungen betroffen sind. Betroffene Wörter sind durch **** markiert und nicht mehr im Original lesbar.
Die Darstellung solcher Sprache dient nicht der Verherrlichung, sondern der kritischen Auseinandersetzung:
- Sie macht historische und gesellschaftliche Mechanismen sichtbar.
- Sie soll das Publikum zum Reflektieren und Diskutieren anregen.
- Sie stärkt das Bewusstsein für die fortdauernden Herausforderungen jüdischer und anderer marginalisierter Gemeinschaften.
Das Stück verfolgt ausdrücklich das Ziel, Empathie, Wachsamkeit und kritisches Bewusstsein zu fördern.
Szene 1 - Ephraim & Familie
Ein kleiner Laden mit Tandelkram. In der Mitte des Raumes steht ein großer geheimnisvoller Sekretär. Davor steht ein Sofa, 2 Stühle/Sessel mit einem spinnenbeinigen Tisch. Es gibt Kleidung, Hüte, Stöcke, Porzellan, Schmuck und viele Kleinigkeiten.
Ephraim betritt die Bühne, kehrt ein wenig und setzt sich dann vor seinen Laden. Er trägt einen blauen Mantel. Sigi sitzt auf dem Sofa und ist in sein Schachspiel vertieft. Nach kurzer Zeit kommen zwei Personen in den Laden.
EPHRAIM:
Willkommen, Willkommen in Ephraims kleinem Laden. Was darf es sein? Vielleicht ein feiner Hut für den Herrn? Oder ein Schmuckstück für die Dame?
KUNDIN 1:
Mein Mann braucht einen neuen Sonntagshut.
EPHRAIM:
Oh da kann ich Ihnen reichlich dienen, schauen Sie einmal hier… er geht zu einer Kleiderstange an der mehrere Hüte hängen und zeigt sie dem Mann. Die Frau geht währenddessen zu einem Schrank voller Schmuck und schaut sich diesen an.
KUNDIN 1:
So viel Schmuck, alles scheint so alt, so ehrwürdig, als hätte es seine eigene Geschichte… seine Vergangenheit…
EPHRAIM:
Ja... jedes Stück hat seine eigene Reise gemacht. Diese Kette... sie hat vielleicht mehr gesehen, als wir je wissen werden. Perlen aus der Tiefe, manche sagen, sie tragen den Schmerz in sich, der das Leben ihrer Besitzer prägte.
KUNDIN 1:
Die Vorstellung hat etwas… faszinierendes…
Ein dritter Kunde betritt den Laden. Er wirkt etwas nervös und schaut sich um.
EPHRAIM:
wendet sich wieder dem ersten Kunden zu
Ist der werte Herr fündig geworden?
KUNDE 2:
Nicht so recht…
EPHRAIM:
Ich pflege zu sagen, nicht der Mensch findet seinen Hut… es ist genau umgekehrt.
Ephraim zieht sich einen Hut auf. In diesem Moment verändert sich der Blick des Kunden.
KUNDE 2 (direkt):
Ich möchte diesen Hut! Den, den Sie tragen.
EPHRAIM:
Dieser Hut, er hat viele Köpfe geziert. Er hat Regen abgewendet und Schatten gespendet und nun wird er euer Eigen. Er soll euch guten Dienst erweisen.
Er zieht den Hut ab und reicht ihn dem jungen Mann. Die Bewegung ist feierlich, als gäbe er mehr als nur ein Kleidungsstück aus seinen Händen. Der Kunde ist überrascht vom Gewicht des Hutes.
KUNDE 2 (verwundert):
Woher stammt der Hut?
EPHRAIM:
Wie alle Dinge dieser Erde stammt er aus der Vergangenheit und trägt Geschichten in sich, die von Freude und Leid, Lachen und Weinen, Sieg und Niederlage erzählen.
KUNDE 2 (unsicher):
Es ist aber nur ein Hut oder nicht?
EPHRAIM:
Es ist immer mehr als nur ein Kleidungsstück. Er trägt Erinnerungen. Sie kleben an ihm wie der Schatten, den wir nicht ablegen können, an uns Menschen klebt. Ihr kauft nicht nur das, was Ihr in den Händen haltet. Unweigerlich kauft man... die Geschichte dazu.
KUNDE 2:
winkend
Hier das sollte genügen. Ihre Geschichte können Sie behalten, die brauch ich nicht.
In diesem Moment nimmt der dritte Kunde, der gerade einen von Ephraims Mänteln anprobiert hat, eine Hand voll Schmuck und rennt aus dem Laden.
EPHRAIM & SIGI:
Nein! Halt!
Ephraim kann dem Dieb nur hinterherschauen. Sigi nimmt die Verfolgung auf.
KUNDIN 1 (eilig):
Komm wir gehen… der beklaute Ju**** [Ausdruck von Diskriminierung] kann uns recht egal sein.
Die beiden anderen Kunden verlassen hastig den Laden, weil ihnen die Situation unangenehm ist. Ephraim setzt sich resigniert wieder hin und beginnt sich eine Pfeife zu stopfen. Sigi kommt nach einer kleinen Pause.
SIGI:
Ich bin ihm hinterher… Ich hab gerufen zu den Leuten „Haltet den Dieb“… nichts hat‘s genützt… er ist entkommen der Halunke.
EPHRAIM:
Was soll’s, Sigi? Uns hört ja doch keiner… Wer wird kommen, um uns zu helfen?
SIGI:
Für uns Ju**** [Ausdruck von Diskriminierung]... für uns kommt niemand.
Er setzt sich enttäuscht hin und wendet sich wieder seinem Schachspiel zu.
Hanna betritt den Raum. Sie ist zehn Jahre alt, hat helles Haar. Sie hat trotz ihres kindlichen Erscheinungsbilds eine erwachsene Art an sich; sie fühlt sich vom schwermutvollen und geheimnisreichen Dasein von Sigis Familie angezogen.
Ihr Charakter ist geprägt von der Spannung ihrer Existenz als Kind in einer erwachsenen Welt.
SIGI:
Hallo, spielst du meine Partie mit mir zu Ende?
HANNA:
Ich kann es versuchen.
Sie setzt sich zu Sigi an den Tisch und schaut auf das Schachbrett.
SIGI:
Schwarz ist am Zug.
HANNA:
zieht eine Figur
Diese Platten, mit den biblischen Geschichten... Sie haben mich schon immer fasziniert.
SIGI:
Das ist die Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak. Gott ist Abraham im Traum erschienen und hat ihm befohlen, seinen einzigen Sohn zu opfern, es war eine Prüfung. Abraham war bereit, das zu tun... aber Gott hat ihn im letzten Moment gestoppt.
HANNA:
Ich verstehe das nicht. Wie kann Gott so etwas von jemandem verlangen? Seinen eigenen Sohn opfern... Das ist... grausam.
SIGI:
Es war eine Prüfung. Gott wollte sehen, ob Abraham ihm wirklich vollkommen vertraut. Ob er bereit wäre, alles aufzugeben... sogar Isaak.
HANNA:
Aber das ist doch schrecklich! Wie kann man das von jemandem verlangen? Isaak war doch... sein Kind.
SIGI:
Isaak war sechzehn, ungefähr so alt wie ich. Er hat seinem Vater vertraut, obwohl er es vielleicht nicht verstand.
HANNA:
Ich würde weglaufen... Ich würde nie zulassen, dass jemand mir so etwas antut.
SIGI:
Das hätte Isaak auch tun können. Aber er vertraute seinem Vater und Abraham vertraute Gott. Es war der Glaube... der Glaube, dass am Ende alles gut ausgehen würde. Abraham wusste, dass Gott ihn nicht wirklich zwingen wollte, Isaak zu opfern. Er hat gehofft, dass es einen Ausweg gibt.
HANNA:
Aber... was, wenn Gott es nicht gestoppt hätte? Was, wenn Abraham Isaak wirklich hätte töten müssen?
SIGI:
Dann wäre es anders gewesen... aber vielleicht wollte Gott nur sehen, wie weit Abraham bereit war zu gehen. Und das hat gereicht. Es war nie wirklich um das Opfer selbst gegangen, sondern um das Vertrauen.
HANNA:
Ich verstehe trotzdem nicht... Ich glaube, ich könnte das nie. Warum muss man so blind vertrauen?
SIGI:
Er war in dieser Welt zu Hause, in der Welt der Gebote und des Glaubens. Er vertraute darauf, dass Gott es nicht wirklich wollte – aber das musste er erst beweisen. Es war sein Glaube, der ihm sagte, es wäre das Richtige. Für ihn war es nicht grausam... nur Gehorsam.
Hanna schaut ihn verwirrt und widersinnig an.
SIGI:
Du bist noch jung. Es ist okay, dass du es anders siehst. Manchmal ist Vertrauen etwas, das man erst lernt... gleichwohl: manchmal lernt man, es anders zu sehen.
Stumpfer Gehorsam lässt Menschen grausame Dinge tun.
Edel Kafrill, die Tante Sigis, betritt den Laden. Sie trägt ein lilafarbenes Kleid. In den Händen hält sie ein verhutzeltes Gebäck.
EDEL KAFRILL:
Ich geh zum Bäcker, frag‘ nach meinem Kuchen. Da steht er, sagt der Bäcker, grinst mich an. Ach nein, das ist mein Kuchen nicht, es waren keine Weinbeerlein darin. Da fangen alle laut zu lachen an: „Weinbeerlein, nein, das sind gebackene Wanzen!“ Nun sag mir, Ephraim, ob es in deinem Haus Wanzen gibt? [Ausdruck von Diskriminierung]
EPHRAIM:
Sind wir in ihren Augen schmutzige Ju**** [Ausdruck von Diskriminierung]. Und wenn du zum Nächsten gehst, ist’s das gleiche.
SIGI:
Ja überall ist es das gleiche, erst macht man Jux, und eines Tages wird es ernst.
HANNA:
Ja wie denn Sigi?
SIGI:
Du kannst es lesen in den alten Büchern, und glaub nur ja nicht, dass sich da etwas geändert hat. Es ist so gegenwärtig wie eh und je. Ich spür ja wie es ist: Ich bin der einzige Ju**** in der Klasse, und noch der dümmste meint, er müsse mir irgendeinen Schabernack antun. Wen aber nennen sie Ju***********, wenn sie mich in der Gasse sehen? [Ausdruck von Diskriminierung]
Auguste, die Magd der Familie Hannas, erscheint in weißer Schürze und gestreiftem Kleid.
AUGUSTE:
Nach Haus mit dir! Deine Eltern schicken mich dich zu holen. Willst du‘s denn nicht begreifen du sonderbares Kind? Es gehört sich nicht, mit wem du dich hier triffst.
HANNA (rebellisch):
Ich pfeif drauf! Auf euer Gerede und auf den Staat gleich mit!
AUGUSTE:
Bist so eine freche Göre, verspottest die Obrigkeit. Wenn ich‘s meinem Bräutigam dem Schorsch sag, dann kommt ihr ins Loch.
SIGI (in Gelächter):
Da kriegt der Schutzi keine einzige Zigarre mehr von meinem Vater.
Da kann er in dem Abteil reisen, an dem „Nichtraucher“ steht.
HANNA:
Und dann, du hast die Aussteuer noch gar nicht zusammen, die dir für treue Dienste zugesprochen ist. Du kriegst sie nicht, du bist ja gar nicht treu. Nicht mal die Schürze und das Kleid darfst du behalten.
SIGI:
Ja, nackt wie du aus der Mutter Leib gekommen, wirst, Guste, du dahingenommen.
Guste fährt sich innerlich richtig hoch und muss ihre Wut wegatmen.
AUGUSTE (abfällig):
Pfui, hier riecht‘s nach Sabbat. [Ausdruck von Diskriminierung]
SIGI (bedrohlich und ruhig):
Was soll das heißen?
AUGUSTE (frech, provokant):
Soll heißen, dass es nach Latrine riecht und nach der koscheren Wurst, die ihr gegessen habt. [Ausdruck von Diskriminierung]
Sigi holt aus und schlägt Guste auf die Wange.
SIGI:
Das ist für den Sabbat, den du heiligen sollst!
Er setzt sich ruhig hin und beginnt ein Buch zu lesen, als sei nichts gewesen. Guste steht wie angewurzelt und flüchtet schließlich wütend.
Nach einer kleinen Pause:
HANNA:
Ich glaube, ich schleiche mich besser schnell nach Hause. Ich komme bald wieder, meine Freunde.
[ENDE SZENE 1]
Szene 2 - Abraham und seine Familie
Die Szene beginnt mit Abraham, der sich in die Mitte des Ladens setzt. Der Raum ist erfüllt vom Duft neuer Ware, Leder und feiner Stoffe, die auf Regalen glänzen. Abraham ist in Gedanken vertieft, während er seine Schuhe poliert. Er trägt einen eleganten Paletot und schaut ins Publikum. Er zeigt stolz einige seiner Waren.
ABRAHAM:
Ah, der Duft von Neuem, nichts ist herrlicher! Diese Seide, diese Appretur... Jeder will das Neue, das Glänzende, das, was noch keine Hand berührt hat. Darauf achten sie... ja, das macht den Unterschied! Anders als mein Nachbar, der alte Ephraim. Und ich, Abraham, kleiner Ladenbesitzer hier in der Stadt, ich weiß genau, was die Leute wollen. Ob sie es zugeben oder nicht... Es ist die Frische der Dinge. Die Leute lieben es, wenn alles funkelt. Einmal in der Hand und sie sind verloren.
Alfred und Abbe rennen stürmisch in den Laden und rufen laut und dramatisch:
ABBE:
Vater! Fred hat das Pferd mit Sand beworfen! Das, auf dem der Leutnant gesessen hat! Und „Leutschinder“ hat er immer wieder gerufen! Da ist der Leutnant auf die Sarah losgeritten. [Ausdruck von Diskriminierung]
ABRAHAM:
Sarah! Mein Kind!
FRED:
Aber Abbe ist weggerannt! Der Gaul... der Gaul war so groß wie ein Denkmal, direkt vor uns! Was hätte ich tun sollen?
ABBE:
Ich hab’s nicht mehr mit ansehen können. Der Fred ist hingekniet, direkt neben Sarah, und hat gebettelt: „Gnade, Herr Leutnant!“
ABRAHAM (bedrückt):
Gnade, Herr Leutnant? Das hat mein Kind gesagt?
FRED:
Ja, wegen der Sarah!
ABRAHAM:
Wie konntet ihr nur so etwas tun? Sand auf den Leutnant werfen? Wisst ihr nicht, was das für Folgen haben kann? Er... er mag stark erscheinen, aber die Uniform, die macht die Leute... gefährlich. Und Sarah... mein armes Kind.
Er glaubt, sie verloren zu haben.
In diesem Moment läuft Sarah in den Raum, kirschäugig, als wäre nie etwas gewesen. Abraham reißt sie an sich und beginnt vor Glück zu hopsen.
ABRAHAM:
Welch ein Glück, es geht dir gut. Ich bin ja so froh.
Er wendet sich zu Alfred und Abbe.
ABRAHAM:
So, und ihr zwei setzt euch jetzt brav auf‘s Sofa und bleibt den Rest des Tages bei mir. Damit ihr auch ja keinen weiteren Unfug mehr macht.
Abbe und Fred setzen sich widerwillig aufs Sofa und sind zappelig.
In diesem Moment tritt Recha, Abrahams älteste Tochter, in den Raum. Sie ist 16 Jahre alt, zierlich und elegant. Ihre Bewegungen sind leise, fast schwebend. In ihrer Schönheit liegt eine Spur von Melancholie. Abraham schaut auf und lächelt stolz.
ABRAHAM:
Ah, da bist du ja, meine Recha, die Blume Israels. Mein ganzer Stolz. Wie ist es? Was macht die Schule?
RECHA (leise, sanft, nachdenklich, melancholisch):
Ach Vater… weißt du, es ist schwer. Ich bin... da, aber nicht wirklich bei ihnen. Ich gehe auf die Schule mit den hohen Töchtern der Stadt, doch gehöre ich niemals so ganz zu ihnen. Sie... sie... es ist, als seien sie fest entschlossen, mich nicht aufzunehmen. [Ausdruck von Diskriminierung]
Sigi ist anders, mit ihm kann ich lachen und wir sprechen gern über die Bücher, die er mir leiht.
Was nutzt es, dass du mich auf diese Schule schickst, was nutzt mir meine Bildung, wenn ich doch nur die bleiben kann, als die sie mich sehen. Ich bin immer nur die Tochter des Kaufmanns aus der Ju****gasse, niemals eine von ihnen.
Sie lässt sich zu Fred und Abbe auf‘s Sofa nieder.
ABRAHAM:
Recha, meine Tochter, die Welt mag voller Dinge sein, die nicht recht Sinn ergeben... Menschen, die nicht sehen wollen, wie wir sind.
Die feinen Damen, wie du sie nennst, sie sehen dich an und doch sehen sie nicht wirklich. Sie wissen nicht, was sie vor sich haben. Sie sehen nur — doch sie verstehen nicht.
Du bist mehr, als sie je begreifen werden.
FRED:
Recha, die andern können dir egal sein…
ABBE (fällt ins Wort):
Nein, müssen dir sogar egal sein!
FRED:
Du bist schöner und klüger als diese Go****! [Abwertende Bezeichnung für nicht jüdische Menschen]
ABBE:
Und du bist die beste große Schwester, die es überhaupt nur gibt!
RECHA:
Ach, ihr zwei Knirpse… Ich hab euch lieb! nimmt beide in den Arm.
[ENDE SZENE 2]
Szene 3 - Drahtseilakt
Ein Ausrufer betritt die Bühne. Er trägt eine Zeitung unterm Arm und verliest die neuesten Nachrichten.
AUSRUFER:
Höret, höret, Bürger und Bürgerinnen der Stadt! Neuigkeiten von den Gassen!
Trauer in der Familie des Alberto.
Gestern Mittag wagte der Drahtseilju**** [Ausdruck von Diskriminierung] erneut eines seiner Kunststücke hier am Marktplatz, doch wurde seine Provokation hart gestraft: mit dem Sturz ins Verderben.
Man munkelt, der Unmensch [Dehumanisierung der jüdischen Bevölkerung in Vorbereitung auf den Holocaust, um die Hemmschwelle der Gewalt zu senken und die Taten an ihnen akzeptabler zu machen] erfuhr die gerechte Strafe als eine unausweichliche Konsequenz.
Seine Kunst – eine Anmaßung!
Die Tauben fliegen, aber sie trauern nicht! [Ausdruck von Diskriminierung]
Sie verkünden das Ende eines Mannes, der sich gegen die Ordnung auflehnte.
Jedem das Seine… [„Jedem das Seine“ war ein Satz, der genutzt wurde, um die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung während des NS-Regimes zu rechtfertigen. Er formulierte die Überzeugung, dass jeder das bekommt, was er*sie verdient hat, wurde jedoch von den Nazis dazu missbraucht, den Massenmord an den in Konzentrationslagern inhaftierten Menschen zu rechtfertigen. Das bekannteste Beispiel der Verwendung dieser Sentenz bildet die Inschrift über dem KZ Buchenwald, die absichtlich so angebracht wurde, dass sie von innen lesbar war und so den Inhaftierten jeden Tag beim Appell vor Augen war. Sie wurde somit zu einem „Synonym für Massenmord“. Dabei lag der Zynismus für die Häftlinge darin, dass ihnen mit diesem „Rechtsspruch“ tagtäglich vor Augen geführt wurde, „dass sie rechtmäßig aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind, dass sie diese Behandlung verdient haben, dass sie keinen Anspruch auf menschenwürdiges Leben haben.“ (Frank Brunssen, „Jedem das Seine“ – Zur Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes, Bundeszentrale für Politische Aufklärung, 15.10.2010, abrufbar: https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42761/jedem-das-seine-zur-aufarbeitung-des-lexikalischen-ns-erbes/
[ENDE SZENE 3]
Szene 4: Sigis geheimer Turm
Sigi ist in seinem geheimen Turm. Dort kann niemand heraufkommen, außer Hanna, die ebenso leicht und wendig ist wie er. Sigi liest, Hanna kommt ihn besuchen.
HANNA:
Hallo Sigi, warum bist du hier oben?
SIGI:
Hier sucht mich keiner… und wer mich sucht, der bricht sich bestimmt den Hals.
HANNA:
Hier bist du sicher, selbst wenn man euch einmal verfolgt. [Verweis auf die lange Geschichte jü****er Verfolgung]
Pause
Hast du es gehört, das von dem Drahtseilkünstler?
SIGI:
Freilich habe ich es gehört. Mein Großvater greint seit dem Moment, in dem es passiert ist. Er kannte den Alberto von klein auf. Vor vielen Jahren waren sie schon einmal zu Besuch.
HANNA:
Auf dem Marktplatz sprechen sie, als wäre es eine gute Sache, dass er nun tot ist. Pause [Ausdruck von Diskriminierung]
Glaubst du, dass man es wieder einmal tun wird? Dass man euch verfolgt?
SIGI:
Ich glaube, dass es immer möglich ist und dass es alles wieder geben kann.
HANNA:
Wenn es so ist, gehe ich mit dir in den Turm. Am besten wir legen uns einen Vorrat an. Meinst du wohl, dass es eilt? Sag es mir Sigi.
SIGI:
Es eilt nicht. Nein.
HANNA:
Mein Vater hat aus Amerika einen Revolver mitgebracht, der mit Perlmutt eingelegt ist. Ich weiß, wo er ihn aufbewahrt. Soll ich ihn holen?
SIGI:
Noch nicht. Pause
Sieh dir die Landschaft an.
Sie schauen in die Ferne.
HANNA:
Was ist das dort hinten für ein hübsches kleines Haus?
SIGI:
Das ist ein Liebestempel.
HANNA:
Es gibt nichts Schöneres als die Liebe, Sigi.
SIGI:
Was weißt du denn von der Liebe? Du bist doch noch ein Kind. Lernt man es in der Schule? Steht’s im Lesebuch?
HANNA:
Man lernt es nicht, man hat es im Gefühl. Hanna deutet aufs Herz.
SIGI:
takes her finger gently and führt ihn auf die Höhe des Bauchs
Im Magen.
HANNA:
Ich will es dir beweisen eines Tages. Wenn alle dich verlassen, will ich bei dir bleiben.
Ich schaffe den Revolver in den Turm.
SIGI:
Sigi nimmt ein altes Fernrohr aus einer Kiste und fährt es aus.
Da – sieh, wer auf der Bank im Garten sitzt.
HANNA:
Plötzlich Gepolter und Geschrei unten auf der Straße. Sie sehen Edel Kafrill und den Metzgerburschen, der ihr mit einer Speckschwarte vor dem Gesicht herumwedelt. [Ausdruck von Diskriminierung]
SIGI:
Da hast du‘s wieder. Der Lümmel würde es durchaus nicht wagen, hier irgendwelche weiblichen Personen anzupöbeln. Ich meine jetzt noch längst nicht sogenannte Damen, ich meine beispielsweise Milch- und Eierfrauen.
Aber mit meiner Tante Edel kann er es ja treiben… sie ist ja bloß mit uns Ju**** verwandt.
Hanna wirft wütend einen Ball nach dem Metzgerburschen, und Sigi und sie steigen den Turm hinab. Indessen entreißt Edel ihm die Speckschwarte und pfeffert sie davon.
METZGERSOHN:
Der Meister wird euch schon die Rechnung machen!
EDEL KAFRILL:
Der Meister weiß, dass wir nichts Unreines genießen.
METZGERSOHN:
Und dennoch müsst ihr zahlen. Es waren zwei Pfund Speck…
gerissen
Nein vier!
höhnisch
Ich wusste gar nicht, dass ihr so scharf auf Speck aus seid.
Herr Ephraim wird greinen, wenn die Rechnung kommt.
Er wird sagen: „Hätt ich gedacht, dass die Edel heimlich Schweinefleisch verspeist.“
rennt davon.
SIGI:
Da hast du’s… Edel zahlt vier Pfund Speck, und ich bezahle für die Ohrfeige gegen die Guste.
Auch du, dein Ball ist weg. Pause
HANNA:
In der Schule sagen sie immer: Das Leben ist hart, aber gerecht.
Es stimmt nicht…
Gerechtigkeit, die gibt es nicht.
SIGI:
Ich zahle gerne…, wenn es so wäre, dass alle gleichermaßen zahlen. [Ausdruck von Diskriminierung]
Es geht hier doch um grundsätzliche Dinge. Ich sage dir, wir werden dieses Leben eines Tages noch leid sein.
HANNA:
Oh, niemals Sigi, es ist viel zu schön.
SIGI (skeptisch, entschlossen ihr das Gegenteil zu beweisen):
Was ist denn schön?
HANNA:
Ach alles!
SIGI:
Und alles – was ist das?
HANNA:
Schon morgens bin ich froh.
SIGI:
Was freut dich denn?
HANNA:
Ich weiß es nicht.
SIGI:
Du gehst doch nicht mal gern zur Schule. Bist du dennoch so entzückt, wenn du erwachst?
HANNA:
Ja Sigi.
SIGI:
Zuweilen sieht es aus, als ob du traurig seist.
HANNA:
Man ist doch dennoch froh, auch wenn man traurig ist.
SIGI (resigniert):
Ach… ich geb das Examen auf. Du begreifst mich wohl nicht.
HANNA:
Wenn wir uns unterhalten, Sigi, dann fühlt es sich manchmal so an, als ob wir nicht allein sind.
Ein Dritter ist dabei.
Ein quälendes, forderndes Gespenst…
Es ist mir durchaus nicht wohlgesonnen.
[ENDE SZENE 4]
Szene 5 - Nachbarschaft
Ephraim, Edel, Sigi und Hanna trinken Kaffee im Laden. Hosianna, ein garstiger einflussreicher Ratsherr, der die Ju*** und Trödler nicht leiden kann, steht am Fenster und schaut böse hinein.*
HANNA:
Was macht euer Nachbar, der Herr Presbyter, am Schaufenster? Immerzu steht er da und sieht garstig aus.
EPHRAIM:
Hosianna! Dieser frömmlerische böse Mann. Er hat keine gute Seele, so viel ist gewiss. Regelmäßig kauft er sich sein Gewissen rein, spendet Kirchenbänke, Glocken und Altare, doch die Armen, die vor seiner Haustür Hilfe ersuchen, die scheucht er davon.
Ephraim geht demonstrativ vor seinen Laden und hängt einige seiner Waren von der Wand ab. Als er wieder zur Tür hineingeht…
HOSIANNA (zischt hinterher):
Irgendwie müsste man dem elenden Volk doch einmal auf die Schliche kommen. [Ausdruck von Diskriminierung]
geht davon
SIGI:
Den Trödlern ist der Ratsherr freilich nicht hold. Er schwärzt uns immerzu an, wo er nur Gelegenheit dazu findet.
HANNA:
Ich weiß, was wir tun können, um ihn zu ärgern. Wir bauen ein Stillleben mit dem Schädel, den ihr habt. Ich bin mir sicher, solch ein Anblick missfällt ihm heftig – und doch kann er nichts tun, es ist ja euer Schaufenster.
SIGI:
Du hast famose Ideen, du sonderbares Kind. Nun gut, sollst du deinen Spaß meinetwegen haben.
Sigi holt eine Kiste aus dem Eck, und die beiden beginnen ein Stillleben mit einem Totenschädel im Schaufenster des Ladens zu inszenieren.
HANNA:
Gib mir einmal das große Tuch. Ich will es ausbreiten.
SIGI:
Während die beiden bauen:
Das Neueste also ist, dass Guste dreist behauptet, ich sei ihr gegenüber zudringlich gewesen [Ausdruck von Diskriminierung] und ihrer tugendsamen Abwehr wegen habe sie die Ohrfeige bezogen.
HANNA:
Das stimmt doch gar nicht. Ich war doch dabei und kann es doch bezeugen!
SIGI:
Du bist ja doch nur ein Kind. Dein Wort nützt mir nichts.
HANNA:
Es erscheint mir unendlich traurig, ein Kind, nichts als ein Kind zu sein.
SIGI:
Und überhaupt nutzt es mir wenig, geht diese Entstellung den Leuten nur zu leicht ein. Bei jedem sind wir bereits in Verruf, ohne dass uns je einer in dieser Sache angehört hat. Und so glaubt nun bald die ganze Stadt, ich sei zudringlich gewesen. [Ausdruck von Diskriminierung]
HANNA:
Wie ist man zudringlich?
SIGI:
Indem man anderen Leuten auf den Leib rückt.
HANNA:
Ja wirklich auf den Leib?
SIGI:
Mehr oder weniger genau.
HANNA:
Wir könnten doch meiner Mutter die Wahrheit sagen. Zu meiner Mutter könntest du Vertrauen haben, Sigi.
SIGI:
Nein. Sie würde urteilen: „Man schlägt doch keine Frau.“ Und damit hat sie Recht.
HANNA:
Mein Gott, was ist schon eine Ohrfeige?
SIGI:
Nein, ich bin zu sehr im Nachteil. Sieh mich nur an: Großvater Ephraim hat meinen Anzug wieder eingetauscht. Die Hose ist zu weit, die Ärmel hängen auf die Fingerspitzen. Ich weiß ja nur zu gut, dass die Ästhetik was zählt.
EPHRAIM (beschämt):
Es war kein Geld mehr da.
SIGI:
Ja, weil du wieder Plunder eingekauft hast.
EDEL KAFRILL:
Nur ganz selten kommen noch Leute in den Laden, und gar nie kaufen sie etwas. Ständig sind wir bei der Herzl Bär in der Kreide.
EPHRAIM (verteidigend):
Nur echte Sachen hab ich gekauft! – und so schön!
SIGI:
Ich werd eines Tages noch alle Schönheit hassen. Da macht man mich dann zur Vogelscheuche, um des Schönen willen. Und niemals werden wir in Ordnung kommen.
HANNA:
Ordnung? Was ist das denn?
SIGI:
Ach, es hat doch alles keinen Zweck. Und überhaupt, die Geschichte vom bösen Ju**** gefällt den Leuten nur allzu gut. [Ausdruck von Diskriminierung]
Weißt du, was die da drüben sagen? Wir Ju**** seien alle krank, die Trödelbuden seien Seuchenherde, und die Behörden sollten sich drum kümmern.
Man solle einmal räuchern — merkst du was?
Sie möchten uns aus „sanitären Gründen“ verbrennen, weil doch am Ju****tum das deutsche Wesen krankt.
HANNA:
Hosiannas Sohn hat doch selbst einen Hydrocephalus (Der Behindertenrat empfiehlt diesen Begriff, da „Wasserkopf“ abwertend ist).
Ist denn ein Hydrocephalus gesund?
SIGI:
Oh, unter seinesgleichen dient er schon.
Ich wollte dir noch etwas anderes sagen:
Der Schutzi steht jetzt jeden Morgen am Portal des humanistischen Gymnasiums. Ich glaube, dass er sich dort meinetwegen aufhält, denn immer, wenn ich komme, zieht er umständlich ein Heft heraus und schreibt etwas hinein. Das treibt er ein paar Tage schon. Er hofft, die Sache mit der Ohrfeige doch endlich an den Mann zu bringen.
HANNA:
Ich habe meine Eltern sprechen hören.
Auguste hat den Schutzi geheiratet und ist frei vom Dienst bei uns.
Sie ziehen bei Hosianna ein.
Jetzt haben sie nichts mehr zu befürchten und können uns nach Herzenslust befehden.
Mir graust es davor — und gar, wenn ich denke, dass sie nun in der Nachbarschaft wohnen.
Die Ladentür geht auf. Die Frau Notar betritt den Laden mit einem Damast-Gedeck, das sie geliehen hat.
FRAU NOTAR:
Guten Tag, Herr Ephraim.
EPHRAIM:
Ach, gnädige Frau Notar, Sie kommen wohl das Gedeck zu bezahlen, das ich Ihnen besorgen sollte. Hat es Ihnen gut gedient bei Ihren Feierlichkeiten?
FRAU NOTAR:
Ich nehm es nicht. Es ist zu teuer. Es ist ja auch ein Loch darin.
Ephraim stürzt auf das Gedeck zu und ringt die Hände.
EPHRAIM:
Es war kein Loch darin, Gott der Gerechte, mit meinen Augen hab‘ ich es gesehen. Das alte Fräulein, von der ich es hab, wird es mir bezeugen.
FRAU NOTAR:
Ein Loch, das unbedingt ins Auge fällt!
Das Tuch wird aufgeschlagen und ist mit Wein befleckt — offensichtlich beschädigt, doch sie möchte nicht bezahlen. [Ausdruck von Diskriminierung]
Ephraim beginnt zu weinen. Sigi tritt leise an die Dame heran.
SIGI (leise und bestimmt):
Gehen Sie!
Sie verschwindet schnell.
EPHRAIM:
Wie soll ich das Gedeck verkaufen? Ich habe es mit gutem Geld bezahlt. Es war ja auch wie neu. Wer aber wird es mir glauben?
SIGI:
Niemand.
Brauchst du meinen Anzug?
EPHRAIM:
Nein, diesen Anzug nicht.
SIGI:
Es will ihn ja keiner.
Dann ist also der Letzte ohne Aussicht auf den Ersten, und es ist Zeit, den Schrank zu öffnen.
Alle drehen sich nach dem prächtigen Möbelstück in der Mitte des Raumes um.
EPHRAIM:
Nein. Mein Bruder Isidor sagte, als er ihn mir vermachte:
„Drei Tage, wenn ihr nicht gespeist habt, reißt erst das Schloss heraus.“
EDEL KAFRILL:
Lass doch einen Schlosser kommen.
EPHRAIM:
Oho, dass er die Nase in den Schrank steckt! Womit willst du denn auch noch Handwerker bezahlen?
EDEL KAFRILL:
Mit dem, was im Schrank ist.
SIGI:
Und wenn nichts darin ist? Wenn niemand einen Pfennig hat, dann lasst mich das Schloss herausreißen.
EPHRAIM:
Zerstören? Niemals.
Der blinde Löb kommt herein. Hanna schaut ihn erschrocken an. Dann läuft der Blinde in Richtung der Wohnstube und ruft Ephraims Namen.
LÖB:
Ephraim!
Ephraim setzt sich kommentarlos in Bewegung und verschwindet mit dem blinden Löb zum Beten.
HANNA:
Sie fasst nach Sigis Hand.
Wer ist das?
SIGI:
Es ist doch nur der blinde Löb, der mit Ephraim zusammen betet.
HANNA (voller Furcht):
Der Blinde? Nein, es muss der Engel sein.
SIGI:
Er wendet sich erneut zu dem Schrank.
Da steht dieses Möbel schon seit vielen Jahren, und keiner wagt, es aufzubrechen, weil man nicht weiß, ob nun die Not schon groß genug ist.
Und jeden Tag ist Not, es fehlt an allem — doch wer entscheidet, ob das Äußerste erreicht ist?
Edel hat keine Seife zum Waschen, aber Brot ist noch da. Und wenn kein Brot da ist, dann essen wir Kartoffeln. Die Herzl-Bär borgt mit unendlicher Geduld, und zwischendurch kommt mal ein Kunde.
So geht das Leben weiter — und der Schrank bleibt ungeöffnet.
Ich wollte Ephraim schon einmal überreden, das Schloss zu sprengen… aber ganz vergebens.
Er fürchtet diesen Blinden.
Wenn du den Blinden fragst, was Not ist, dann erfährst du:
Drei Tage muss der Sarg dein Bett gewesen sein.
EDEL KAFRILL:
Wir wollen einen Schlosser holen, Sigi — wenn Ephraim das nächste Mal betet.
SIGI:
Du weißt, dass es nicht geht. Aus vielen Gründen.
HANNA:
Es ist, als ob der Schrank uns verhöhnt. Ich meine, ich könnte ihn lachen hören.
SIGI:
Wir denken Wunder, was da drin ist, und am Ende sind es nur Korallenkettchen.
Auch eine Gemme (ein Edelstein, zu Kamee oder Intaglio geschnitten), mag dabei sein, ein Bettlerarmband mit Münzen: „Gott schütz dich Liebling“.
Armbänder aus dem Haar der Urgroßmutter, ein Kinderzahn, vielleicht eine Spieldose.
HANNA:
Was aber, wenn es so wäre? Wenn ihr Klarheit darüber hättet?
Wer würde in diesem Haus noch einen Finger rühren?
Seit langem ist unser Leben dies trächtige, geheimnisvolle Ding.
Alle Hoffnung wäre mit seinem Geheimnis fort.
Wir müssen alles lassen, wie es ist.
Man will doch aber Klarheit!
SIGI:
Ich hab dir gesagt, dass Klarheit auch gefährlich werden kann.
Im Übrigen ist es nun mal so, dass Ephraim stets auf den Blinden hört.
Er will die Prüfung und die Läuterung.
Ephraim seinerseits verabscheut es zu handeln.
Im Grunde wünscht er keine Änderung.
Es braucht also ein Wunder…
[ENDE SZENE 5]
Szene 6 - Anschuldigungen
Ausrufer betritt die Bühne. Hinter ihm befindet sich eine Menschenmenge. In dieser sind auch Sigi und Hanna.
AUSRUFER:
Hört hört!
Unweit unserer Stadt zwischen den Wingert liegt ein Kloster, in dem man sich einer Schar von Mädchen annimmt, die das Schicksal nicht mit Gunst bedacht hat. Die gutmütige Nonne führt sie zuweilen in die Stadt für eine Stunde christlicher Erbauung.
Gestern jedoch, an diesem nebelgrauen Nachmittag begab sich eine fürchterliche Szene. Eine dunkle Gestalt, gekleidet wie ein klappriges Gespenst, in schwarzer Pelerine, mit einer Larve aus tiefstem Schwarz vorm Gesicht trat vor die Nonne und ihre Schützlinge. Er öffnete urplötzlich sein Gewand und war darunter splitterfasernackt!
Die Menge reagiert erschrocken.
Die Nonne ließ diese Schandtat nicht ungestraft und fing an, den Übeltäter mit ihrem Regenschirm zurechtzuweisen. Doch hatte sie große Mühe, den Tumult der aufgebrachten Mädchen dabei im Zaum zu halten und so konnte der Unhold entkommen. Nur unmenschliche Wesen [Ausdruck von Diskriminierung] sind zu solchen Taten fähig und die Polizei bittet um Hilfe, den Parasit in unserer Mitte ausfindig zu machen und das deutsche Volk so zu schützen.
SIGI:
Zu Hanna
Jetzt suchen sie wie wild nach Pelerinenträgern (Eine Pelerine ist ein Schulterumhang, ähnlich wie ein Cape, der eigentlich über einem Mantel getragen wird) ... und wen nehmen sie aufs Korn? Den blinden Ju**** Löb, der mit meinem Großvater betet. Sein Bezug zum Rabbiner ist für sie Grund genug. [Ausdruck von Diskriminierung]
HANNA:
Weißt du, wer auch eine Pelerine trägt? Hosianna! Er ist mir neulich begegnet mit einem faltenreichen Überwurf. Sogar seine Knöchel konnte ich sehen.
SIGI:
Na selbst wenn er eine Pelerine hat, er wird niemals verdächtigt werden, denn es sind ja seine Leute, die mit der Suche beauftragt sind. Die Ju**** sind in ihren Augen grundsätzlich verdächtig. [Ausdruck von Diskriminierung]
Die Menge geht ab und zurück bleiben Sigi und Hanna. Nach einer kleinen Weile spricht Sigi.
SIGI:
Ich hab‘s dir noch nicht erzählt, aber sie werden mich wohl von der Schule werfen. [Ausdruck von Diskriminierung] Ich soll morgen zum Direktor. Das verdank ich wohl der Guste und ihrem Schutzi.
HANNA:
Und wirst du dich entschuldigen?
SIGI:
Nie! Natürlich hätte der Rabbiner sich beherrscht. Ich aber bin noch nicht so alt und weise.
HANNA:
Das Böse und Feindliche kommt unaufhaltsam auf uns zu. Ich fühle es.
SIGI:
Wir müssen uns vorbereiten, es ist keine Zeit mehr zu verlieren.
HANNA:
Dann wollen wir Gerichtsverhandlung spielen. Dann sind wir vorbereitet, wenn sie sich bald eines höheren Orts mit uns befassen.
Du bist der Direktor und ich die Delinquentin (beschuldigte Person).
SIGI:
Nun gut. Er verstellt die Stimme und spielt Direktor
Was hast denn du – ein Kind aus gutem Haus – bei Ephraim zu tun? [Ausdruck von Diskriminierung]
HANNA:
Ephraims Haus ist auch ein gutes Haus. Da geht der Geist noch um.
SIGI:
Es spukt also. Das haben wir schon längst bemerkt. Du hast in frevlem Übermut den Schädel eines Christenmenschen, dem Herrn Presbyter, an den Kopf geworfen.
HANNA:
Hätt‘ ich nur eine Kokosnuss gehabt.
Beide brechen in Gelächter aus.
HANNA:
So, jetzt bin ich einmal die Direktorin. Verstellt ebenfalls die Stimme
Herr Sigi, Ihr Lehrer hat neulich doch gesagt, dass ihn der Herrgott nie verlassen habe. Da haben Sie dem Nebenmann ins Ohr geflüstert: „Den kann der Herrgott leider nicht verlassen, der ist beamtet und bekommt Pension.“
Sigi fällt aus dem Spiel heraus, weil er irritiert ist, woher Hanna das weiß.
SIGI:
Wer hat dir das erzählt?
HANNA:
Mein Vater. Der Zeichenlehrer hat es ihm gesagt.
SIGI:
Hat dein Vater dir nicht verboten, zu uns zu gehen?
HANNA:
Er hat es nicht verboten, nein! Er hat gesagt: In Gottes Namen geh.
SIGI:
Man muss ihn darum loben.
HANNA:
Ja, Schwierigkeiten machen sie daheim mir nicht. Sie sind nur gar nicht glücklich, weißt du.
SIGI:
Das ist nicht nötig. Glück ist Luxus. Hauptsache, dass sie dir vertrauen.
HANNA:
Auch dir, Sigi!
SIGI:
Mir hilft es nichts. Für dich gibt es Perspektive. Ich aber sitze in der Mausefalle. Naja, es gibt noch eine Möglichkeit. Die Mausefalle hat ein Loch. Die Maus kann, wenn sie will, entweichen.
HANNA:
Zum Publikum. Sigi ins Freeze. Interne Gedanken Hannas:
Ich hatte plötzlich Angst und wusste nicht warum. Für mich stand hinter dieser Möglichkeit, von der Sigi sprach, nur blanke Schwärze. Ich schloss die Augen und erlebte jetzt, dass sich die Schwärze lockerte in Asche, die unablässig rieselte und rann. Ich schmeckte Sand und Asche auf der Zunge.
SIGI:
Sigi holt Hanna zurück in die Realität:
(erschrocken) Was hast du?
HANNA (abwesend):
Es rieselt Asche, Sigi, das ist alles.
SIGI:
Ich hol dir ein Glas Wasser.
Er holt das Wasser und Hanna trinkt es hastig.
Na siehst du, es ist schon wieder gut.
HANNA:
Gut ist es nicht. Pause Hab ich auch eine solche Möglichkeit?
SIGI:
Und ob! Du siehst sie nur noch nicht.
HANNA:
Wann werde ich sie denn sehen?
SIGI:
Oh, wenn du alt und müde bist. Pause Lass uns nach Hause gehen.
[ENDE SZENE 6]
Szene 7 - Zwischen Wunder und Resignation
Der Laden Ephraims. Ephraim und Edel sind im Laden zugange. Ein Seemann betritt den Laden. Da die Familie vollkommen verarmt ist, ist sie sichtlich bemüht, Kunden zum Kauf anzuregen.
EPHRAIM (sichtlich bemüht):
Guten Tag, der Herr! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?
SEEMANN (grummelig und schroff):
Ich will meine Seemannskluft ablegen. Trag ich sie jetzt schon viel zu lange. Brauch was Anständiges. Jacke, Hose, Schuhe. Strümpfe brauch ich auch.
EPHRAIM:
Ephraim ist eingeschüchtert, wittert aber auch die Chance, endlich einmal wieder ein gutes Geschäft zu machen.
Natürlich, natürlich. Wir haben alles, was Sie brauchen.
SEEMANN:
Und ne warme Weste, wenn es sowas hier gibt.
EPHRAIM:
Schauen Sie einmal hier, feinstes Material! Eine warme Jacke, er zieht eine Jacke von der Kleiderstange…
Diese Hose könnte Ihnen passen, zieht eine Hose von der Kleiderstange… beste Qualität, ich versichere es Ihnen!
EDEL KAFRILL:
Hier sind auch noch Strümpfe, ein Schal… der passt wunderbar dazu! Ein Hemd, Schlips und ein Tuch hab ich auch noch im Angebot für Sie!
SEEMANN:
Ja schon gut. Am Geld scheitert es nicht. Aber mach schnell und keine Spielereien.
EPHRAIM:
Ich verstehe. Natürlich, der Herr, natürlich. Holt ein paar Stiefel hervor.
Und diese Stiefel hier hab ich noch, Sie werden keine besseren finden! Ich hab auch eine Weste – ja, sehr warm, sehr gut für die See und für den Winter.
SEEMANN:
Für die See muss es nicht mehr sein… Passen die auch? Ich hab keine Zeit für irgendwelchen Unsinn. Er muss übel husten.
EPHRAIM:
Aber ja, aber ja! Er hebt die Stiefel neben den Fuß des Mannes.
Sehen Sie hier. Und sehr robust, Sie werden sie jahrelang tragen können.
Edel Kafrill läuft zu Ephraim und flüstert ihm leise etwas ins Ohr.
EPHRAIM (leise und unsicher):
Rheuma oder Ähnliches? Ist ja eine alte Seefahrerkrankheit. Dagegen hätten wir auch noch ein Mittelchen…
SEEMANN (skeptisch):
Ein Mittel?
EDEL KAFRILL:
Zieht ein kleines Katzenfell hervor.
Dieses Fell… man sagt, es hat eine heilsame Wirkung gegen Rheuma. Einige unserer Kunden schwören darauf. Vielleicht ist es auch Ihnen nützlich.
SEEMANN:
Das kleine Ding soll mir helfen?
EPHRAIM:
Möglich ist es schon. Es schadet nicht… Wenn Sie es einmal versuchen, nicht wahr?
SEEMANN:
Na gut, pack alles in einen Koffer. Den werde ich auch bezahlen.
EPHRAIM:
Er holt einen Koffer unter seinem Tresen hervor und verstaut die Dinge darin.
Natürlich, natürlich.
SEEMANN:
Was soll‘s denn kosten alles zusammen?
EPHRAIM:
Er rechnet wild auf seinem Block, dann schon beinahe peinlich berührt:
Es sind 97 Mark und 30 Pfennig.
SEEMANN:
Na, ich hoffe, dass es das Geld auch wert ist. Sonst komm ich wieder und werd unfreundlich.
EPHRAIM:
Alles wird zu Ihrer Zufriedenheit sein, das verspreche ich.
In diesem Moment betreten Sigi und Hanna den Laden. Der Seemann erblickt Sigi, während Hanna direkt einen Sicherheitsabstand zwischen sich und dem fremden Mann sucht, der sie ängstigt.
SEEMANN:
Wer ist das?
EPHRAIM (stolz):
Mein Enkelsohn.
SEEMANN:
Das Jüngelchen?
Sigi steigt das Blut zu Kopf, doch Hanna geht zu ihm hin und beruhigt ihn, damit er den Finsterling nicht verärgert.
Der Seemann holt aus seiner Tasche einen Anker und gibt ihn Sigi.
Ist bloß ein Symbol, hab’s nicht mehr nötig jetzt. Seemann ab.
Alle schauen dem Seemann hinterher. Sie empfinden Glück über das Geld, sind aber auch eingeschüchtert von seiner finsteren Art. Ephraim lässt andächtig das Geld durch seine Finger rinnen.
EPHRAIM:
Einhundert Mark!
EDEL KAFRILL:
Es ist das Wunder, für das wir gebetet haben. Ich will gleich die Schulden damit bezahlen, die wir noch bei der Herzl Bär haben.
EPHRAIM:
Und mit dem Rest kauf ich dieses wunderbare Porzellan. So alt und schön, und so filigran gearbeitet. Das schönste Porzellan der Welt! Und verkauf ich‘s mit großem Gewinn, wo ich‘s doch so billig bekomme.
SIGI:
Der Schatz ist ebenso schnell wieder fort, wie er uns zugekommen ist.
EDEL KAFRILL:
Ich weine ihm nicht nach. Ich will dankbar sein und nicht immerzu weiterklagen. Freilich können wir bei der Herzl-Bär jetzt wieder anschreiben, ohne dass sie etwas zu sagen hat.
EPHRAIM:
Der Schatz mag schnell zergangen sein. Das Wunder bleibt dennoch bestehen!
HANNA:
Zur Rettung braucht es eben Männer von der See, fliegende Holländer und solche Leute. Echte Abenteurer!
Abraham kommt plötzlich in den Laden.
ABRAHAM:
Du musst mir helfen, Sigi.
SIGI:
Ich kann mir selbst nicht helfen, Abraham.
ABRAHAM:
Du musst mir Liebesbriefe schreiben, an meine Tochter Recha musst du schreiben.
SIGI:
Will Recha denn von mir überhaupt…?
ABRAHAM:
Schreib so, als ob du wärst der Leutnant.
SIGI:
Für wen hältst du mich eigentlich?
ABRAHAM:
Ich weiß schon, wer du bist: Ephraims Enkelsohn. Ich weiß auch, du hast freilich deinen Stolz.
SIGI:
Der Nachfahr des Rabbiners bin ich! Glaubst du, dass der Rabbiner schreiben würde?
ABRAHAM:
Nun, der Rabbiner würde schreiben.
SIGI:
Steht es so schlecht um sie?
ABRAHAM:
Ja, es ist nicht gut!
Sigi nimmt das Briefpapier, das Abraham dabeihat, und beginnt zu schreiben.
Recha, mein Kind, erst sechzehn Jahre alt! Schreib, dass du nur an sie denkst, nur an sie. Ich lass ihr jeden Morgen Blumen schicken, da glaubt sie dann, dass sie vom Leutnant sind. Jetzt aber wollt sie was Geschriebenes haben – schreib, Sigi, schreib, ich bitte dich.
SIGI:
Hier. Sigi reicht ihm den Zettel.
ABRAHAM:
Abraham liest vor:
Geliebte Recha! Mit Rücksicht auf die Truppe kann ich Dich nicht sehn. Ich darf auch meinen kleinen Neffen nicht besuchen, der Wasserpocken hat. Natürlich sehne ich mich nach Dir, ich habe aber eisernen Befehl. Du hast etwas übrig für das Eiserne, so wirst du alles einsehn und verstehn.
Ich denke unterdessen stets an Dich!
Abraham sieht nicht recht zufrieden aus, muss aber akzeptieren, was Sigi ihm gibt.
SIGI:
Zu Hanna:
Was meinst du, mutet man mir nicht ein wenig viel zu?
ABRAHAM:
Er putzt sich die Schuhe mit einem Taschentuch.
Ich habe Rosen heut für Recha. So lange – er breitet die Arme aus – das Stück für eine Mark!
EPHRAIM:
Du bist wohl reich!
ABRAHAM (zu Sigi):
Besuch doch einmal Recha. Nicht heute. Sie hat heute keinen guten Tag, mit Atemnot und Angst. Doch morgen. Sie ist so oft allein.
SIGI:
Angst… Atemnot und Angst…
ABRAHAM:
Sie hat schon oft nach dir gefragt, Sigi.
SIGI:
So hat sie das? Das letzte Mal hat sie mich ausgelacht! Da stand ich dann vor ihr. Großvater hatte meinen Anzug umgetauscht, weil das Geld knapp war, und sie lachte über meine klägliche Erscheinung. Doch auch wenn er noch so schön gewesen wäre… gegen eine Uniform wie die vom Leutnant käme er nicht an. Nie hätte ich gedacht, dass Recha diesem primitiven Zauber auch erliegen würde.
Ich jedenfalls gehe so nicht mehr raus. Die Ärmel viel zu lang, die Schulter zu breit und das Innenfutter löchrig.
ABRAHAM:
Hol dir bei mir doch einen Anzug von der Stange.
EPHRAIM (empört):
Ich kleide meinen Enkel selbst.
Abraham ab. Bedrückende Stille im Raum.
HANNA:
Ich werde gehen. Ich fühle mich zuweilen so schwer. Ich werde einen Spaziergang unternehmen in der Hoffnung, dass die frische Luft mich erheitert.
Szenenwechsel: Hanna auf ihrem Spaziergang in der Allee vor der Stadt. Sie spielt im Herbstlaub, das auf dem Boden liegt, und es wird immer dunkler. Sie kommt an einen Park, den sie sonst nicht durchqueren darf. Diesmal aber muss sie hindurch. Sie läuft auf Zehenspitzen vorsichtig. Plötzlich springt ein Mann in einer schwarzen Pelerine aus dem Gebüsch. Er streckt die Arme nach ihr aus und versucht sie zu haschen, dann aber rutscht ihm die Maske weg und Hanna sieht sich Hosianna gegenüber. Beide schauen kurz ungläubig und rennen dann in unterschiedliche Richtungen.
Szenenwechsel zurück zum Laden. Sigi sitzt in seinem Turm. Edel kommt Hanna verweint entgegen.
HANNA (erschrocken):
Ist was mit Sigi?
EDEL KAFRILL:
Geh du hinein zu ihm. Er redet nicht.
Hanna geht zu Sigi in den Turm hinein. Er sitzt am Tisch und schaut regungslos in die Leere.
HANNA:
Was machst du?
SIGI:
Sigi wirkt hoffnungslos, als hätte er aufgegeben.
Nichts, wie du siehst. Das heißt, ich warte.
HANNA:
Worauf denn, Sigi?
SIGI:
Kann sein auf einen Kunden. Das ist ein Geschäft. Und du – natürlich willst du etwas kaufen?
HANNA:
Ich habe ja kein Geld.
SIGI:
Kein Geld, oho, da könnte ja jeder kommen. Den ganzen Mittag warte ich auf einen Kunden, und wenn dann endlich einer auftaucht, da sagt er mir, dass er nichts kaufen kann.
HANNA:
Sigi, das ist doch nicht dein Ernst.
SIGI:
Nicht meiner, sondern irgendjemandes Ernst?
HANNA:
Die ganze Zeit war es schon ernst, und immer hast du widerstanden.
SIGI (sarkastisch, Galgenhumor):
Ich widerstehe jetzt doch auch. Merkst du denn gar nicht, dass ich lustig bin?
Ist es nicht lustig, dass die Firma künftig Ephraim’s Enkelsohn heißen wird.
HANNA:
Warst du beim Direktor? Ist es entschieden?
SIGI:
Sigi nickt.
Heute Morgen war zwar nicht die Hinrichtung, es war die Vorbereitung nur. Sie wollen doch die Sache recht genießen. Der Ausgang aber ist gewiss.34
HANNA:
Was du getan hast, Sigi, das ist nichts. Ich kann dir aber sagen, wer die Leute sind, die dich verdammen. Was ich dir jetzt erzähle, ist die reine Wahrheit. Du wirst es ja nur für ein Märchen halten.
Hosianna ist der Unhold, der gesucht wird. Ha, das ist eine Neuigkeit. Da wird man die Ohrfeige vergessen.
SIGI:
Sigi schaut etwas verwirrt.
Woher weißt du das?
HANNA:
Ich hab es selbst erlebt. Er lief mir nach. Er hatte gar nichts an, nur seinen Mantel.
SIGI:
Hast du denn Zeugen?
HANNA:
Natürlich hab ich keine Zeugen, Sigi, sonst wäre mir der Unhold nie begegnet. Da hätte er sich wohl gehütet zu erscheinen. Das ist doch logisch, gell?
SIGI:
Und logisch ist dann ebenso, dass die Entdeckung keinen Wert hat. Ein Kind gilt meistens als unglaubwürdig. Auch du hast Phantasie.
HANNA:
Ich weiß es, wenn ich lüge. Andere Kinder wissen es zuweilen nicht.
SIGI:
Hast du die Sache schon daheim erzählt?
HANNA:
Ich wollte es erst sagen, wenn er weiter Probleme macht.
SIGI:
Du musst schweigen, was Hosianna betrifft.
HANNA:
Was? Warum?
SIGI:
Wir würden uns nur selbst damit schaden. Hosianna ist ein mächtiger Mann. Es käme Schmutz über uns, egal ob es ihn wahrlich gibt oder nicht. [Ausdruck von Diskriminerung]
Auch über dich, obwohl du noch ein Kind bist. Von dir wird engelhafte Reinheit verlangt.
Du hast Hosianna nicht gesehen!
HANNA:
Das ist doch eine Lüge, Sigi.
SIGI:
Hat dich Hosianna eigentlich erkannt?
HANNA:
Ja freilich, sonst wäre er nicht geflohen. Er wird sich denken, dass ich nun alles weiß.
SIGI:
Ach, wärst du niemals in den Park gegangen. Ich befürchte meinen Untergang. Wird der Presbyter mich nun denunzieren, um seine eigene Haut zu schützen?
HANNA:
Es bleibt nichts, als abzuwarten und zu hoffen. Lass uns nach unten gehen und eine Partie spielen.
Die beiden begeben sich nach unten in den Laden. Dort begegnen sie Ephraim und Edel Kafrill, die sich in ihre „feinste“ Kleidung geworfen haben. Sie versuchen sichtlich gepflegt auszusehen, doch es gelingt ihnen aufgrund ihrer Armut und den daher zerschlissenen unpassenden Klamotten kein bisschen.
HANNA:
Hanna hält es für ein Spiel, bei dem sich verkleidet wurde.
Wo wollt ihr denn hin? Geht ihr fein aus?
EPHRAIM:
Wir wollen ins Pennal.
SIGI:
stöhnt
Auch das noch! setzt sich.
EPHRAIM:
Ich wollt dem Direktor sagen, wer mein Enkel ist.
SIGI:
Ja, ja, ich weiß… der Nachfahr des Rabbiners. spottet
EDEL KAFRILL:
Es ist ein guter Enkelsohn, zu schade fürs Geschäft mit Lumpen und Geschirr. Zu schade, vor der Tür zu stehen bei den Go**** [abfällige Bemerkung für nicht jüdische Menschen] und um den alten Plunder anzuhalten. Sie lassen uns erst kommen, heißen uns dann gehen und rufen uns zurück. Nein, dafür ist der Sigi zu gut.
Sigi fängt laut zu lachen an. Er wird richtig sarkastisch und bösartig. Er hat innerlich aufgegeben und lässt nun seine Wut heraus.
SIGI:
Schickt dieses Kind nach Hause. Es braucht ja nichts zu fürchten, ist es ja doch ein Go****.
HANNA:
Ein Go**** will ich nicht sein. Ich möchte jetzt nach Hause.
SIGI:
Geht alles dich nichts an?
HANNA:
Doch Sigi, doch, ich will jetzt aber gehen. Ich fühle mich so einsam hier.
Hanna ab.
SIGI:
Zieht euren Narrenstaat jetzt wieder aus. Schaut euch doch im Spiegel an. Oder gibt es hier im Haus keinen?
EPHRAIM:
Ich habe mich betrachtet. Ich weiß nicht, was dem Enkelsohn missfällt.
EDEL KAFRILL:
Wir haben unsre schönsten Sachen an.
SIGI:
Es widert mich an. Das alles.
EDEL KAFRILL:
Dem Enkelsohn ist es bei uns nicht gut genug?
SIGI:
Nicht gut genug? sarkastisch
Ich fühle mich hier unbeschreiblich wohl, schreit so wohl, dass ich euch nie verlassen will. Ich will den letzten Bissen mit euch teilen, falls euch das Freude macht.
EPHRAIM:
Es macht uns keine Freude, wir wollen, dass du Kuchen hast. Das Brot ist knapp bei uns. Damit du aber Kuchen haben kannst, muss ich mit dem Direktor sprechen.
SIGI:
Wenn du zum Direktor gehst… wirst du mich – wenn du heimkommst – nicht mehr finden.
Er lässt sich erschöpft fallen. Die Geschehnisse der letzten Zeit haben seinen Willen vollkommen gebrochen und er hat innerlich aufgegeben.
[ENDE SZENE 7]
Szene 8 - Rechas Tod
Auf einer Bank nehmen zwei Menschen Platz, die sich unterhalten.
PERSON 1:
Hast du’s schon gehört? Dem Abraham seine Älteste ist gestorben.
PERSON 2:
Nein ehrlich? Woran denn?
PERSON 1:
Tuberkulose sagt man sich. Sie hat wohl Blut gespuckt.
PERSON 2:
Ach ja,… verwunderlich ist es ja nicht bei solchen Leuten. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 1:
Wie meinst du?
PERSON 2:
Man hört doch immer, wie sie alle so schwach sind, immer diese Krankheiten. Liegt wohl am Lebensstil... oder den Genen, wie manche sagen. [Ausdruck von Diskriminierung]
Hanna kommt dazu und setzt sich auf eine zweite Bank mit einem Buch. Sie kann das Gespräch hören.
PERSON 1:
Und denen ihr Essen… „Koscher“… na da fehlt einem doch alles. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 2:
Ach, wer weiß. Und das Mädchen... so oft krank, immer blass und schwächlich. Hat ja nie richtig in die Schule gepasst. War ja auch... anders, du weißt schon. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 1:
Für mich ist es ein Zeichen, dass diese Leute einfach nicht so robust sind wie andere. Solche Krankheiten, es passt eben allzu gut ins Bild. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 2:
Na, schau dir doch einmal das Drecksloch an, das sie Gasse nennen. Alle tummeln sie sich da. Ich komme nicht daran herum, zuweilen an Ratten zu denken, wenn ich dort vorbeimuss. Abstoßend. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 1:
Seuchenherde. Von dort geht medizinische Gefahr für uns Deutsche aus. Man sollte einmal aufräumen. [Ausdruck von Diskriminierung]
PERSON 2:
Recht hast du! Naja, die Recha steckt jetzt keinen mehr an. Vorbei ist’s mit „der Blume Israels“. höhnisch
Hanna, sichtlich erschrocken, will aufstehen und direkt zu Sigi laufen. Da steht plötzlich die Herzl-Bär vor ihr.
HERZL-BÄR:
Halt! Wohin hast du vor zu gehen?
HANNA:
Ich will zum Sigi. Ich hab eben gehört, dass die Recha nicht mehr ist.
HERZL-BÄR:
Ja, es stimmt. Aber du darfst jetzt nicht zu ihnen. Sie wollen unter sich sein.
HANNA:
Aber es sind doch meine Freunde, sie erwarten mich.
HERZL-BÄR:
Heute nicht und morgen auch noch nicht.
HANNA:
Ja wann denn überhaupt?
HERZL-BÄR:
Am besten gehst du gar nicht mehr in dieses Haus. Stammst du doch von einer guten Familie ab.
Hanna beginnt zu weinen.
Eine Woche vergeht, ehe sie erneut zu Sigi gehen wird. Um die vergangene Zeit anzudeuten, soll eine Choreografie entwickelt werden. Vorbild für die Entwicklung der Choreografie soll die Schiv’a, die jü**e Trauerwoche, sein. (Typische Rituale in der Schiv’a sind: das Kauern auf der Erde oder das Sitzen auf niedrigen Stühlen, das Abhängen von Spiegeln, die Öffnung der Fenster, das Anhalten von Uhren und das Beten des Kaddisch. Die Schiv’a beginnt mit dem Essen eines gekochten Hühnereis, das zuvor mit Asche bestreut worden ist.) Nach der Choreografie besucht Hanna Sigi dann wieder.
SIGI:
Ich habe dich jeden Tag erwartet. So lange bist du noch niemals ausgeblieben.
HANNA:
Gewartet? Du?
SIGI:
Die anderen ebenfalls.
HANNA:
Ich fühlte mich, als sei jetzt alles aus.
SIGI:
Das meint man so und dann geht es doch weiter.
HANNA:
Ich bin ja nur ein Kind, da ist man, wenn es ernst wird, gleich zu viel.
SIGI:
Oh, wie das traurig klingt.
HANNA:
Glaubst du denn, dass ich fröhlich war? Ich hab gedacht, dass du mich gar nicht mehr sehn willst. Dass da kein Platz mehr für mich ist, weil da die Toten sind.
SIGI:
Die Toten nehmen überhand. Man muss etwas dagegen tun, sich ablenken, nicht an sie denken, weißt du.
HANNA:
Ich will dich aber nicht ablenken… ich will mit dir zusammen an die Toten denken.
SIGI:
Ich muss immerzu an den Zettel denken, den ich für Abraham geschrieben habe. Wie anders drückt sich doch die Liebe aus.
HANNA:
Du hast dich wie ein Leutnant ausgedrückt.
SIGI:
Selbst er hätte liebenswürdiger geflötet. Ich hätte anders schreiben müssen.
HANNA:
Nein, nein, das kann man nicht. Und wenn man‘s könnte, würde es nicht fair sein, wie meine Mutter immer sagt.
SIGI:
Ja, wir glauben stets, dass wir uns Haltung schuldig sind. Strengt sie uns und die anderen doch nur an und jeder kommt dabei zu kurz. Doch ändern? Ändern kann man‘s nicht.
HANNA:
Ach Sigi, es war auch für mich eine harte Zeit. Dich eine Woche lang nicht zu sehen. Es hätte sich ja aber nicht gehört.
SIGI:
Wer hat dir denn verboten, mich zu sehen?
HANNA:
Frau Herzl-Bär. Sie hat gesagt, dass man nach Rechas Tod unter sich sein wolle und dass ich am besten für immer fortbleibe.
SIGI:
Die Herzl-Bär mischt sich in alles ein, weil wir bei ihr stets in der Kreide sind. Sie ist ja eigentlich eine gutherzige Frau, doch voll kassandrahafter Ahnungen. Auch hat sie etwas gegen blonde Leute. Es ist wie eine Krankheit, sie hat Angst.
HANNA:
Ich bin nun einmal blond, Sigi.
SIGI:
Ja, wie ein Weizenfeld.
HANNA:
Es stört dich aber nicht?
SIGI (lachend):
Es stört mich nicht. Ein Weizenfeld ist schön.
HANNA:
Heut ist doch Mittwoch. Habt ihr da nicht turnen?
SIGI:
Die andern ja, ich nicht. Mich haben sie suspendiert. [Ausdruck von Diskriminierung]
HANNA:
Dann ist alles aus?
SIGI:
Nein, nein, die Sache ist noch immer in der Schwebe.
Es folgt eine kleine choreografierte, wortlose Zwischenszene, die den Alltag in wiederkehrenden Ereignissen zeigt, um den Zeitverlauf darzustellen. Das könnten kurze Momente wie das tägliche Aufstellen eines Stuhls oder das Zählen der Tage in einem Kalender sein. Wichtige Elemente, die in der Choreografie enthalten sein müssen, sind: Jeden Tag kommt Hanna zu Besuch und geht abends wieder. Es gibt einmal Kaffee und alle trinken gemeinsam, Sigi bleibt daheim.
[ENDE SZENE 8]
Szene 9 - Ausschluss
Die vorausgehende Choreo endet damit, dass Sigi auf dem Sofa sitzt. Es kommt sein Lehrer zu Besuch.
LEHRER:
Großkotzig, er amüsiert sich offensichtlich über das Schicksal Sigis. Seine Fürsorge ist nicht ernst zu nehmen. [Ausdruc von Diskriminierung]
Ich soll mal nach dir sehen, Ephraim, die Bonzen sind ja sehr besorgt um dich. Es freut mich, dass ich sie beruhigen kann, dein Leiden scheint ja eher seelischer Natur zu sein.
SIGI:
Ja, sag nur gleich, dass ich die Schule schwänze und mein Ausschluss jetzt von Dauer ist.
LEHRER:
Er tut eilig und korrekt.
Falls dich das Aufsatzthema interessiert…
SIGI:
Es interessiert mich nicht.
LEHRER:
Das ist doch nicht dein letztes Wort?
SIGI:
Das letzte kommt doch von euch.
LEHRER:
Oh, bitte lass mich aus dem Spiel. Ich habe keine Stimme in der Sache. Der Rex…
SIGI:
Dann unterschätzt ihr eure Wirksamkeit. Ich bin beurlaubt, also bitte: Was führt dich her? Hast du dich sonst doch auch noch nie um uns geschert. Damals als du beim Keulenschwingen in der Turnstunde mir versehentlich die Schädeldecke angeknackt hast, da fragt ja keiner, wie’s mir ging.
LEHRER:
Der Rex selbst hat sich doch beim Arzt erkundigt.
SIGI:
Ja und beim Rechtsanwalt. Ihr könnt euere geheuchelte Sorge behalten.
LEHRER:
Unsere Sorge war ohnehin unbegründet, wie ich sehen kann.
SIGI:
Wie schön, wenn man im Plural sprechen kann. Ihr seid doch alle verlogen. Die Sache wird doch gerade erst gebaut. Da ich nicht zur Schule komm, kommt der Herr Lehrer nun und spottet weiter über mich. Die Sache wird gebaut, ich weiß es doch selbst. Täglich wird angereichert. Ein jeder trägt das Seine bei, bis aus der Angelegenheit ein Fall wird. Ich sehe doch, wie die Mienen immer ernster werden. Es wird ja nicht in Bausch und Bogen gleich verurteilt. Man ist „gerecht“, man setzt stets das Milieu in Rechnung und wenn man ganz besonders tolerant ist, auch die jahrhundertelange Unterdrückung. Am Ende aber ist man dann doch überzeugt, dass man dem Trö**** keine Chance geben darf. Die Geschichte ist doch schon geschrieben und ihr Ausgang gewiss.
Ich Ju**** habe nunmal zu leiden, so habt ihr es entschieden. [Ausdruck von Diskriminierung]
LEHRER:
Wenn du es meinst… er geht.
Sigi lässt sich erschöpft wieder nieder.
SIGI:
Wer ohne Waffe ist und in der Minderheit, wird überrannt…
HANNA:
Sigi, wir haben eine Waffe! Ich hab dir, glaube ich, schon einmal davon erzählt. Einen Revolver, aus Amerika, den mein Vater mitgebracht hat. Bei uns liegt dieses Ding nur herum und keinem nützt es, weil wir ja nicht in Gefahr sind wie ihr. Bei euch aber ist doch jeden Moment mit dem Schlimmsten zu rechnen… Pause Du wärst dann vorbereitet.
Sigi nickt und scheint einverstanden.
Es folgt erneut eine kleine choreografierte, wortlose Zwischenszene, die den Alltag in wiederkehrenden Ereignissen zeigt, um den Zeitverlauf darzustellen. Das könnten kurze Momente wie das tägliche Aufstellen eines Stuhls oder das Zählen der Tage in einem Kalender sein. Wichtige Elemente, die in der Choreografie enthalten sein müssen, sind: Jeden Tag kommt Hanna zu Besuch und geht abends wieder, es gibt einmal Kaffee und alle trinken gemeinsam, Sigi bleibt daheim. Eine Interaktion mit Isidors Schrank.
Die Choreo endet damit, dass Hanna und Sigi in der Wohnstube an Isidors Schrank stehen.
HANNA:
Was, wenn wirklich ein Schatz darin steckt?
SIGI:
Die Juweliere legen Eisengitter vor die Fenster. Hier ist alles ungeschützt.
HANNA:
Sie glaubt in der Gasse den Seemann wiederzuerkennen. Die finstere Gestalt hat es auf den Schrank abgesehen. Plötzlich schreit sie los. Sie bildet sich jedoch alles nur ein.
Zurück! Zurück, er schießt auf dich!
SIGI:
Was hast du?
HANNA:
Hanna sieht eine Kugel über Sigis Kopf pfeifen.
Der Seemann! Er schießt auf dich! Er will den Schatz.
SIGI:
Du träumst ja mit offenen Augen, geh nach Haus.
HANNA:
Ich lass dich nicht im Stich.
SIGI:
Na, dann sollen sie nur kommen. Du streckst den einen und ich den anderen nieder.
HANNA:
Und wenn es eine ganze Bande ist? Die Polizei wird nicht in Erscheinung treten… so viel ist gewiss. Hat nicht Hosianna schon ein Auge auf den Schrank geworfen?
SIGI:
Natürlich hat er ihn schon oft begafft. Er hofft, ihn billig einzukaufen, wenn wir zwangsversteigern müssen.
HANNA:
Hosianna schielt so häufig durch die Scheibe… vielleicht weiß er, dass in dem Schrank ein Schatz ist.
SIGI:
Es gibt gar keinen Schatz! Verstanden.
HANNA:
Natürlich, Sigi. Es bleibt unter uns.
SIGI:
Auch unter uns gibt es ihn nicht.
HANNA:
Ja, ich verstehe… und es gibt ihn doch.
Es folgt erneut eine kleine choreografierte, wortlose Zwischenszene, die den Alltag in wiederkehrenden Ereignissen zeiget, um den Zeitverlauf darzustellen. Das könnten kurze Momente wie das tägliche Aufstellen eines Stuhls oder das Zählen der Tage in einem Kalender sein. Wichtige Elemente, die in der Choreografie enthalten sein müssen, sind: jeden Tag kommt Hanna zu Besuch und geht abends wieder. Es gibt einmal Kaffee und alle trinken gemeinsam, Sigi bleibt daheim. Eine Interaktion mit Isidors Schrank.
Die Szene endet damit, dass alle beim Kaffee zusammensitzen.
HANNA:
Hanna glaubt Recha im Raum zu sehen. Recha ist für die anderen nicht sichtbar. Die verschiedenen Wahrnehmungsebenen können durch Freeze gekennzeichnet werden. Recha trägt ein weißes Brautkleid. Hanna steht auf, nimmt eine weitere Tasse. Sie nimmt die Kanne Kaffee und schenkt Recha in die Tasse. Die anderen schauen sie verwirrt an.
EDEL KAFRILL:
Sie meint den Schlosser, wenn wir den Schrank öffnen, das hat gut Weil.
HANNA:
Recha setzt sich neben Hanna.
Trink, Recha, er ist süß.
EDEL KAFRILL (mild):
Dass Kinder immer spielen müssen.
Das Licht wechselt langsam ins Black. Als es wieder angeht, ist Recha nicht mehr da. Plötzlich kommt eine zweite Gestalt, die nur Hanna sehen kann, in den Raum und wirft den Mantel ab.
SCHATTEN:
Er zieht ein Messer und wendet sich zu Hanna:
Du kennst mich wohl?
Hanna schüttelt den Kopf.
SCHATTEN:
Gut so, es rettet dir das Leben, dass du mich nicht kennst. Ich habe hier noch eine Kleinigkeit zu tun.
Er gleitet zum Kleiderständer, wo die Seemannskluft hängt. Er trennt das Namensschild heraus.
So, meine Freunde, nichts Persönliches, nur ganz im Allgemeinen gute Wünsche. Schiff ahoi!
HANNA (verdutzt):
Schiff ahoi.
EDEL KAFRILL:
Sie ist müd‘.
HANNA:
Noch eben war der Seemann da.
EDEL KAFRILL:
Sie hat geträumt.
HANNA:
Das ist nicht wahr. Ich bin die Einzige, die wach ist hier. Der Seemann hat das Namensschild aus seiner Kluft getrennt.
EPHRAIM:
Das Namensschild?
EPHRAIM:
Ja, das Namensschild ist weg.
SIGI:
Ich glaub, es war gar nicht mehr darin.
HANNA:
Dann hätte er‘s doch nicht entfernen können.
SIGI:
Ach, dir geht Traum und Wirklichkeit in eins.
HANNA:
Na, ihr werdet euch noch wundern. Gut‘ Nacht, Sigi! Edel und Ephraim, ich wünsche gute Nacht!
Es folgt erneut eine kleine choreografierte, wortlose Zwischenszene, die den Alltag in wiederkehrenden Ereignissen zeiget, um die fortlaufende Zeit darzustellen.
Hanna kommt mit dem Revolver zu Sigi in den Laden. Sie geht zu ihm in sein Zimmer.
HANNA:
Ist das dein Bett, Sigi? Du hast kein richtiges. Es ist viel schöner so. Ich bleibe eine Weile noch bei dir. Es gibt so vieles zu bereden. Zu Hause aber heißt es immer nur: „Sei still und schlaf.“ Wir beide würden uns die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen unterhalten. So spricht man sich ja niemals richtig aus.
SIGI:
Willst du denn am liebsten für immer in dieser Enge sitzen?
HANNA:
Es tut nichts, wenn wir beide in der Enge sitzen. Die ganze weite Welt steckt in uns, wie das Meer in der Muschel.
SIGI:
Es ist sehr hübsch, der Muschel zuzuhören.
HANNA:
Ich würde keine schlimmen Träume haben, die Räuber würden dann nicht kommen, wie sonst noch jede Nacht. Ich wäre auch gern nah beim Schrank.
SIGI:
Wenn er geöffnet wird, bist du dabei.
HANNA:
Du bist jetzt auch dafür, dass man der Sache auf den Grund geht?
SIGI:
Ich war bereits dafür – jetzt hab ich wieder Zweifel. Pass auf: Du meintest ja eben, dass wir die ganze weite Welt bereits in uns tragen. Wenn ich mir diese Weisheit nun zu eigen mache, dann kann ich ruhig in der Gasse bleiben. Ich muss die Welt ja nicht befahren, wenn ich sie in mir trage. Die Väter sagten, hier ist eine Zuflucht, in der ich mich besinnen kann. Ich brauch den Schrank ja gar nicht anzurühren. Ich weiß ja nicht, warum ich anders leben soll als Edel und Ephraim.
HANNA (hoffnungsvoll):
Dann würdest du hierbleiben wollen, Sigi?
SIGI:
Auf mich kommt es ja nicht an. Ich überlege, was ich kann. Mein Großvater meint, ich müsse Kuchen essen und nicht ihr trockenes Brot. Natürlich meinen sie es nur gut, es kompliziert die Sache aber nur.
Hanna erblickt ein Bild von Recha, das in Sigis Zimmer steht.
HANNA:
Sigi, wenn du sie liebst, kannst du dann noch andere Mädchen lieben?
SIGI:
Ja, ich liebe noch ein kleines Mädchen – dich. nimmt sie freundschaftlich in den Arm.
Es folgt erneut eine kleine choreografierte, wortlose Zwischenszene, die den Alltag in wiederkehrenden Ereignissen zeiget, um den Zeitverlauf darzustellen. Es ist inzwischen Winter. Das Geld ist ausgegangen, heizen kann die Familie Ephraims schon lange nicht mehr, Kaffee gibt es keinen, Ephraim steigt kaum mehr aus seinem Bett, um sich warm zu halten, Sigi hat auch im Laden den viel zu großen Mantel von Ephraim, Schal und Mütze an. Edel trägt ebenfalls Winterkleidung.
Hanna kommt in den verlassenen Laden Ephraims. Eine kleine Glocke, die zuvor noch nicht da war, kündigt ihr Kommen an.
HANNA (erst zögerlich, dann ängstlich, dann verzweifelt):
Sigi… Sigi… Sigi… Sigi… Sigi… Sigi!
SIGI:
Hallo, kleine Hummel.
HANNA:
Wo ist Ephraim?
SIGI:
Er liegt zu Bett, weil es sonst so kalt ist. Edel ebenfalls, sie verlassen die Federn nur, wenn es nicht anders geht.
HANNA:
Erinnerst du dich an das Damastgedeck, das die Frau Notar beschädigt zurückgegeben hat… Meine Mutter kauft es. Ich habe ihr erzählt, wie schön es ist und wie man euch geprellt hat und geschädigt. Ephraim braucht nur den Preis zu nennen.
SIGI:
Ein weiterer Matrose. lachend Ich werde immer mehr vom Wunder überzeugt.
HANNA:
Mein Vater hat gemeint, du gehst nicht mehr zur Schule. Stimmt es?
SIGI:
Ich musste es aufgeben. Sie wollten ein Exempel statuieren. Ich war zu sehr im Nachteil, weißt du. Ich könnte ja auch von hier mein Ziel erreichen, man lässt mich aber nicht, ich soll hinaus – zu meinem Besten! Die Herzl Bär will uns nicht mehr borgen, wenn ich nicht hinausgehe. Soll ich etwa hausieren wie die Alten? Es hängt ja alles davon ab, dass dieser Schrank geöffnet wird. [Ausdruck von Diskriminierung]
EPHRAIM (vom Oberstock her):
Mein Enkel hat meinen Mantel weggenommen. Er kann dafür das Samtjackett bekommen.
SIGI (zum Publikum):
Er hat mir eines Nachts den Anzug weggeholt. Verkauft? Versteckt? Ich weiß es nicht. Mir bleibt nichts anders übrig, als den Mantel anzuziehen.
Zu Ephraim:
Was hilft mir die Jacke? Ich kann doch nicht in Unterhosen laufen.
EPHRAIM:
Ich bin ein alter Mann ohne Fett auf den Knochen. Ich friere ohne ihn, gib ihn mir.
SIGI:
Solange ich keine Hose habe, nicht.
EPHRAIM:
Nimm dir die Kurfürstenhose.
SIGI:
Ich bin kein Narr.
EPHRAIM:
Auch Kniehosen und Seidenstrümpfe sind da.
SIGI:
Dein Bett ist warm. Geh flugs hinein, damit es nicht erst kalt wird. Im Augenblick führe ich dein Geschäft. Ich habe das Damastgedeck verkauft. Wo hast du es hingelegt?
EPHRAIM:
Es ist mir nicht mehr feil. Ich habe es der anderen Frau gesagt, ich sage es auch jetzt.
SIGI:
Edel weiß nicht mehr, was sie kochen soll.
EPHRAIM:
Das ist doch ihre Sache, nicht die meine.
SIGI:
So geht es dich vielleicht auch gar nichts an, dass unser Feuer ausgegangen ist?
EPHRAIM:
Nein, wenn mir kalt ist, gehe ich zu Bett, wie mir der Enkelsohn geraten hat.
SIGI:
Ich werde wohl mein Bündel schnüren müssen.
HANNA:
Denk an den Schrank, Sigi.
SIGI:
Bah, Isidor war auch ein armer Schlucker. Vielleicht hat er den Goldschatz nur erfunden.
EDEL KAFRILL:
Ach, nein, dann hätte er doch nichts gesagt; so kann man arme Leute nicht enttäuschen. Er spricht ja von der höchsten Not, das kann kein Hokuspokus sein. Glaubst du, dass Ephraim nichts unternehmen wird?
SIGI:
Was Ephraim beschäftigt, ist der Spruch des Blinden. Der Blinde hat gesagt: Lasst eure Hände vom Schrank. Wenn eure Not nicht wie ein Wolf ist, dann wird das Wunder nur wie eine Maus sein.
Plötzlich steht Ephraim im Raum. Er hat seine Meinung geändert.
EPHRAIM:
Du wirst dein Leben machen ohne mich. Ich will es auf mich nehmen, dass der Schrank geöffnet wird.
SIGI:
Erlaubt es denn der Löb?
EPHRAIM:
Ich weiß, dass er es nicht erlaubt.
EDEL KAFRILL:
Bedenke, dass vielleicht auch nichts im Schrank ist.
EPHRAIM:
So ist es unser Schaden.
HANNA:
Soll ich schnell einen Schlosser holen?
SIGI:
Ein Go**** darf es nicht sein, er trägt uns aus.
EDEL KAFRILL:
Es gibt hier keinen Schlosser, der ein Jude ist.
EPHRAIM:
Wenn er nur ein geschickter Jude ist. Schlosser braucht er nicht zu sein.
HANNA:
Man muss mit größter Vorsicht hier zu Werk gehen.
Plötzlich geht die Ladenglocke und der Schutzi steht im Laden.
SCHUTZI:
War hier ein Fremder in letzter Zeit?
EPHRAIM:
Ein Fremder? Warum soll keiner dagewesen sein? Von unsern Nachbarn können wir nicht leben.
SCHUTZI:
Ich frage jetzt nach einem ganz bestimmten.
EPHRAIM:
Sind doch Fremde immer unbestimmt.
SCHUTZI:
Ein schwerer Junge wird gesucht.
HANNA:
Ephraim ist ein Ehrenmann!
SCHUTZI:
Auch Ehrenmänner drücken gerne mal ein Auge zu. Besonders solche wie unser Ephraim. Er schaut sich im Laden um und sieht die Seemannskluft.
Die war zuvor noch nicht da. Wer hat sie euch verkauft?
EPHRAIM:
Soll ich von meinen Kunden die Papiere fordern?
SCHUTZI:
Es wäre gut für dich, du alter It****. [Ausdruck von Diskriminierung]
SIGI:
Der Mann heißt Ephraim, elender Schnüffler.
SCHUTZI:
„Elender Schnüffler“ – schreibt in sein Buch und geht aus dem Laden.
SIGI:
ruft hinterher:
Vergiss den It**** nicht!
EPHRAIM:
Er hat plötzlich seine Meinung wieder geändert.
Wir können ihn nicht öffnen lassen, obgleich wir wollen, können wir es nicht.
SIGI:
So leicht glaubst du, davonzukommen?
EPHRAIM:
Mein Enkel und ich, wir sind doch überein, dass Isis Schrank geöffnet werden muss.
SIGI:
Naja, auf diesen Leim bin ich gekrochen.
EPHRAIM:
So öffne selbst! Nimm eine Axt und bring meinen Bruder um, ist er’s doch, der im Schrank steckt.
EDEL KAFRILL:
Man darf ihm doch nichts antun. Ich hab den Verdacht, er gibt den Schlüssel von ganz selbst heraus, wenn er denn nur einverstanden ist.
SIGI:
Jetzt stellt sich der Isidor vor Ephraim. So kann sich Ephraim ganz der Verantwortung entziehn. Was wünscht er sich denn nun? Soll ich hausieren gehen? Soll ich noch bleiben? Euch auf der Tasche liegen oder nicht. Soll ich von seinem Geldsack profitieren? er meint den Schrank Hat er denn überhaupt einen? Ist etwa alles nur Attrappe?
HANNA:
Wir wollen Abraham zur Hilfe holen.
Kurze Pause des Überlegens.
EPHRAIM:
Einverstanden.
EDEL KAFRILL:
Ich auch.
SIGI:
Ich bin es leid, darüber nachzudenken!
Hanna geht und holt Abraham.
HANNA:
Ich habe ihm die Situation reichlich erklärt.
EPHRAIM:
Was meinst du, Abraham?
ABRAHAM:
Ephraim, bedenke, dass dein Enkelsohn mein Schwiegersohn geworden wäre. Kann er da als Hausierer auf die Straße gehen? Was würde Recha sagen? Würde sie nicht weinen?
SIGI:
Sie hat nicht geweint… sie hat mich ausgelacht. Der Leutnant…
ABRAHAM:
unterbricht ihn
Sprich nicht vom Leutnant, Sigi, weiß doch jeder, er hat der Recha nur flattiert. Sie hat es gern gehört, doch du, der König David, warst ihrem Herzen viel näher als der Leutnant.
SIGI:
verwundert
Abraham, glaubst du, was du da sprichst?
ABRAHAM:
Es ist die Wahrheit.
[ENDE SZENE 9]
Szene 10 - Böse Ahnung
Hanna kommt mit einem Fell aus ihrem Zimmer zu Ephraim und Edel in den Laden. Sie schleicht sich zuvor durch die Nacht zu ihnen. Als Hanna ankommt, ist Sigi nicht wie sonst im Laden. Sie trägt das Fell über den Schultern, sodass der Kopf nach vorne schaut.
HANNA:
Ich schenk dir das Fell, Tante Edel, es ist mein Eigentum. Ich hab’s mit meiner Mutter sichergestellt. Und mit meinem Eigentum darf ich frei verfügen.
EDEL:
Ephraim und Edel sind sichtlich gerührt, es ist ihnen jedoch auch peinlich, dass ein 10-jähriges Mädchen glaubt, ihnen helfen zu müssen.
Wir können es nicht annehmen, du bist ein Kind. Wie kannst du uns das antun! – Da werden alle Leute sagen, dass Ephraim ein Schelm ist.
HANNA:
Aber Sigi ist doch mein Freund.
EPHRAIM:
Er wird alsbald dein Feind sein.
HANNA:
Ach nein! Ruft ihn herunter.
EDEL KAFRILL:
Wir können ihn nicht rufen, wenn er doch im Turm ganz oben ist.
HANNA:
Dann lasst mich jetzt hinauf.
EPHRAIM:
Nein, niemand darf hinauf. Er will allein sein. Er wird erst spät herunterkommen. Wenn man bedenkt, wie kalt es droben ist…
HANNA:
Ich will auf Sigi warten.
EDEL KAFRILL:
Sie werden dich daheim vermissen…
HANNA:
Sie wissen schon, wo ich zu finden bin.
EDEL KAFRILL:
Wie du meinst… Ephraim und Edel gehen.
Hanna nimmt das Leopardenfell und breitet es in der Mitte des Raumes aus und legt sich darauf.
HANNA:
Wie bitter ist dieses Leben… bitterer noch als dieser grässliche Zichorientrank.
Und doch… ich bin entschlossen, nicht von hier wegzugehen. Nicht, bevor Sigi erscheint. Ich warte. Warte, bis er kommt. Sie zieht sich das Fell über.
Aber wenn er nicht kommt... Wenn er nicht kommt, werde ich den Turm besteigen, Verbot hin oder her. Ich weiß, es ist verboten, aber was kümmert’s mich?
Ein Glockenschlag ertönt in der Ferne.
Es ist schon spät… Es ängstigt mich… ein wenig. Aber noch mehr Angst habe ich um ihn. Ich weiß, wie ihm zumute ist, wie schwer es für ihn sein muss…
Es ist nicht leicht, Erwachsene zu lieben. Woher soll Hilfe kommen, wenn hier weder Wunder noch Fell uns retten?
Sie nimmt den alten Mantel Edels von der Tür und nutzt ihn als Decke.
Das schlimmste aller Übel, denke ich, ist doch dies: ein Kind zu sein. Nichts als ein Kind… ausgeliefert, all das Leid zu sehen und doch nur machtlos zu sein. Die Ungerechtigkeit zu ertragen ohne Möglichkeit zu handeln.
Licht fällt auf den Schrank.
Nie sehe ich ihn in solch einem Licht. Wie das Holz jetzt blüht… es hat etwas Magisches, als wäre es lebendig.
Ich rieche Waldboden… modrige Erde, das Bittere eines Farns… faules Laub… und dazwischen... süß… sonderbar süß… der Duft von Blumen. Da… da ist doch eine Hand…
Ja, da! Sie tastet… von Blume zu Blume… sie kriecht... wie ein scheußlicher Polyp…
Ich… ich will schreien… aber... meine Kehle... sie ist zugeschnürt…
Plötzlich ein Geräusch, das Hanna aus ihrer Beobachtung reißt. Sigi kommt in den Raum.
HANNA:
Der Seemann… er war schon wieder da.
SIGI:
Der Seemann? Ja was ist denn mit dir los?
HANNA:
Vor einem Augenblick ist er hinaus. Ich habe ihn an seinem Gang erkannt. Sein Schatten hat geschaukelt. Du weißt doch, dass ein Seemann schaukelt, wo er auch geht und steht. Er hat es abgesehen auf den Schatz. Es hat nicht viel gefehlt, so hätte er den Schrank geöffnet.
SIGI:
Da hättest du im Traum fast das Problem gelöst.
HANNA:
Er hätte es gelöst… und nicht im Traum.
SIGI:
Sigis Blick fällt auf das Fell.
Was ist das?
HANNA:
Ein Fell.
SIGI:
Soll es den Seemann etwa beißen?
HANNA:
Es soll dir dienen, Sigi.
SIGI:
Hast du es ganz einfach von daheim entführt?
HANNA:
Es ist mein Eigentum.
SIGI:
Nein, ein Kind hat sowas nicht.
HANNA:
Ein Kind – mag sein. Ich bin nun aber doch nicht irgendeines.
SIGI:
Nein, ein besonderes Kind. Das Fell muss dennoch aus dem Haus.
HANNA:
So schlägst du alles in den Wind? Und aus dem Seemann machst du dir schon gar nichts?
SIGI:
Hör, ich mach mir was aus dir.
HANNA:
Dann würdest du doch hier im Laden sitzen und auf mich warten, wie damals, als wir eure Ofenplatten ansahen. Da hast du mir erzählt vom König David, von Abraham, wie er den Isaak opfern wollte und von dem Wunder, das geschah. Du hast es selbst geglaubt, und heute glaubst du überhaupt nicht mehr an Wunder. Die sahen früher auch nicht anders aus und kamen nur aus Liebe. Meinst du nicht?
SIGI:
Das Fell ist zweifellos ein Wunder. Es bleibt bestehn, auch wenn ich es nicht annehmen kann. Im Übrigen lass mich nur eine Weile noch im Turm. Es dringt zu viel Gerede auf mich ein, wenn ich hier unten bin. Das letzt, was ich hörte, war, dass der Professor vor der Klasse sagte, er freue sich, das räudige Schaf auf „gute Art“ nun los zu sein. Ich werde über solche Reden lachen, sobald es einen Weg gibt, den ich gehen kann. Es ist ja keine Überhebung, wenn ich sage, ich kann nicht handeln wie die Alten. Sie hatten Kraft genug, Demütigungen zu ertragen, nur um ans Ziel zu kommen. Sie haben so verachtet, dass sie die Verachtung der andern überhaupt nicht treffen konnte. Ich bin nicht so gefeit wie sie.
HANNA:
Du siehst so blass und dünn aus, Sigi. Magst du nicht zumindest ein wenig Brot essen?
SIGI:
Ich bin gekommen, um mir ein Buch zu holen, nicht um Brot.
HANNA:
Willst du verhungern?
SIGI:
Ich habe heute Mittag schon bei Ephraim gegessen.
HANNA:
Es klingt, als hättest du bei einem Fremden gespeist.
SIGI:
Blickt zur Tür, die offen steht.
Einbrecher hätten es hier leicht. Die Leute wissen aber ja, dass bei uns nichts zu holen ist als alter Plunder.
HANNA:
Nein. Die Leute meinen, alle Ju**** seien reich. Und wenn dann einer schmutzig und verhungert ist, dann halten sie ihn nur für geizig. Es gibt ganz einfach keine armen Ju****.
Sigi, gib acht, dass sie den Schatz nicht stehlen. Er ist doch eine große Möglichkeit auf ein Wunder.
SIGI:
Du sprichst, als wäre mit Gewissheit ein Schatz in Isidors Schrank. Die große Möglichkeit? Die ist er nicht.
HANNA:
Wir brauchen diesen Schatz, das ist ganz klar. Weil wir ihn aber dringend brauchen, Sigi, musst du auf der Hut sein, dass ihn keiner raubt. Ich hab schon oft vom Räuber geträumt. Bleib diese Nacht im Laden, Sigi. Ich glaube ganz bestimmt, dass heute der Räuber kommt.
SIGI:
Warum gerade heute?
HANNA:
Weil Neumond ist, da sind die Räuber alle unterwegs, der Seemann sicher auch.
SIGI:
Geh jetzt nach Hause. Ich muss noch etwas in das Heft hier schreiben.
Sigi geht in sein Zimmer. Hanna verweilt noch einen kleinen Augenblick im Zimmer. Sie erblickt plötzlich ein Dutzend Wecker, zu denen sie hingeht und sie aufzieht, in der Hoffnung, sie mögen den Räuber vertreiben. Dann geht sie ziemlich hoffnungslos ab.
[ENDE SZENE 10]
Szene 11 - Isidors Schatz
Bühne im Dunkeln.
Die Wecker stehen aufgezogen auf dem Schrank und um ihn herum verteilt. Im Dunkeln der Bühne läuft eine dunkle Gestalt an den Schrank und beginnt ihn aufzubrechen. Als der Schrank gerade aufgebrochen ist, gehen die Wecker los und schlagen die unbekannte Gestalt in die Flucht.
Licht (im Laden ist alles durcheinander).
Sigi, Ephraim, Edel Kafrill betreten Bühne und schalten die Wecker nicht direkt aus, schauen sich verwirrt um. Nach einiger Zeit kommt Hanna ebenfalls in den Laden.
SIGI:
Sechs Wecker hast du auf uns losgelassen! Und uns fiel es nicht ein, sie abzustellen. Na jedenfalls ist der Schrank jetzt geöffnet.
HANNA:
Was ist darin?
SIGI:
Nichts, wie du siehst. Nicht mal ein Korallenkettchen.
HANNA:
Oh…
SIGI:
So hab ich es erwartet.
EDEL KAFRILL:
Wir suchen das Geheimfach.
SIGI (sarkastisch):
Ja, sucht nur, meine Lieben – ohne mich!
EPHRAIM:
Glaubt denn mein Enkelsohn, dass Isidor ein Lügner war?
SIGI:
Er war ein Narr!
HANNA:
In diesem Fach muss ein Geheimfach sein!
SIGI (sarkastisch):
Sieh an, wie schlau du bist.
HANNA:
Wir haben selbst doch einen Sekretär, und im Geheimfach waren die Pistolen! Probiert herum, zieht eine Schublade heraus und findet einen geheimen Schalter, der die Bodenplatte löst.
EPHRAIM:
Eilt an den Schrank und greift mit seinem Arm in das soeben geöffnete Fach… Er zieht eine Goldmünze heraus!
Hanna, Edel Kafrill, Ephraim schreien vor Freude! Sigi wirkt geschockt.
SIGI:
Ist es die einzige Münze?
EPHRAIM:
Mein Enkelsohn wird reich sein! Zieht eine ganze Hand voll Münzen heraus.
ALLE:
Isidors Schatz!!! Alle freuen sich lautstark und springen vor Freude.
Abraham und seine Familie kommen dazu. Herzl Bär sieht missmutig aus der Ferne zu.
ABRAHAM (vor Freude weinend):
Meine Recha… Sie wäre reich geworden!
HERZL BÄR:
Ein feiner Herr wird Sigi sein, wenn er hinausgeht. Die Alten haben so nicht angefangen. Gib ihm nicht alles, Ephraim, du wirst den Schatz noch einmal nötig brauchen.
EDEL KAFRILL:
Wir werden ihn zurückerhalten.
HERZL BÄR:
Das weiß man nie, ob etwas übrigbleibt.
SIGI:
Misstraust du mir?
HERZL BÄR:
Ihr Jungen seid nicht wie die Alten. Ihr seid bequem geworden und zu fein. Ihr wartet immer nur, dass man euch hilft. Den Alten hat nur Gott geholfen.
SIGI:
Nach deiner Meinung hätt ich dann auch gar nicht aufs Gymnasium gehen sollen?
HERZL BÄR (gehässig):
Wohin hat es denn geführt?
SIGI (zornig lachend):
Das hättest du vorhin noch fragen können. Damit du aber deine Frage nicht zu wiederholen brauchst, ist dieser Schatz gefunden worden.
Hältst du jetzt etwas von der Vorsehung?
SIGI (zufrieden):
Sie hält etwas von mir!
EPHRAIM:
Wozu viel reden? Mein Enkelsohn ist reich!
Alle außer Ephraim ab.
Nachdem alle gegangen sind, trägt Ephraim den Schatz in die Kammer, versteckt ihn im Bett und legt sich darauf.
Der nächste Tag.
Sigi packt seine Koffer in seinem Raum und ist überaus fröhlich. Hanna betritt den Raum.
HANNA:
Du hast noch nie gepfiffen Sigi.
SIGI:
Ja, es geht mir selbst die ganze Zeit schon auf die Nerven. Lass uns nach unten gehen. Die Tante kommt gleich mit den Einkäufen heim. Ich soll ihr helfen, sie zu verstauen.
Edel Kafrill kommt mit mehreren Säckchen in den Laden.
EDEL KAFRILL:
Ich will doch einen kleinen Vorrat haben, man weiß ja nie was kommt. Ich erinnere mich nur zu gut, wie ungern ich der Herzl Bär unsere Armut in der wir uns ‚aktuell befinden‘ gestanden habe. Man darf sich dann nur das Billigste nehmen!
SIGI:
Ja, die Herzl-Bär versteht selbst zu darben! Ich weiß noch, wie sie dir einmal nur Futterhaferflocken gab. Wir sind doch keine Tiere.
EDEL KAFRILL:
Ich hole noch weißes Mehl und Zucker. Die alte Dame macht ein Gesicht wie Essig. Doch nun ist‘s mir egal.
HANNA:
Was hat der Löb eigentlich zu eurem Schatz gesagt?
EDEL KAFRILL:
Wir hätten ihn nicht heben sollen.
SIGI:
Wir haben ihn doch aber nicht gehoben… das war doch höhere Gewalt. Und dann – wir waren nun einmal am Ende.
EDEL KAFRILL:
Am Ende, nein, das glaubt der Löb nicht. Er meint, es könne noch ganz anders kommen. Wir stünden jetzt vor dem Aufbruch in die Wüste, hat er gesagt, es tut mir leid um euch, ihr habt ja nicht ein einziges Kamel und der euch führen sollte, geht davon.
SIGI:
Ich habe keine Führungseigenschaften, ich glaube nicht, dass ich euch in der Wüste nützlich wäre. Dass ich euch später mal helfen kann, dazu müsst ihr mir helfen, anders geht es eben nicht.
EDEL KAFRILL:
Ephraim ist bereit dazu.
SIGI:
Ich bin mir da nicht so sicher. Er liegt doch nur auf seinem Schatz und steht nicht auf.
EDEL KAFRILL:
Ich gehe jetzt zu Ephraim und sag ihm, dass er aufstehen muss.
Edel ab. Sie kommt nach einer kleinen Weile wieder.
Er muss noch überlegen, wie er im Sinne Isidors zu handeln hat.
SIGI:
Als wir den Schatz entdeckten, da hat er es doch gewusst.
EDEL KAFRILL:
Du kennst ihn Sigi… immer zaudert er.
SIGI:
Es wird der Löb sein, nicht der Isidor der ihm Bedenken macht.
EDEL KAFRILL:
Und wenn der Löb… der meint es ja auch nur gut mit uns.
SIGI:
Mit euch, doch nicht mit mir.
EDEL KAFRILL:
Mit dir erst recht!
SIGI:
Ja… Nach dem Grundsatz Gott züchtigt die, die er liebt. Da trifft er aber nicht auf Gegenliebe. Meinst du nicht auch, dass es nun an der Zeit sei, nicht mehr auf Borg zu kaufen, sondern die alten Schulden abzubezahlen? Das kann die Herzl-Bär jetzt in der Tat verlangen. Ephraim hat die Ernte eingebracht. Wir sollten doch auch den Wert des Schatzes wissen.
EDEL KAFRILL:
Hat Isidor ihn etwas uns beiden vermacht?
Sigis hebt ärgerlich die Schultern.
SIGI:
Sind wir denn nicht seine Familie? So nennt er uns doch, wenn er mit andern spricht oder? Du jedenfalls bist ihm ja nützlich, Edel, du wäschst ihm seine Hemden, kochst ihm sein Essen.
EDEL KAFRILL (vorwurfsvoll und empört):
Ich esse doch auch mit an seinem Tisch! Auch alte Kleider schenkt er mir aus Seide und mit Samtbesatz.
SIGI:
Schon gut, schon gut. Sprechen wir doch lieber nicht davon. Eins aber muss mir Ephraim sagen: Ob er mein Studium bezahlen will.
EDEL KAFRILL:
Wenn er den Koffer doch schon bezahlt! Nur wer verreisen will, braucht einen Koffer. Warum solltest du sonst verreisen Sigi? Weil du studieren wirst, das ist doch klar.
SIGI:
Vielleicht schickt er mich ja doch hausieren?
EDEL KAFRILL:
Darüber war doch ausgeredet, Sigi.
SIGI:
Nie ist hier ausgeredet… Nie! Mein Großvater, er verschwört sich, wirft sich in die Brust und weiß von nichts.
EDEL KAFRILL:
Man muss ihm Zeit lassen sein Geld zu zählen.
SIGI:
Ich habe den Verdacht, er wird es niemals zählen. Der Schrank ist aufgebrochen. Ephraim liegt auf dem Schatz, das heißt er hat sich selbst in einen Schrank verwandelt, der diesem Schatz nun wieder Schutz gewährt.
Hanna muss lachen.
SIGI (verwundert):
Was ist daran lustig?
HANNA:
Ach, nur die Vorstellung, dass sich Ephraim in einen Schrank verwandelt.
SIGI:
Es kommt mir aber gar nicht lustig vor.
HANNA:
Ach, du nimmst immer alles viel zu schwer und bist viel zu ernst. Mein Vater sagt, dass Ephraim nur ein Produkt sei, und daran sollten alle Leute denken, die sich in anderen Umständen befinden.
SIGI:
Ich sage dir: Ephraim wird sich in den nächsten Tagen nicht erheben.
HANNA:
Habt ihr noch gar nichts von dem Schatz bekommen?
EDEL KAFRILL:
Ein einziges Goldstück. Nur diesen winzigen Dollar, Wert vier Mark fünfzig.
SIGI:
Du hast ihn hoffentlich nicht umgetauscht!?
EDEL KAFRILL:
Doch, gegen gutes Geld!
SIGI:
Er hat doch Sammlerwert!
EDEL KAFRILL:
Kann ich vielleicht auf einen Sammler warten?
SIGI:
Ach so – du hast unsere Schulden nun also doch bezahlt?
EDEL KAFRILL:
Nein, ich hab ein Buch gekauft.
SIGI:
Ein Buch?
EDEL KAFRILL:
Ja, ein Gebetsbuch, damit du nicht vergisst, wenn du jetzt in die Welt gehst, wo du hingehörst.
Sie gibt ihm das Buch und geht ab.
Sigi und Hanna schauen gemeinsam in das Buch.
[ENDE SZENE 11]
Szene 12 - Es wird gefeiert
Ephraims Laden. Ephraim ist in seiner Stube. Ein Kunde schaut sich im Laden um. Edel Kafrill ist ebenfalls im Laden. Sigi liest oben in seinem Turm.
KUNDE:
Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht helfen?
EDEL KAFRILL:
Ähm, helfen? Oh, also… ich kenne mich hier gar nicht so wirklich aus.
KUNDE:
Ach so. Sie wissen dann also nicht zufällig, ob es auch Stiefel gibt?
EDEL KAFRILL:
Kleinen Moment, ich schaue einmal eben kurz, ob ich den Herrn des Hauses ausfindig machen kann.
Edel geht zu Ephraim in die Stube.
EDEL KAFRILL:
Ephraim, komm, es ist ein Kunde da.
EPHRAIM:
Sag ihm, ich habe keine Zeit.
EDEL KAFRILL:
Wie kann ich ihm das sagen? Dann geht er doch fort!
EPHRAIM:
Wir können ihn nicht halten, Edel, mag er eben gehen.
EDEL KAFRILL:
Du ruinierst uns.
EPHRAIM:
Wer redet denn von ruinieren? Wir sind doch reich.
EDEL KAFRILL:
Vielleicht bist du nun wirklich krank geworden…
Edel geht zurück in den Laden.
EDEL KAFRILL:
Es tut mir leid, er fühlt sich nicht recht wohl, der alte Mann. Ich muss Sie bitten, Ihr Glück ein andermal wieder zu versuchen.
KUNDE(verwirrt und enttäuscht):
Nun gut… auf Wiedersehen.
Kunde ab.
Sigi kommt in den Laden.
SIGI:
Wer war das?
EDEL KAFRILL:
Ein Kunde… aber dein Großvater wollte ihn nicht bedienen. Er liegt immerzu auf seinem Schatz.
SIGI:
Nein, sprich mir nicht von diesem Schatz.
Edel ab.
Hanna betritt den Laden. Sie hat ein Lebkuchenherz dabei.
HANNA:
Hallo Sigi! Wir feiern jetzt den Schatz!
SIGI:
Nicht du auch noch. Du kannst ja feiern, was du willst – nur das nicht.
HANNA:
Na, wenn du das nicht feiern möchtest, dann feiern wir eben das Herz!
SIGI(sanft, wie ein großer Bruder):
Ja…
Edel kommt wieder herein.
EDEL KAFRILL:
Du hast ja Leckereien mitgebracht! Ich mach uns Kaffee!
Edel geht, kocht Kaffee und serviert. Die Stimmung ist etwas bedrückt. Sigi ist nicht recht in Feierlaune.
HANNA:
Ihr habt doch noch dieses alte Grammophon… Edel, magst du nicht bitte eine Platte auflegen? Dann fühlen wir uns bestimmt bald alle besser.
Edel holt das Grammophon und legt eine Platte auf.
Es spielt „Freut euch des Lebens“.
Nach und nach kommen Alfred, Abbe und Sarah dazu.
Sie tanzen, lachen, drehen sich im Kreis – eine kleine Choreografie entsteht.
Gegen Ende des Liedes kommt Ephraim barfuß, im Schlafmantel und mit einem Besen bewaffnet herein.
Er beginnt, alle regelrecht hinauszukehren, bis wieder völlige Ruhe herrscht.
[ENDE SZENE 12]
Szene 13 – Aufbruch
Neutraler Hintergrund. Hanna läuft langsam auf und ab, den Kopf gesenkt.
HANNA:
Alles ist so… sinnlos. Die Bücher ungelesen, die Aufgaben wie im Nebel gemacht. Und Sigi… (stockt, leiser) Hat er mich denn vergessen?
Plötzlich werden zwei Hände über ihre Augen gelegt. Hanna erschrickt, atmet ein, bleibt stehen. Die Hände lösen sich. Sigi steht hinter ihr.
HANNA:
Sigi!
SIGI:
Still! Die Gasse hat so viele Ohren. Seit Tagen habe ich auf dich gewartet.
HANNA:
Sigi! Ich… ich dachte, du hättest mich vergessen. Du hast nicht mehr gerufen, nicht nach mir gefragt.
SIGI:
Es war nicht die Zeit. Aber ich habe auf dich gewartet. Warum bist du so lange ausgeblieben?
HANNA:
Ephraim… er hat mich hinausgeworfen. Ich dachte, es wäre das Ende. Ich dachte…
SIGI:
Ephraim – er ist alt.
HANNA:
Und sein Schatz? Liegt er noch immer darauf?
SIGI:
Er liegt nicht mehr darauf. Er hat gezählt. Was Isidor uns hinterlassen hat… es ist genug für alle.
HANNA:
Aber der Löb… was ist mit ihm? Er gibt doch so viel auf seine Meinung.
SIGI:
Der Löb – er ist uns nicht verwandt.
Ephraim hat erfahren, dass Verwandtschaft stärker ist als Hintersinnigkeit.
Es gibt ja bei uns Juden einen Fluch:
Reich sollst du sein, der einzige Reiche sollst du sein in der Familie.
Kurze Stille. Sigi betrachtet Hanna, entschlossen. Er tritt näher.
SIGI:
Ich muss dir etwas sagen… wir… wir gehen weg.
HANNA:
Weg? (zum Publikum) Ich fühle mich, als habe er gesagt: Wir gehen aus der Welt.
Fällt eine Tür ins Schloss? In meinen Ohren dröhnt es. Mir wird schwindelig.
(zu Sigi) Wohin?
SIGI:
Nach Amerika. Wir gehen alle.
HANNA:
Nach Amerika? Das ist… das ist wie das Ende der Welt!
SIGI:
Es bleibt die Erinnerung. Es bleibt das, was wir waren.
HANNA:
Wie soll ich denn Abschied von dir nehmen? Ich bin doch noch ein Kind…
(traurig) nichts als ein Kind.
SIGI:
Wir alle sind Kinder in der Welt. Doch wir müssen irgendwann weitergehen.
Szenenwechsel
Ephraim packt chaotisch seinen Kram zusammen. Edel Kafrill räumt den Laden und putzt. Überall Schaufensterpuppen und Krempel.
EDEL KAFRILL:
Willst du den Staub mitnehmen über’s Meer?
EPHRAIM:
Was heißt da Staub? Die Schwarzen kaufen ihn. Sie haben doch nichts auf den Leib zu ziehen.
Man hat sie ausgezogen wie uns Juden – ich zieh sie wieder an.
So – und ihr drei kommt auch mit! (packt die Schaufensterpuppen ein)
Jakob, Josef und Miriam.
HANNA(zum Publikum):
Mir ist, als wäre alles voller Staub… als wäre der Raum voll Sand.
Wie in ein Stundenglas rieselt der Sand in diesen Raum.
So viel Sand! Die Zeit verwandelt sich in Sand.
Er steht mir schon bis zu den Knöcheln… und immer rieselt neuer nach.
Bald reicht er bis zur Schulter… und dann bis ans Kinn… und dann…
(stockt)
Ich kann ihn schon auf der Zunge fühlen.
Ephraim geht immer wieder zur Tür, als warte er auf jemanden.
SIGI:
Auf wen wartest du?
EPHRAIM:
Der Enkelsohn will immer alles wissen.
SIGI:
Ich kann’s mir doch denken. Du wartest auf den Löb.
EPHRAIM:
Ich werde, wenn er kommt, die Tür verriegeln.
SIGI:
Das glaubst du selbst nicht.
EPHRAIM:
Ich werde ihm sagen, dass er gehen soll.
SIGI:
Aha. Wir sind also schon beim Unterhandeln.
EPHRAIM:
(lustig) Wozu verhandeln, wenn der Löb ja eh nichts kauft?
SIGI:
Dann riegel doch jetzt schon ab, Großvater.
EPHRAIM:
Ich muss doch dem Löb erst erklären…
SIGI:
Also doch mit ihm sprechen.
EPHRAIM:
Ich muss ihm sagen, dass mein Enkelsohn mir näher ist als alles andere auf der Welt.
SIGI:
Und er wird dich fragen: Näher auch als Gott?
Er wird dir erklären, dass Gott anders will als du.
Er wird befehlen: Tu den Schatz zurück ins Geheimfach und kauf bei Herzl-Bär weiter auf Borg.
EPHRAIM:
(höhnisch) Der Löb ist in dir. Ich hör ihn schon sprechen.
SIGI:
(energisch, ernst) Ich wette, dass er kommt, um unsere Abreise in letzter Minute zu verhindern.
EPHRAIM:
Ich gehe ohne Abschied nicht vom Löb.
Ephraim geht ab in seine Stube.
HANNA:
Hör, Sigi: Wie wär es, wenn du dir einen Teil vom Schatz ausbezahlen lässt?
Dann kann er doch kommen, wann er will – und dir kann’s egal sein.
SIGI:
Nichts ist egal.
Nichts besitzen wir wirklich – außer diesem Tandelkram.
Dieses Haus gehört dem Löb. Mein Großvater glaubt, ihm etwas schuldig zu sein,
weil er nie drängt, wenn wir im Rückstand sind.
HANNA:
Das zählt jetzt nichts mehr. Ihr habt doch den Schatz.
SIGI:
Ephraim hat den Schatz.
Gott weiß, was er damit noch anstellt.
HANNA:
Ach Sigi, immer hast du schwarz gesehen – und immer ist dann alles gut geworden.
Als es euch miserabel ging, kam jedes Mal ein Matrose.
Und als es unumgänglich war, öffnete eben jener auch den Schrank.
SIGI:
Ja, aber sieh doch, welche Umstände sich die Vorsehung macht.
HANNA:
Mein Vater sagt immer: Es kommt auf den Effekt an.
SIGI:
Na – um den Effekt mach ich mir Sorgen.
Ich habe die beiden reden hören:
Der Löb sagte: „Geh – du bist dann draußen, wenn du gehst. Und nie mehr kommst du herein.“
Und meinst du vielleicht, mein Großvater hätte ihm die Stirn geboten?
Oh nein. Er hat gegreint.
„Hab Erbarmen“, hat er gesagt.
Wie kann ein Mensch mit Goldschatz um Erbarmen flehen?
HANNA:
Es ist doch gut, dass ihm der Schatz nicht zu Kopf steigt…
SIGI:
Wir kommen aber nicht zum Ziel.
Er packt schon wieder aus – heimlich, kleine Kleinigkeiten.
HANNA:
Ach Sigi, würdet ihr doch hierbleiben!
Kauft dem Löb doch das Haus ab!
Dann könnt ihr hier leben. Ihr könnt euch Tauben halten – oder Katzen.
SIGI:
Idyll im Ghetto…
Nach allem weißt du selbst, dass es nicht geht.
HANNA:
Ich weiß…
Ich wünschte doch nur…
Es riecht so schön nach Rosen… da beginne ich das Träumen.
SIGI:
Du irrst dich.
Nicht nach Rosen – nach Mottenkugeln riecht es hier.
[ENDE SZENE 13]
Dramatisierung der Judengasse (Teil 2)
Theoretische Grundlagen und praktische Überlegungen zur Dramatisierung der „Judengasse“ - Aspekte der Biographie von Martha Saalfeld
Theoretische Grundlagen und praktische Überlegungen zur Dramatisierung der „Judengasse“
Aspekte der Biographie von Martha Saalfeld
Martha Saalfeld wurde am 15. Januar 1898 in Landau in der Pfalz, in der Judengasse, der heutigen Theaterstraße, geboren. Sie wuchs bis zu ihrem siebten Lebensjahr in jener Gasse auf, bevor sie dann aufgrund einer Erkrankung ihrer Mutter von ihrer Großmutter in Obhut genommen und großgezogen wurde. Das literarische Talent und ihre Neigung zum geschriebenen Wort, deutete sich bereits in ihrer Schulzeit an, als sie die städtische Schule der höheren Töchter, das heutige Max-Slevogt-Gymnasium, besuchte. 1921 absolvierte die junge Pfälzerin dann ihr Abitur in Kaiserslautern. Infolgedessen immatrikulierte sie sich an der Universität Heidelberg, wo sie unter anderem Philosophie unter Karl Jaspers studierte. In diesem Studium lernte sie Werner vom Scheidt, ihren späteren Ehemann, kennen. Der Student der Nationalökonomie, dessen einzige Fähigkeit in der Kunst lag, wie sie selbst sagt, traf sich mit ihr häufig in der Lesehalle der Universität, bevor die beiden sich erstmals auf einen Kaffee verabredeten. Aus den Dokumenten ihres Nachlasses, verwaltet durch das Zentrum für Kultur- und Wissensdialog, unter der Leitung von Prof. Dr. Anja Ohmer, lässt sich entnehmen, dass Martha sich ausdrücklich nicht auf diesen Kaffee einladen lies. Was diese Anekdote beweist, ist: Martha Saalfeld war Zeit ihres Lebens stets auf Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter bedacht und verfolgte diese mit höchster Konsequenz. Auch wenn Martha Saalfeld von heute überaus bekannten Schriftstellern wie Hermann Hesse, Stefan Zweig oder Oskar Loerke gelobt wurde und mit Teilen von ihnen, fast ihr gesamtes Leben in Briefkontakt stand, ist ihr literarisches Schaffen von Rückschlägen und fehlender Anerkennung geprägt. Nachdem 1932, das von ihr verfasste Theaterstück „Beweis für Kleber“, in Mannheim uraufgeführt wurde, wurde ihr zweites Theaterstück „Staub aus der Sahara“ nicht veröffentlich, da es als zu kritisch eingestuft wurde. Marthas Werke sind häufig mit autobiographischen Elementen versehen (siehe „Pan ging vorüber“, Die Judengasse“, „Anna Morgana“). Aufgrund der schwierigen gesellschaftlichen Entwicklungen der 30er Jahre, sah Martha Saalfeld sich gezwungen, eine Lehrstelle als Apothekerin anzunehmen, um wirtschaftliche Sicherheit für sich und ihren Mann gewährleisten zu können. Das Ehepaar lehnte die Ideologien des Nationalsozialistischen-Regimes ab und unterstütze jüdische Freunde im Rahmen ihrer Möglichkeiten während der NS-Zeit. Ihr Ehemann sagt über die Schriftstellerin, dass sie sich nicht gescheut habe Partei zu ergreifen und ihre Meinung zu verteidigen. Einen weiteren Schicksalsschlag erlitt Martha Saalfeld, als ihr Schriftstellerinnenausweis entzogen wurde, was einem Schreibverbot gleichkam. Saalfeld lebte in einer Zeit großer Umbrüche, was sich in ihrem Werk widerspiegelt: die beiden Weltkriege, das Dritte Reich und die gesellschaftlichen Umwälzungen der Nachkriegszeit prägten ihre Themenwahl und Erzählweise. „Voll zum Tragen kommt das zeitgeschichtliche Element – neben aller Poesie, die bei Martha Saalfeld immer primär bleibt – in den Romanen ‚Judengasse‘ und ‚Isi oder die Gerechtigkeit‘“ (Saalfeld Martha, Werkausgabe in Einzelbänden Hrsg. Berthold Roland, Bd. 5 Romane 2. Judengasse, Isi oder die Gerechtigkeit / mit einem Nachwort des Herausgebers, S. 344). In ihrer Prosa verbindet sie intime psychologische Porträts ihrer Figuren mit präzisen, oft melancholischen Beschreibungen der äußeren Welt. Ihr Schreibstil ist von einer bildhaften, poetischen Sprache, gepaart mit Elementen der Abstraktion, geprägt. Dies verdeutlicht ihre enge Verbindung zur Lyrik.
Auch wenn Martha Saalfeld und ihr Werk nie die angemessene Anerkennung erfahren haben, ist es gelungen und vielschichtig. Mit „Die Judengasse“ entstand ein Roman, der von der jüdischen Passion erzählt. Martha Saalfeld hat diese Zeit ihres Lebens erfahren und gelebt. Sie hatte stets jüdische Freunde und es ist ihr durch ihre unnachahmliche Beobachtungsgabe und ihr literarisches Feingefühl gelungen den Antisemitismus bereits in seinen Ansätzen und unterschwelligen Art zu portraitieren. In ihrer Lyrik und Prosa treffen Traumwelt und Gesellschaftskritik aufeinander. Gesellschaftliche Themen verbinden sich kunstvoll und lückenlos mit Poesie. Mit Blick auf zeitaktuelle politische Debatten, prädestiniert sich Martha Saalfelds Roman oder auch seine Dramatisierung daher als Material zum Erinnern, Kritisieren und Wachrütteln, in schulischen wie außerschulischen Kontexten.
Die Judengasse
Die Geschichte handelt von einer kleinen Provinzstadt, namentlich Landau. Dort entdeckt ein kleines Mädchen die faszinierende Welt des Kram- und Antiquitätenladens des alten Ephraim in der Judengasse. Die zehnjährige Hanna erliegt dem Zauber dieser Welt, die gefüllt ist mit alten Schränken, Regalen, Plunder, Porzellan und dem jüdischen Leben, dass sie auf magische Weise anzieht. Die Schwermut des jüdischen Lebens, geprägt von Vorurteilen und Aberglauben wird durch die faszinierten und feinfühligen Kinderaugen der Protagonistin beschrieben. Die Handlung erzählt von Hanna, die mit dem 6 Jahre älteren Gymnasiasten Sigi befreundet ist. Sigi wohnt mit seinem Großvater, dem Trödler Ephraim und seiner Tante Edel in der Judengasse. Aus nächster Nähe erlebt die Protagonistin Nöte, Hoffnung, Illusionen und Leid. Sie wird Zeugin der unermüdlichen Geduld, mit der die Bewohner*innen der Judengasse das ihnen angetane Unrecht und die Schikanen, als unwiderrufliches Schicksal ertragen. Der einzige Lichtblick ist der Schrank Isidors, dem verstorbenen Bruder Ephraims, der einen Schatz in sich tragen soll. Die Suche nach diesem Schatz wird zum Symbol für Hoffnung und Rettung in einer Zeit, in der die Familie von finanziellen und sozialen Nöten bedrängt wird. Sigi wird unterdessen zum Symbol der Ausweglosigkeit, in der sich die Familie befindet. Die Gespräche lassen dies deutlich werden und die Ahnung vervollständigt das schlimme Bild. Sigi wehrt sich gegen die Beleidigung der Magd, die den geheiligten Sabbat verunglimpft, mit einer Ohrfeige. In Reaktion darauf eskaliert das harmlos beginnende Verdächtigungsdrama und die Magd bringt ihn verleumderisch ins Gerede und so wird Sigi vom Gymnasium ausgeschlossen. Sigi, der stets gehofft hatte, der dumpfen Umwelt dieser provinziellen Kleinstadt durch einen hohen Schulabschluss zu entkommen, verliert infolgedessen jegliche Hoffnung und zieht sich ins sich selbst zurück. Das Ergebnis der Hetzjagd wird sein Suizid sein, den er tragischerweise mit dem Revolver begeht, den ihm Hanna zu seinem Schutz vor dem Feindlichen gebracht hat.
Martha Saalfeld hat mit ihrem Roman ein Werk geschaffen, dass nicht nur die Barbarei des NS- Regimes ahnungsvoll ankündigt, sondern ebenfalls kunstvoll und poetisch anmutet.
Antisemitismus als Thema in „Die Judengasse“
Der Antisemitismus ist das bestimmende Thema des Romans, obwohl er mit keinem Wort, explizit erwähnt wird. Martha Saalfeld gelingt es mit außerordentlichem Feingefühl, durch die Sicht des zehnjährigen Mädchens ein Gefühl für die Atmosphäre zu vermitteln. Die Juden des Romans werden weder boykottiert noch offen verfolgt. Ganz ohne Pogrome und Vernichtungslager baut Martha Saalfeld, mit außerordentlicher Darstellungskunst die Atmosphäre der Vorzeit dessen, was uns heute mit diabolischer Tatsächlichkeit vor Augen steht. Der Antisemitismus äußert sich nicht im Extrem, sondern durch böse Nadelstiche, Ignoranz, Intoleranz und achtloses Unrecht. Der Autorin gelingt es ohne Anklage, ohne Vorwurf, ohne Oberlehrerinnenhaft den Finger zu erheben, nur durch ihre Beschreibungen von dem, was sie selbst gesehen und erlebt hat, den Leser das unerbittliche Nahen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft begreiflich zu machen. Die von ihr so gelungen beschriebene Alltagsdiskriminierung, die schwelende und hämische Feindseligkeit, die den Nährboden des mörderischen Terrors bildet, wirft Schatten und Schauder voraus. Es geht weniger um aktive Anfeindungen als um die vernichtende Passivität der Mehrheit. Es geht um Leute, die tun oder unterlassen, was ihnen gerade behagt oder missfällt. Polizisten, Lehrkräfte und Angestellte, deren kurzsichtiges und korruptes Verhalten den Leser beklemmend, penetrant und gefährlich erscheint. Das von Saalfeld skizzierte Problem der Zeit sind Gleichgültigkeit und, es lässt sich nicht anders sagen, Bequemlichkeit. Dass die Diskriminierung nicht aktiv vorangetrieben wird und die Dinge sich dennoch wie von selbst entwickeln, lässt die Leser begreifen, dass auch wer sich nicht beteiligt und die Dinge lediglich geschehen lässt, Teil der Entwicklung ist. Mit dem poetischen Umriss dessen, bewegt Saalfeld die Leser zu einer Stellungnahme. „Bei ihnen ist es humaner als bei anderen Leuten – bei den Bürgern ist es nicht human“ ist die Antwort auf die Frage, weshalb Hanna es bei den Juden so interessant und schön fände. Nicht nur die verlangte Rechtfertigung, weshalb Hanna immer bei der jüdischen Familie sei, sondern auch die Erkenntnis, dass das Bürgertum sich nicht human verhält, auf die Bewohner der Judengasse hinabschaut sind Ausdruck des von der Autorin in ihrer Kindheit wahrgenommenen antisemitischen Zeitgeistes.
Das geistige Klima der Handlung verweist ebenso in die Gegenwart wie in die Vergangenheit. Die Handlung des Romans kann im Wesentlichen für zwei Dinge genutzt werden. Zum einen als literarische Grundlage einer Erinnerungskultur, derer sich im Zuge der historischen Ereignisse in der Bundesrepublik Deutschland verschrieben wurde und das Zweite ist ein Umdenken der Erzählung, als vielmehr die Geschichte der ebenso alterslos anmutenden wie tückisch verborgenen Verfolgung einer Minderheit.
Chancen der szenischen Begegnung mit Antisemitismus (im Schulkontext)
Mit einem Blick auf die Nachrichten wird schnell ersichtlich, weshalb die Thematiken, die in Martha Saalfelds Roman „Die Judengasse“ behandelt werden, genauso aktuell sind, wie in der Zeit, in der die Erzählung spielt. Millionen von geflüchteten Menschen, Darstellungen von zerstörten Städten, Leichen im Mittelmeer, durch Kampfmittel entstellte Gesichter, die global voranschreitende Beschneidung von Menschenrechten, internationale Machtspiele, die auf dem Rücken der Bevölkerung und insbesondere von Minderheiten ausgetragen werden. All das wird begleitet von unerträglich despektierlichen, teilweise menschenverachtenden Diskussionen über „die Anderen“ und das, was als „nicht deutsch“ bezeichnet wird (Vgl. Heppekausen Jutta: Diskriminierungserfahrungen in szenischer Bearbeitung, in: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Bd. 18, Nr. 1,2019, S. 140). Diese grobe Skizzierung einer gesamtgesellschaftlichen Momentaufnahme, bildet den Rahmen künstlerisch-pädagogischer Bemühungen, diesen teils antidemokratischen Sichtweisen im kulturellen Rahmen entgegenzutreten. Das Theater oder auch das Fach „Darstellendes Spiel“ erweisen sich als äußerst sinnvoll und bieten eine tiefgreifende und ganzheitliche Lernmöglichkeit für alle Beteiligten. Durch den Modus des Theaters werden komplexe Themen nicht nur intellektuell, sondern auch emotional und körperlich erlebbar gemacht. Dies führt zu einem nachhaltigen Lern- und Reflexionsprozess, der über bloße Wissensvermittlung hinausgeht und Mitwirkende auf einer persönlichen Ebene erreicht. Während der Unterricht in traditionellen Fächern häufig auf theoretische Vermittlung beschränkt bleibt, erlaubt das Theater, sich auf spielerische und kreative Weise mit schwierigen Themen wie Diskriminierung oder der Geschichte des Holocaust auseinanderzusetzen, ohne diese dabei zu verharmlosen. Dieses ganzheitliche Lernen, unter Einbindung von Körper und Geist, ermöglicht es den Teilnehmern die Rollen ihrer Figuren nicht nur durch das gesprochene Wort, sondern auch durch ihre körperliche Präsenz und Handlung auf der Bühne zu erleben. „Indem die gestaltenden Schülerinnen und Schüler als Spielerinnen und Spieler ihr eigenes Medium sind, sind sie auch affektiv und mit allen Sinnen in intensiver Weise eingebunden: sie fühlen, denken und handeln, wie ihre Rollenfiguren.“ (Lehrplan Darstellendes Spiel Sekundarstufe II., veröffentlicht von: Ministerium für Bildung, Wissenschaft Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz, 2008, S.44.) Diese ganzheitliche Einbindung fördert ein tieferes Verständnis der Themen, da die Schüler und Schülerinnen nicht nur passiv Informationen aufnehmen, sondern aktiv und kreativ in den Lernprozess eingebunden werden. Dies verstärkt nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern trägt auch dazu bei, dass die Erkenntnisse und Emotionen aus dem Theaterprojekt länger im Bewusstsein der Teilnehmenden verankert bleiben. Als Bestätigung dieser These soll hier exemplarisch ein Zitat eines Schülers dienen, der an einem Theaterprojekt teilgenommen hat, dass sich mit historisch-politischer Bildung auseinandergesetzt hat:
„Wenn man etwas in einem Buch liest, ist das eine Sache, aber wenn man sich spielerisch und szenisch in die Lage von Opfern und auch Tätern versetzt, kann das persönlich sehr bereichern, was das Verständnis des Themas angeht.“ (Bundeszentrale für Politische Bildung: Biografisches Theater und Holocaust, in: bpb.de, 23.06.2021, [online] https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/147696/biografisches-theater-und-holocaust/). Durch das Hineinversetzen in die Rollen von Opfern oder Tätern erleben die Schüler eine völlig andere Art der Auseinandersetzung, die einen stärkeren persönlichen Bezug schafft und so eine tiefere Reflexion ermöglicht. Dieser Ansatz des Theaters ist besonders effektiv, um historische und aktuelle Formen von Diskriminierung zu thematisieren. Theater fungiert als ein „Denkmodell, mit dem soziale Erfahrungen der Diskriminierung, der Beobachtung, Teilhabe und Akkulturation erfasst und diskutiert werden können. Zugleich ermöglichte Theater die praktische und künstlerische Ausgestaltung sozialer Existenz.“ (Eisele, Theresa: Theater als „Spiel- und Spiegelform“ jüdischer Erfahrung: 2024, S. 37.) In der Praxis bietet das Theater die Möglichkeit, gesellschaftliche Strukturen und Formen von Diskriminierung sichtbar zu machen, indem diese auf der Bühne künstlerisch verarbeitet werden. Auf der Bühne werden die subtilen und offensichtlichen Mechanismen sozialer Ausgrenzung greifbar und erlebbar, sodass die Teilnehmenden die Komplexität dieser Phänomene besser verstehen und reflektieren können. Das Theater als Ort der Auseinandersetzung kann dazu genutzt werden, um die in der Realität wahrgenommenen Szenarien, innerhalb eines geschützten Raums zu durchleben und Handlungsmöglichkeiten „risikofrei“ zu erproben. Eine Möglichkeit wie eine solche Erprobung aussehen kann wird im Folgenden beschrieben:
Im Plenum werden verschiedene Szenen des Theaters identifiziert, die diskriminierende Momente beinhalten. Diese Szenarien werden dann im Sinne einer Improvisation nach Brecht aufgeführt. Die Zuschauenden Schüler sind dazu aufgefordert, innerhalb der Vorführung der Improvisationsszene diese durch die Methode „Freeze“ zu unterbrechen und entweder als eine der anwesenden Personen oder als zusätzliche Person die Szene fortzuführen. In diesem Stop-and-Go-Modus können verschiedene Verhaltensweisen erprobt werden, die durch Übertragung auf das reelle Leben, als Katalysator eines Ermächtigungsprozesses wird. Besonders bei Themen wie Antisemitismus, die eine lange und tiefgreifende historische Dimension haben, bietet das Theater eine ideale Plattform, um die Relevanz und Kontinuität dieser Problematik in der Gegenwart zu verdeutlichen. Den Chancen, die mit solchen Inszenierungen einhergehen, stehen ebenso Herausforderungen gegenüber, die es zu bewältigen gilt. „Was wir Juden tun, vollzieht sich auf einer Bühne – unser Los hat sie gezimmert […]. Aber alle Welt darf auf Publikumssitzen lümmeln und die Juden anstarren “ (Ebd. S.11.) formuliert der Schriftsteller Richard Beer Hoffmann. Was Hoffmann hier als Gegebenheit beschreibt, gilt es heute bei der Darstellung von Diskriminierung unbedingt zu durchbrechen und bei der szenischen Bearbeitung solcher Themen stets mit höchster Sensibilität zu bedenken. Das Problem der „Kolonialisierung fremder Erfahrungen“ (Heppekausen Jutta: Diskriminierungserfahrungen in szenischer Bearbeitung, in: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Bd. 18, Nr. 1, 2019, Abstract.) ist in Theaterprojekten, die sich mit der Darstellung von Opfern historischer Gewalt befassen, besonders relevant. Die Gefahr besteht darin, dass Opfer lediglich als passive Objekte der Gewalt dargestellt und auf ihre Leiden reduziert werden. Diese Form der Darstellung läuft Gefahr, „Machtverhältnisse“ ungewollt zu reproduzieren. Gelingt diese kritische Einordnung, eignet sich eine theatrale Auseinandersetzung mit Diskriminierung zur Empathieförderung. Indem die Schüler in Rollen schlüpfen und die Perspektive der Opfer von Diskriminierung einnehmen, verstehen sie besser, welche psychologischen und sozialen Auswirkungen antisemitische Diskriminierung haben kann. Das fördert Mitgefühl und Solidarität, nicht nur für die im Fallbeispiel der Judengasse betroffene jüdische Gemeinschaft, sondern wird auf alle diskriminierten Gruppen übertragbar gemacht. Konkret sind theaterpädagogische Techniken, bei denen durch einen Rollentausch und das mehrfache Durchlaufen einer Szene verschiedene Perspektiven erfahrbar gemacht werden, eine Möglichkeit im schulischen Kontext. Ein exemplarisches Beispiel wie eine solche Methode aussehen kann soll hier als Inspiration dienen:
- Die Schüler und Schülerinnen bekommen im Vorfeld der Unterrichtseinheit die Aufgabe einen für sie persönlich wichtigen Gegenstand mitzubringen.
- Mit diesem Gegenstand wird dann eine Szene zwischen zwei Schülern improvisiert,
- Diese Improvisation orientiert sich am Szenario von S.14 des Theaterstücks, indem die Frau Notar das für Ephraim wichtige Damastgedeck beschädigt zurückbringt und weder bereit ist eine Entschädigung dafür zu zahlen noch es wie zuvor vereinbart zu kaufen.
- Die Improvisation findet mindestens zweimal statt, so dass jeder Schüler beide Perspektiven eingenommen hat.
- Im Anschluss werden die erlebten Situationen und Empfindungen im Plenum reflektiert.
Eine weitere Option sind von den Schülern und Schülerinnen entwickelte Rollenmonologe oder Subtexte der Figuren die eingeprobt und dargestellt werden. Die szenische Bearbeitung erlaubt es den Teilnehmern, die historische Realität nicht nur passiv zu erfahren, sondern aktiv nachzuvollziehen und emotional zu durchdringen und auf die Gegenwart zu übertragen. Im Hinblick auf die Schwerpunktthematik des Stück, muss die Förderung der ethischen Kompetenz in besonderer Weise herausgestellt werden. „Diese Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, auf der Grundlage ethischer Werte zu handeln; d.h. ethische Probleme als solche zu identifizieren, zu analysieren, ethisch verantwortliche Handlungsalternativen aufzuzeigen, Lösungsvorschläge zu beurteilen und eine ethisch begründete Entscheidung zu treffen.“ (Lehrplan Darstellendes Spiel Sekundarstufe II., veröffentlicht von: Ministerium für Bildung, Wissenschaft Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz, 2008, S. 38.).
In der kulturellen Auseinandersetzung mit Antisemitismuserfahrungen lernen die Schüler, ethische Probleme als solche zu erkennen, zu analysieren und verantwortungsvolle Handlungsalternativen zu entwickeln. Die Judengasse als Grundlage bietet eine Plattform für einen Austausch über gesellschaftliche Werte und Normen innerhalb der Gruppe und mit dem Publikum. Dies führt dazu, dass subjektive Perspektiven und Einstellungen kritisch hinterfragt werden. Nicht nur die inhaltliche Reflexion des thematischen Schwerpunkts, die durch das Theater angestoßen wird, sondern auch das gemeinsame Arbeiten im Team fördert eine Auseinandersetzung mit ethischen Werten wie Toleranz, Respekt und Rücksichtnahme. Der kreative Prozess des Theaters führt die Schüler dazu, sich als Teil einer Gemeinschaft zu begreifen, die auf gegenseitiger Unterstützung und Rücksichtnahme basiert und in der jeder einzelne Beitrag wichtig ist. Das kollektive Glücksgefühl einer gelungenen Aufführung oder die im Spiel erlebte Solidarität übertragen sich positiv auf die gesamte Lerngruppe.
Bei der Thematisierung von Diskriminierung und Antisemitismus ist darauf zu achten, „dass niemand im Sinne einer erwünschten Meinung emotionalisiert oder überwältigt werden darf.“ (Bundeszentrale für politische Bildung: Beutelsbacher Konsens, in: bpb.de, 07.09.2022, ohne Seitenangabe. [online] https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/). Dieser Grundsatz stellt sicher, dass jegliche Indoktrination vermieden wird und junge Menschen Werkzeuge erhalten, sich selbstständig ein Urteil zu bilden. Es ist angesichts vieler kontroverser Perspektiven auf die Vergangenheit zwingend notwendig, dass Lernende und die Möglichkeit haben eine historische Urteilsfähigkeit auszubilden. (Vgl. Bergmann, Klaus: Multiperspektivität: Geschichte selber denken, 3. Aufl. Schwalbach/Ts: Wochenschau, 2016, S. 47.) Um den politisch- historischen Bildungseffekt einer solchen Inszenierung zu ermöglichen, ist es notwendig, dass sowohl Lernende als auch das Publikum den Raum und die Möglichkeit erhalten, ihre Urteilsfähigkeit zu nutzen und nicht vorgegeben wird, wie mit dem Thema umzugehen ist. Lehrkräfte sind in diesem Zuge dazu angehalten, die Aufgabenstellungen und den Erwartungshorizont offen und flexible zu gestalten. Einzig und allein „extremistische und populistische Thesen und Argumentationen außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und humanistischer Werte“ (Hannes Burkhardt, Social Media und Holocaust Education, Chancen und Grenzen historisch-politischer Bildung, in: Holocaust Education revisited: Holocaust Education - Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, hrsg. Anja Ballis, Markus Gloe, München, 2019, S. 377.) sollen als solche eingeordnet und als illegitim und nicht gleichberechtigt eingestuft werden, „da sie die Grenzen der Toleranz des Grundgesetzes überschreiten“( Ebd.). Zwar gelten Emotionen als wichtig für den Lernprozess gleichzeitig gibt es aber insbesondere bei dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust Grenzen. Theater hat zwar das Potenzial, tiefgehende emotionale Reaktionen hervorzurufen, doch bei historischen Themen, die so emotional belastet sind wie der Holocaust, müssen klare Grenzen gezogen werden. Emotionen sind zwar ein „wichtiges Mittel für den Lernprozess“, doch wenn sie zu intensiv sind, kann dies die Lernenden überfordern und den rationalen Reflexionsprozess behindern. Es muss die Möglichkeit eingeräumt werden, dass sich Teilnehmende aus bestimmten Rollen oder Szenen zurückziehen können, wenn diese für sie emotional zu belastend sind. Hierfür könnte im Vorfeld ein gemeinsames „Safe-Word“ vereinbart werden, mit Hilfe dessen Schüler sich jederzeit ohne Begründung, einer für sie unangenehmen Situation, entziehen können und falls notwendig Hilfe erhalten. Es ist wichtig, alternative Aufgaben wie die „Raumgestaltung“ oder das „Texte schreiben“ anzubieten, damit sich alle auf eine Weise beteiligen können, die ihnen angemessen erscheint. Diese Rücksichtnahme auf die individuellen Bedürfnisse und Grenzen der Teilnehmenden ist zentral, um das Theaterprojekt respektvoll und inklusiv zu gestalten. Insgesamt muss ein Theaterprojekt, das sich mit historisch-politischen Themen wie dem Holocaust und Antisemitismus auseinandersetzt, stets „respektvoll, selbstreflexiv und gegenwartsbezogen“ sein. Es darf weder verharmlosen noch die Teilnehmenden überfordern oder emotional überwältigen. Stattdessen sollte es Raum für Reflexion schaffen und die Teilnehmenden in die Lage versetzen, selbstständig und kritisch über das Gezeigte nachzudenken. Diese Herangehensweise entspricht den Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses und fördert die Entwicklung einer informierten und reflektierten Urteilsfähigkeit im Umgang mit komplexen historischen Themen. „Die Komplexität und der hohe grad der Verflechtung [des Antisemitismus und anderer im Theatertext angestoßener Themen (Beispielsweise die angedeuteten philosophischen Fragestellungen nach Vertrauen und Gehorsam (S. 3-4) oder die Frage nach der Existenz von Gerechtigkeit (S. 10)] fordert auch von der Schule [im Gesamten] entsprechende Arbeitsformen, die nicht an den Grenzen einzelner Fächer Halt machen, sondern diese bewusst und gezielt überschreiten und die vielfältigen Fachinhalte miteinander in Beziehung setzen sowie das Fachwissen und fachspezifische Denkweisen und Methoden miteinander verbinden und vernetzen. Dabei kommt dem Darstellenden Spiel besondere Bedeutung zu, da es als Fach strukturimmanent fächerübergreifend ist.“ (Lehrplan Darstellendes Spiel Sekundarstufe II., veröffentlicht von: Ministerium für Bildung, Wissenschaft Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz, 2008, S 61.).
Mögliche Kooperationen mit dem Fach Geschichte zum Thema historischer Antisemitismus oder NS-Zeit scheinen sinnvoll. Eine Analyse des Theatertextes im Rahmen des Deutschunterrichts oder die Verlagerung der angedeuteten philosophischen Fragestellungen in den Ethik-, Philosophie-, Religionsunterricht sind weitere Optionen für eine fächerübergreifende Zusammenarbeit. Indem Theaterprojekte die Grenzen zwischen Fächern überschreiten und kooperativ gestaltet werden, stärken sie wichtige Kompetenzen wie Empathie, Solidarität und kritisches Denken und befähigen die Lernenden ihre Erkenntnisse, als über das Theater hinausgehend zu begreifen und somit auf das alltägliche Leben und die heutige Zeit zu übertragen.
Literatur
Bergmann, Klaus: Multiperspektivität: Geschichte selber denken, 3. Aufl. Schwalbach/Ts: Wochenschau, 2016.
Bundeszentrale für Politische Bildung: Biografisches Theater und Holocaust, in: bpb.de, 23.06.2021. abrufbar: https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/147696/biografisches- theater-und-holocaust/, zuletzt abgerufen: 17.10.2024.
Bundeszentrale für politische Bildung: Beutelsbacher Konsens, in: bpb.de, 07.09.2022. abrufbar: https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/, zuletzt abgerufen: 17.10.2024.
Brunssen, Frank: „Jedem das Seine“ – Zur Aufarbeitung des lexikalischen NS-Erbes, Bundeszentrale für Politische Bildung, 15.10.2010, abrufbar: https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42761/jedem-das-seine-zur- aufarbeitung-des-lexikalischen-ns-erbes/, zuletzt abgerufen: 12.10.2024.
Burkhardt, Hannes: Social Media und Holocaust Education, Chancen und Grenzen historisch- politischer Bildung, in: Holocaust Education revisited: Holocaust Education - Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, hrsg. Anja Ballis, Markus Gloe, München, 2019.
Eisele, Theresa: Theater als „Spiel- und Spiegelform“ jüdischer Erfahrung, 2024.
Heppekausen, Jutta: Diskriminierungserfahrungen in szenischer Bearbeitung, in: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Bd. 18, Nr. 1, 2019.
Lehrplan Darstellendes Spiel Sekundarstufe II., veröffentlicht von: Ministerium für Bildung, Wissenschaft Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz, 2008.
Roselt, Jens/Ulf Otto: Theater als Zeitmaschine: zur performativen Praxis des Reenactments : theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, 2012.
Saalfeld, Martha: Werkausgabe in Einzelbänden Hrsg. Berthold Roland, Bd. 5 Romane 2.
Judengasse, Isi oder die Gerechtigkeit / mit einem Nachwort des Herausgebers