Station 5: Verehrt und doch vergessen
Wenn die Welt erst noch ein wenig mehr bankrott und der Durchbruch zum Leben erreicht sein wird, dann wird man unter anderen Merkmalen auch das als ein Merkmal unserer Zeit aufzä hlen, dass sie keine Gedichte mehr lesen konnte, für Völker mit einer adligen alten Sprache ein schweres Krankheits- und Schandzeichen. Dann wird man sich auch mancher Dichter erinnern, deren Schicksal es war, in dieser
irrsinnigen Zeit, diesem irrsinnigen todkranken Deutschland einsam und unverstanden ihre schönen Dichtungen geschrieben zu haben, und unter ihnen wird man auch Martha Saalfeld nennen, weil ihre Gedichte wirkliche Dichtungen sind. Sie schweben wirklich, wie jede echte Dichtung, zwischen zwei Polen, sind Weg und Schwingung zwischen Erlebnis und Form. (Hermann Hesse) Dieses Zitat von Hermann Hesse belegt, welchen Stellenwert die Dichterin Martha Saalfeld bereits zu Lebzeiten genoss, auch wenn ihr der große literarische Durchbruch verwehrt blieb.
Die Bad Bergzabener Lehrerin Dr. Annette Kliewer benennt dafür drei Faktoren: „(Martha) Saalfeld ist eine in der Literaturgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit zu Unrecht verkannte Schriftstellerin, die in ihrem Leben und Werk mit drei Ausgrenzungsfaktoren zu kämpfen hatte: Sie war eine Frau, sie lebte in der Provinz und sie gehör te zu einer Generation von Schriftsteller:innen, denen es nach einer Zeit der inneren Emigration nach 1945 nicht gelang, sich auf dem Nachkriegs-Literaturmarkt zu etablieren.“ (Dr. Annette Kliewer).
Die vorliegende Station 5 des literarischen Hörspaziergangs befindet sich im Hof der Roten Kaserne,
einer Außenstelle der RPTU, an welcher die Martha-Saalfeld-Forschungsstelle beheimatet ist. Deren
Ziel ist es, die Texte der Autorin bekannter und sichtbarer zu machen.
Aus diesem Grund wurde 2023 die Martha-Saalfeld-Forschungsstelle eingerichtet, welche ihren
Nachlass verwaltet. Diese wird von Professor Anja Ohmer geleitet, welche Martha Saalfeld „ein
klassisches Frauenschicksal“ bescheinigt:
„Trotz der frühen literarischen Erfolge und der hohen Anerkennung von Fachkollegen konnte sie ihre
Karriere nie entfalten.“ (Prof. Anja Ohmer). Die Homepage der Universität Heidelberg, an der Martha Saalfeld studiert hat, widmet ihrer ehemaligen Studentin ein historisches Portrait, in welchem zahlreiche Autorenkolleg:innen zu Wort kommen. So schrieb bereits 1986 der Landauer Autor und Martha-Saalfeld-Kenner Wolfgang Diehl: „Martha Saalfeld zählt unbestritten zu den wichtigsten Autoren der Nachkriegszeit als Romanautorin und des 20. Jahrhunderts als Dichterin von Gedichten. Sie dem Vergessen zu entreißen, ist keine Frage der Pietät, sondern der Notwendigkeit.“ (Wolfgang Diehl)
Stefan Zweig fand ihre Gedichte „ungemein stark geformt und sehr vielfältig in ihrer Anlage.“
Elisabeth Langgässer beschreibt Martha Saalfeld und ihre Lyrik wie folgt: „Die Dichterin mit dem männlichen Geist und den knabenhaften herben und zarten Zügen, Schöpferin einer Lyrik, die […] wie eine kühle attische Scherbe, ein dunkel umkränzter Weihekrug wirkt, diese scheue, pfälzische Sappho, die […] Gedichte schrieb, deren genauer und zugleich sinnlicher Ton überraschten, heißt Martha Saalfeld […]. […] [In Saalfelds Naturdichtung] mischt sich schärfste Beobachtung, unbestechliches Gefühl und genauer Ausdruck mit visionärer Kraft, eine fast männliche Diktion und Vollendung der Form mit weiblicher Phantasie, Kälte und Bitterkeit des in sich kreisenden Daseins mit der tiefen Süße des Kerns“. (Elisabeth Langgässer).
Hören Sie nun ein Gedicht aus dem Zyklus „Der Herbst ist gut“, der 1934 entstand:
II
Süß ist der Herbst und weise, gibt sein Gut
Dahin, das köstliche, und zögert nicht.
Schon lockert sich der Apfel, schlüpft das Licht
In hellen Beeren, macht sich Vogelbrut
Von dannen. Flache Sohle, flache Hand –
Wie leise ist die Zeit, und wie zerrinnt
Der Schaum an Strauch und Baum! Ach, es beginnt
Ein Wirkliches und füllt sich bis zum Rand.
Der Rauch des pludrigen Gefieders weht
Im dichten Licht. Die glänzende Pupille
Ist ohne Härte. Doch es wächst die Stille
Von innen und das Vogelherz vergeht.
Am Zentrum für Kultur und Wissensdialog (kurz: ZKW) finden regelmäßig Inszenierungen und
Lesungen statt, um das Andenken an die Pfälzer Dichterin Martha Saalfeld aufrechtzuerhalten – so,
wie es dieser literarische Hörspaziergang tut.
Der literarische Hörspaziergang setzt sich nun in Bad Bergzabern fort, wo weitere vier Stationen zu
finden sind, die erste davon im Kurpark. Sie sind herzlich eingeladen, dort an das in Landau Erfahrene anzuknüpfen.
Annette Kliewer. „Auf den Spuren einer „Provinzautorin“? Die Martha-Saalfeld-Projekttage in Bad Bergzabern.“- In: Geneuss, Katrin; Hoiß, Christian (Hrsg.): Literarische Spaziergänge im Deutschunterricht. Gegenstände,Arrangements, Begegnungsräume. Darmstadt : wbg Academic 2023. S. 189-204.
Elisabeth Langgässer. „Portrait einer pfälzischen Dichterin.“ In: Wolfgang Diehl (Hrsg.): Martha Saalfeld. 1898 – 1976. Dokumente und Materialien. Landau: Literarischer Verein der Pfalz, 1986. S. 21-24.
Martha Saalfeld: Werkausgabe Band 1, Die Gedichte, Blieskastell 1998, S. 120.
Erinnerungsorte
