Station 3: Ausbildung in der Adler-Apotheke in Landau

Geld zum Leben

Sie hören einen Auszug aus dem Roman „Anna Morgana“ von Martha Saalfeld:

Ihr erster Gang war zum Fenster, der erste Blick galt dem Garten. Aber nicht dem Apothekengarten, sondern dem andern, der dahinterlag. […] Sie stand weit vorgebeugt und starrte unentwegt. Es war ihr seltsam zumut, ä ngstlich und erwartungsvoll zugleich. […] Sie holte einen Stuhl und ließ sich am offnen Fenster nieder. »Ich komme«, sagte sie leise vor sich hin. Da fielen ihr auch schon die Augen zu.
Sie schlief ein, obgleich es kü hl und gar nicht angenehm war. Sie hatte im Schlaf noch die Empfindung, es ströme eine besondre Kä lte aus dem dunkeln Zimmer drü ben zu ihr herü ber. Eine gefährliche Kä lte, die das Blut in den Adern erstarren ließ. Jetzt erst starb die eine, dann die andre Hand. Nun waren die Füße gefesselt, die Kä lte aber kroch weiter - nicht lange mehr, da wü rde sie das Herz erreichen.
Jetzt aber kam von drü ben her ein Ruf. »Wir sind Nachbarn«, sagte eine Stimme. Anna fuhr auf. »Ja«, erwiderte sie ganz schwach nur und benommen. »Es ist nicht gut, am offnen Fenster einzuschlafen in der Abendkühle.« Sie wiederholte matt: »Nicht gut, o nein.« Dann raffte sie sich auf: »Besonders wenn man Nachtdienst hat.« Der junge Zeichner drüben nickte. »Ich habe schon gehört, daß Sie den Nachtdienst machen mü ssen.« »Spricht sich das herum wie in der kleinen Stadt?« Er lachte. »Die Hinterhöfe - das ist wie eine kleine Stadt. Ich habe die Neuigkeit jedoch gerade eben von Ihrem Chef erfahren.« »Wie - Sie waren in der Apotheke? Die Tür war aber doch verschlossen? Und die Nachtdienstglocke - sie hat nicht gelä utet? Der Chef ist längst nach Haus gegangen!« »Er ist nicht zu Hause, sondern da unten.« »- Und ich bin oben!« »Mein Rezept erwartet Sie. Ich habe mir ein Beruhigungsmittel verschreiben lassen, weil ich fühle, daß meine Hand nicht mehr so sicher ist. Ich schlafe überhaupt nicht mehr. Wir haben Tag und Nacht zu tun.«
»Ich will mich recht beeilen. Bitte kommen Sie in einer Viertelstunde.« Der Zeichner nickte. »Ich komme gern.«

Der soeben gehörte Ausschnitt aus Saalfelds Roman „Anna Morgana“ schildert den ersten
Nachtdienst der Hauptfigur Anna Morgner an ihrem ersten Arbeitstag als Angestellte einer Apotheke in einer Großstadt, womöglich in Düsseldorf. In Düsseldorf arbeitete auch Martha Saalfeld in einer Apotheke. Martha Saalfelds Werdegang begann jedoch zunächst mit einer akademischen Laufbahn.


So studierte sie ab 1921 in Heidelberg Philosophie und Kunstgeschichte. Eine begonnene
Dissertation in Philosophie brach sie 1927 kurz vor Beendigung wegen eines Zerwürfnisses
mit ihrem Doktorvater Karl Jaspers ab.


1928 heiratete sie den Grafiker Werner vom Scheidt und begann am 1. April 1931 ihre zweijährige Ausbildung in der Adler-Apotheke in Landau. Ihre Entscheidung für die vergleichsweise bodenständige Ausbildung in einer Apotheke weist darauf hin, dass sie einen Beruf ergreifen wollte, der ihr als der Ehefrau eines freischaffenden Künstlers ein solides Einkommen in einem „Brotberuf“ ermöglichte.
Die Umstellung von einem abgeschlossenen Philosophiestudium zu einen Ausbildungsberuf war gewöhnungsbedürftig. Die Pfälzer Kundschaft nahmen die neue Mitarbeiterin wohl so zur Kenntnis: „Ah, ihr hen e neie Setzling!“ Ihre Ausbildung in der Adler-Apotheke in Landau nahm Martha Saalfeld ernst und war von ihr gefordert. Sie nahm die Arbeit gedanklich mit nach Hause, wie die folgenden Ausführungen ihres Ehemanns belegen:


„Die täglichen Übungen hätten mit der Zeit fast ausgereicht, auch mir ein Vorexamen zu
ermöglichen (…) Meine Versuche, Martha zu porträtieren gerieten in dieser Zeit meist als
Schlafbilder, denn die Müdigkeit nach den Dienststunden war doch ziemlich groß“. Der Apothekenleiter der Landauer Adler-Apotheke, Karl Moser, der Martha Saalfeld 1931 einstellte, war kein Mitglied der NSDAP und verließ den Stadtrat nach der politischen Übernahme durch die Nationalsozialisten.
Diese Verweigerung der Nazi-Gefolgschaft lässt eine geistige Verwandtschaft zum Ehepaar
vom-Scheidt-Saalfeld vermuten. Martha Saalfeld wurde während der NS-Zeit der Schriftstellerausweis entzogen und auch ihr Ehemann, der Künstler Werner vom Scheidt, wurde politisch gegängelt. Ihre Arbeit in der Apotheke ermöglichte dem Künstlerpaar Saalfeld/vom Scheidt in der Nazizeit ein Einkommen und rettete die beiden so finanziell durch die schwierige Zeit.


Die nächste Hörstation befindet sich am Martha-Saalfeld-Platz. Dieser liegt am Ende der
Kronstraße, nördlich des Rathausplatzes.



Quellen:
Martha Saalfeld: Anna Morgana. In: Martha Saalfeld. Werkausgabe in Einzelbänden, Band.4, Drei
Romane. Hrsg.: Berthold Roland. Blieskastell, 2001. S. 255ff.
Martha Saalfeld: Werkausgabe Band 1, Die Gedichte, Blieskastell 1998, S. 219.