Station 7: Die Dachstubenpoetin

Zeppelinstr. 13, Bad Bergzabern

Die Straßen der Stadt Bergzabern machten einen kaum freundlicheren Eindruck, und das Haus der Tante war nicht leicht zu erkennen, weil es durch Kriegswunden entstellt und mit brettervernagelten Fenstern uns halbblind anschaute. Auf der Klingel hieß es: ,Bitte drücken', aber die gab keinen Laut.
Als wir dann eine am Türknopf hängende Kuhglocke schüttelten, öffnete sofort eine kleine, von Kummer gebeugte Gestalt und fragte, ohne uns zu erkennen: „Bitte, was wünschen Sie?“
„Tante Emmi, wir wünschen hier daheim zu sein!“

Mit diesen Worten beschreibt Martha Saalfeld wenige Jahre nach Kriegsende 1948 ihre Ankunft im Haus in der Zeppelinstraße in Bad Bergzabern. Betrachtet man das heute wunderschöne Haus, in dem Martha Saalfeld mit ihrem Ehemann Werner vom Scheidt so viele Jahre gelebt hat, könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Ehepaar ein sorgenfreies Leben geführt hatte.
Finanziell war das Künstlerehepaar aber nicht auf Rosen gebettet. Vom Scheidts Existenz als Maler wurde zum damaligen Zeitpunkt kaum beachtet oder ernstgenommen. Auch die Wohnsituation im Haus blieb lange strapaziös. Marthas Bruder, Assistenzarzt, zog zusammen mit seiner Frau 1950 ebenfalls nach Bad Bergzabern in die Zeppelinstraße, wo er wenig später eine Zahnarztpraxis eröffnete. Die Speicherwohnung wurde ausgebaut und für das Künstlerehepaar blieben zwei kleine Wohnräume. Diesen Umstand beschreibt Martha Saalfeld wie folgt: Ich gehöre zur Gattung der Dachstubenpoeten. Meine Verwandten sagen von mir, daß ich hochfahrend sei. Sie haben recht, ich bin bis unters Dach gefahren, um ihnen eine Chance zu geben. Mein Mann, der Maler, hat die Bewegung −mit weniger Begeisterung als ich selbst, aber doch freiwillig −mitgemacht. Auf jeden Fall: wir sind jetzt obenauf!... In unserem ‚großen‘ Zimmer…
Der naturnahe Garten hinter dem Haus mag die Naturliebhaberin ein wenig über die beengte und konfliktbeladene Wohnsituation hinweggetröstet haben. In Saalfelds Roman „Pan ging vorüber” findet sich die Beschreibung eines verwunschenen Gartens. Die Annahme, dass die Inspiration zur folgenden Textstelle der Garten hinter dem Haus in der Zeppelinstraße war, liegt nahe: Bettina stieg über den Zaun. Sie trug weiße Sandalen, die im Zustand der Auflösung waren. Der Stacheldraht ritzte ihre nackten, braunen Beine. Aber das ist ja ein Wald, dachte sie, und plötzlich fing ihr Herz rascher zu klopfen an. Zwei riesige Tannen wuchsen
in den hellblauen Himmel. Die Blätter des Silberahorns ließen das Licht durchscheinen. Die Blütenteller des Holunders waren noch grün. Der Kirschlorbeer blühte, der Buchs hatte groteske Formen angenommen, Zypressenwacholder breitete sich wie ein riesiger Schirm über Farn und Efeugerank und blühende Nessel. Das Laub der jungen Haselbüsche war dunkelrot, der Sauerklee blühte weiß und gelb. Die Pfade waren, wo sie begannen, grün bemoost, dann nahm Vergißmeinnicht überhand, und nun kam Akelei in vielen Farben, rosafarbne und weiße, dunkel- violette mit langem Sporn, blaue mit weißem Saum, zarte einfache und röschenartig gefüllte Akelei. Bettina entdeckte mit Entzücken das Zweiblatt, das sie aus den Wäldern kannte.
Die rußschwarze Amsel mit dem aprikosenfarbnen Schnabel schien alles über den Garten zu wissen, aber dann stellte es sich heraus, daß sie nicht genug wußte, die tumbe, hühnerhaft plumpe, denn plötzlich erhob die Nachtigall ihre Stimme.
Werner vom Scheidt ergänzt Martha Saalfelds Beobachtungen zum Leben in Bad Bergzabern durch seine Sicht auf das enge Zusammenleben der Familie im Haus in der Zeppelinstraße.

Die für das Paar belastende Situation fasst er wie folgt zusammen: Im Haus selbst ergab sich eine sehr schwierige Situation, seitdem der Schwager Ernst seine Zahnarztpraxis hier eingerichtet hatte. Eine jäh ausbrechende Eifersuchtsregung bei der Schwägerin, die sich aus der engen geschwisterlichen Verbundenheit von Martha und Ernst herleitete und durch eine eigene Mißtrauenseinstellung, die wohl von
Außenstehenden genährt wurde, an Heftigkeit gewann. Es war ein Kampf um Selbstbehauptung von Seiten der Schwägerin, die glaubte, wenn sie die Geschwister trenne, ihre eigene Position zu stärken. Der Zwang, so eng im Raum beieinander zu wohnen, war quälend, und dazu kam noch die Erfahrung, daß die Tante, darin echt
saalfeldisch, immer zurückhaltend bei angeheirateten Verwandten reagierte, was die Schwägerin überbetont als Abweisung empfand. Es kam schließlich dazu, daß zwische den Geschwistern ein Sprechverbot wirksam war, fast volle neun Jahre dauernd und Quelle tiefen Leidens bei Martha wurde. Erst nach dem Tod der Tante begriff die Schwägerin, wie sehr Martha nur das Glück des Bruders im Auge hatte und daß keinerlei
Herrschergelüste oder gar Besitztrieb im Spiele waren. Der in Teilen biographische Roman „Mann im Mond“ wurde zur Bewältigung dieser Spannungen geschrieben und wird im Folgenden auszugsweise vorgetragen:
„Du solltest auch den Flüchtlingen oben etwas freundlicher begegnen, sie sind nicht ohne
Not hergekommen.“
„Im Grunde sind es ja Zigeuner.“
„Du weißt schon, daß es keine sind. Sie haben angesehene Verwandte in der Stadt.“
„Da hätten sie zu den Verwandten ziehen sollen, nicht zu uns. Schad‘, daß es sie nicht
drüben noch erwischt hat.“
„Wenn einer dich so reden hört, bekommt er Angst und glaubt das, was die Leute sagen.“
(...)
„Am liebsten“, sagte Kätha, „möchte ich das Haus verkaufen.“ „Mit meinem Willen wird
es nicht verkauft. „Dein Wille? Dir gehört ja doch kein Ziegel auf dem Dach.
Das hast du deinem Anton zu verdanken, der auch den ganzen Tag im Wald
herumgelaufen ist wie deine Flüchtlinge da oben. Damit du’s aber weißt: ich hab‘ schon
einen Käufer.“



Quellen:
Martha Saalfeld: Werkausgabe Band 1, Die Gedichte. Blieskastell 1998, S. 312, 324.
Martha Saalfeld: Mann im Mond. In: Martha Saalfeld. Werkausgabe in Einzelbänden, Band.4, Drei Romane.
Hrsg.: Berthold Roland. Blieskastell, 2001. S. 333f.
Roland, Berthold: Die Stadt am Kastanienwald. Martha Saalfeld und Werner vom Scheidt in Bad Bergzabern.
Mannheim: Schriftenreihe der Ike und Berthold Roland-Stiftung, 2017. S. 6.

 

Die Dachstubenpoetin