Hörstation 1: Kindheit in Landau
Theaterstrasse 15, Landau in der Pfalz
„Die Judengasse“ von Martha Saalfeld
Romananfang:
„Die Judengasse war für mich die interessanteste Gasse der ganzen Stadt. Sie war etwas breiter, als es sich fü r eine Gasse gehö rt. Auf der einen Seite standen ansehnliche Bürgerhäuser, deren Besitzer ihre Gä rten und Sommerwohnungen vor dem alten Stadttor hatten. Auf der andern Seite hausten die Nachfahren der einstigen Ghettobewohner in niedern, zum Teil winzigen Hä usern. Sie hatten hier ihre Trödel- und Antiquitä tenlä den, die mit zauberhaften Dingen angefüllt waren, mit Maskenkostümen, eingelegten Spieltischen und altem Porzellan. Da war Abrahams uralter Laden, in dem Anzü ge feilgeboten wurden, Hüte, Rucksäcke und knorrige Stöcke. Und da war Ephraim, bei dem man Zinn und Frankenthaler Porzellan bekam und
allerhand zigeunerhaften Schmuck. Weil Abraham kein Schaufenster besaß, hängte er seine Waren einfach auf die Gasse, an die Außenwand seines Hauses. Da kam es dann hä ufig vor, daß irgendein Rü pel sich ein Hütchen auf den Kopf stülpte oder einen Stock ergriff und sich davonmachte, ohne zu bezahlen. Dann war die Gasse von Geschrei und Wehklagen erfüllt, man rannte zur Polizei, aber die Polizei kam nicht herbei.“
Das Haus, vor dem Sie stehen, bildet den Auftakt zum literarischen Hörspaziergang zu Martha Saalfeld, welche hier in diesem Haus in der Theaterstraße im Jahr 1898 geboren wurde.
In Landau gibt es vier weitere literarische Hörstationen. Die Fortsetzung des Hörspaziergangs findet im Anschluss in Bad Bergzabern statt.
Die heutige Theaterstraße, die früher „Große Judengasse“ hieß, bildet mit Gebäuden aus dem 14. Jahrhundert die älteste Straße Landaus.
Im Mittelalter lebte in dieser Gasse vorwiegend die jüdische Bevölkerung. Die Straße bildete allerdings kein isoliertes Ghetto, denn auf der Nordseite siedelte sich vorwiegend christliche Bevölkerung an, während die jüdische Nachbarschaft sich auf der Südseite niederließ. Bis heute prägen vorwiegend Kleingewerbetreibende und Kleiderhändler den Charakter der Theaterstraße, was sich auch in der Bebauung widerspiegelt.
Im Mai 1893 wurde auf Initiative der Anwohner die Straße in Theaterstraße umbenannt – man empfand den vorherigen Straßennamen zunehmend als diskriminierend. Bereits zuvor hatte man sich vom Namen „Kleine Judengasse“ getrennt, der heutigen Kugelgartenstraße.
Martha Saalfeld, mit vollem Namen Amalia Marie Martha Saalfeld, wurde am 15. Januar 1898 in Landau hier in der Theaterstraße als erstes Kind von Ernst Saalfeld, einem Eisenwarenhändler, und seiner Ehefrau Emma geboren. Zwei Jahre später, im Jahr 1900, kam ihr Bruder Ernst zur Welt. Im Jahr 1905 kamen die siebenjährige Martha und ihr kleiner Bruder zu ihrer Großmutter in die Untertorstr. 10 (heute Neustädter Str. 10), weil ihre Mutter ernstlich erkrankt war und sich nicht mehr um die Kinder kümmern konnte. Martha bekam früh zu hören: „Gib acht auf das Brüderchen“ und „Schau nach der Großmutter!“
Über den Umzug zu ihrer Großmutter berichtet Martha Saalfeld wie folgt: „Ich wuchs auf bei einer alten Frau, meiner Großmutter, der man mich zur Gesellschaft gegeben hatte, wie man einen Wellensittich, ein Kätzchen oder einen jungen Hund in gute Hände gibt. Man erwartete von mir, dass ich die alte Frau erheitere und womö glich beschü tze. Ich zählte erst sieben Jahre, doch bezog ich meinen Posten nicht ohne Selbstvertrauen.“
In ihrem vorletzten Roman mit dem Titel „Die Judengasse“ spielt Antisemitismus eine große Rolle. Hier thematisiert Martha Saalfeld den Judenhass, der in der Zeit vor dem Dritten Reich weit verbreitet war. Auch Martha Saalfeld erlebte unter den Nationalsozialisten
Diskriminierung. So wurde ihr der Schriftstellerausweis entzogen und sie erhielt damit ein Schreibverbot.
Martha Saalfeld und ihr Ehemann, die Freundschaften zu jüdischen Familien pflegten, mussten die Nazi-Jahre und den Krieg zurückgezogen, im Verborgenen, in der Inneren Emigration, verbringen und auf ihre Zeit nach dem Krieg warten. Für Dr. Berthold Roland gehört Martha Saalfeld deshalb auch zu den „Un-zeitgemäßen", da sie ihre besten Jahre als Schriftstellerin durch den Krieg verlor. Hören Sie nun noch einen kurzen Auszug aus „Die Judengasse”, der zur damaligen Zeit vorherrschende antisemitische Klischees aufgreift:
„Weißt du, was die da drüben sagen? Die Juden seien alle krank, die Trödelbuden seien Seuchenherde, und die Behörden sollten sich drum kümmern. Man sollte einmal räuchern -. Merkst du was? Sie möchten uns aus ‚sanitären Gründen‘ wieder mal verbrennen, weil doch am Judentum das deutsche Wesen krankt.“
Station 2 des literarischen Hörspaziergangs befindet sich nur wenige Gehminuten von hier am Hofeingangstor des Max-Slevogt-Gymnasiums, der ehemaligen Höheren Mädchenschule, welche Martha-Saalfeld sechs Jahre lang besuchte.
Quellen:
Die Stadt am Kastanienwald. Martha Saalfeld und Werner vom Scheidt in Bad Bergzabern 1948-1984. Ike und
Berthold Roland-Stiftung. Mannheim.
Martha Saalfeld. Die Judengasse. Verlag Kurt Desch. München/ Wien/ Basel, 1965. S.7 und S. 61.
Martha Saalfeld. Werkausgabe Band 1. Die Gedichte. Blieskastell, 1998. S. 219.
Dieses Projekt wurde als Abschlussarbeit im Rahmen des Zertifikatsstudiengangs „Darstellendes Spiel“ an der RPTU (Campus Landau) im Sommersemester 2024 geplant und umgesetzt von Stephanie Kühn und Annemarie Dewald.
Unser herzlicher Dank geht an alle Betreuer*innen und Unterstützer*innen unseres Projekts:
Dr. Niklas Füllner
Franziska Lapidakis
Dr. Annette Kliewer
Renate Becker
Dr. Markus Moser
Erika und Dr. Berthold Moser
Ganz herzlich danken wir den fünf Schülerinnen der 10. Klasse des Gymnasiums Alfred- Grosser-Schulzentrum in Bad Bergzabern, die unsere Texte eingesprochen haben:
Luisa Anzilutti
Alia Völckl
Esther Hofmann
Jennifer Grütering
Victoria Stöffler
Das Projekt wurde von der Martha-Saalfeld-Forschungsstelle unter der Leitung von Prof. Anja Ohmer gefördert und betreut.

