Station 8: Werner und Martha
Eine Liebesgeschichte
Kastanien
Der zarte Himmel rauscht von dunklem Laub,
Es brausen tausend Fächer so als sei
Des Gottes Stirn zu kühlen. (Vogelschrei
Verrät ihn und die Stachelfrucht im Staub.)
Die süße Frucht – entfiel sie nicht dem Kranz
Des Hingeneigten? Ach, das Pelzgesicht
Des Widersachers wächst und drängt ans Licht.
Es brennt das Auge, flammt der Eichhornschwanz.
Die Mäuse pfeifen. Winzige Musik
Quillt aus der Tiefe und ein Funke blitzt.
Die Stachelhaut mit scharfem Nagel schlitzt
Das Lichte – doch im Mehl erstickt sein Blick.
Das Gedicht „Kastanien” ist fast schon eine Liebeserklärung an die heimische Vegetation, die geprägt ist von der „sanften Linie” der Wingerte, aber eben auch von den Kastanienwäldern. Die Themen „Beziehung” und „Liebe” spielen an dieser 8. und vorletzten Station des literarischen Hörspaziergangs zu Martha Saalfeld eine zentrale Rolle. Der Ort der Station, das ehemalige „Gasthaus zum Engel“, ist ein Ort des Erinnerns an das
Künstler-Ehepaar Werner vom Scheidt und Martha Saalfeld, denn im zweiten Stockwerk befindet sich eine Dauerausstellung mit Werner vom Scheidts Kunstwerken, gemeinsamen Möbelstücken und Auszügen aus Martha Saalfelds literarischem Werk.
Die Beziehung des Künstler-Ehepaars, welche in Heidelberg begann, war eine leidenschaftliche Liebesgeschichte. Werner vom Scheidt beschreibt deren Anfänge und die standesamtliche Hochzeit wie folgt mit persönlichen Worten: „Und wurden zum Überfluß nicht auch die heimischen Klatschtanten laut? Kann man sieben Jahre verlobt sein, ohne in wilder Ehe zu leben? Unsere Ohren wurden plötzlich sogar für Mückensummen empfindlich. Und so kam es folgerichtig zur Hochzeit in Handschuhsheim. Das fing so an: Wer sagt wem von unserer Absicht zu heiraten? In Handschuhsheim war ja der familiäre Zusammenhang zur Zeit gelockert, - aber der Aushang am Kästchen deswegen leichter. Wir taten darum, um auf unserer Lebensbahn einen Schritt weiter zu kommen, erst einmal den leichteren Schritt. Unsere Namen hingen die vorgeschriebene Zeit im Kästchen des Standesamts. Irgendwer hatte, freundlich gesinnt, sogar ein Sträußchen daran geheftet, aber immer ahnte mein Schwiegervater noch nichts. Und jetzt mußte ich am letzten Abend das Geständnis ablegen: „Wir fahren morgen früh nach Handschuhsheim um zu heiraten!” Der freundliche Mann bekam einen beängstigend roten Kopf. Warum ich das nicht früher gesagt habe? Schließlich müsse er doch wissen, wieviel Geld frei zu machen sei. Meine Antwort, in den sieben Jahren habe er doch merken können, ob ich sein Geld oder seine Tochter heiraten wolle, minderte die Röte kaum.
So fuhren wir in der Frühe des 24. Januar 1928 mit Ernstl, dem Schwager, als Trauzeugen nach dem zuständigen Standesamt. Für die Jahreszeit etwas zu leicht bekleidet: ich ohne Hut in einem grünlich gegürteten Regenmantel und mit schönen Wildlederhandschuhen, Martha mit einem kleinen Nerzpelzchen am ebenfalls sonst unwinterlichen Mantel, der das von der Kälte gerötete Brustbein nicht verbarg. Auch der Trauzeuge Ernst sah keineswegs St. Nikolaus ähnlich. Selbdritt umgingen wir mein elterliches Haus und baten einen bekannten Beamten des Standesamtes den fehlenden zweiten Zeugen zu ersetzen.”
Mit diesem Einblick in das Privatleben des Paares endet Station 8.
Die letzte und 9. Station des literarischen Hörspaziergangs befindet sich am Eingang des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum.
Quelle:
Martha Saalfeld: Werkausgabe Band 1, Die Gedichte. Blieskastell 1998, S. 175, 244f.

