[Translate to English:] Fraktional quantisiertes Thouless-Pumpen von Solitonen nachgewiesen: Verborgenen Eigenschaften von Festkörpern auf der Spur

[Translate to English:] Christina Jörg und Marius Jürgensen. Fotos: privat
[Translate to English:] Solitonen werden bei entsprechender Wechselwirkungsstärke um fraktionale Gitterkonstanten a weitergepumpt. Die mittlere Versetzung <x> ist dabei abhängig von gP/Jmax, der Wechselwirkungsstärke. Copyright © 2023, The Author(s), under exclusive licence to Springer Nature Limited.

Mechanismen zu entschlüsseln und zu nutzen, die den Zustand von Materie beeinflussen, ist vielfach Auslöser für wissenschaftlichen Fortschritt. Juniorprofessorin Christina Jörg, die an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) forscht, beschäftigt sich mit Wechselwirkungsprozessen, die derartigen Phänomenen zugrunde liegt. In einer Forschungsarbeit hat sie zusammen mit ihren Kollegen der Pennsylvania State University und des Indian Institute of Science erstmals fraktionales Thouless-Pumpen von Solitonen (formstabilen Lichtwellenpaketen) experimentell nachgewiesen. Die Studie wurde kürzlich im renommierten Magazin Nature Physik veröffentlicht.

Eindimensionale Thouless-Pumpen fungieren als Modelle für den zweidimensionalen Quanten-Hall-Effekt. Dieser entsteht, wenn sich Elektronen bei tiefen Temperaturen und einem starken Magnetfeld nur noch in zwei Raumrichtungen bewegen können. Unter diesen Umständen steigt die senkrecht zu einem fließenden Strom auftretende Spannung nicht kontinuierlich mit dem Magnetfeld an, sondern wächst stufenweise. Für die Entdeckung dieses außergewöhnlichen Zustands erhielt Klaus von Klitzing 1985 den Physiknobelpreis. Der zugehörige Hall-Widerstand, das Verhältnis aus Hall-Spannung und Strom, ist dabei quantisiert; er wird bestimmt durch eine ganzzahlige topologische Konstante (Chern-Zahl). Mittels Thouless-Pumpen (benannt nach David J. Thouless, einem weiteren Physiknobelpreisträger) wird dieser Effekt greifbar: Ladung wird in einem Zeit-periodisch modulierten Gitter während einer Periode um eine konstante (ganze) Zahl von Gitterplätzen weitergepumpt. Analog zum Quanten-Hall Effekt, wird diese Konstante durch die Chern-Zahl beschrieben. Betrachtet man die Zeit als „künstliche“ Dimension, erhält man das zweidimensionales Quanten-Hall-System zurück.

Weiterführende Forschungsarbeiten zeigten, dass bei erhöhten Magnetfeldern nicht nur Phasen auftreten, die durch eine ganzzahlige Konstante bestimmt sind. Ebenso können Konstanten, die Bruchteilen von ganzen Zahlen entsprechen, derartige Phasen beschreiben. Ursächlich für diesen sogenannten fraktionalen Quanten-Hall-Effekt sind die Wechselwirkungen zwischen Elektronen.

Genau hier hat die Studie von Erstautor Marius Jürgensen angesetzt, die in Zusammenarbeit mit Sebabrata Mukherjee und Christina Jörg während ihres Post-Doc-Forschungsaufenthaltes in der Arbeitsgruppe von Prof. Mikael C. Rechtsman an der Pennsylvania State University entstanden ist. Das Team hat ein mittels Photonen bzw. Lichtteilchen betriebenes Modellsystem geschaffen, um Wechselwirkungen in Quanten-Hall-Systemen besser zu verstehen. Das System basiert auf gekoppelten Lichtwellenleitern, ähnlich zu Glasfasern. „Lichtteilchen in Lichtwellen verhalten sich grundsätzlich anders als Elektronen in einem Festkörper“, so Jun.-Prof. Dr. Christina Jörg, die an der RPTU die AG „Topologie in 3D photonischen Quantensimulatoren“ leitet. „Sie fliegen durcheinander durch und stoßen nicht miteinander.“ Daher haben die Forschenden einen Trick angewendet, um die Photonen miteinander in Wechselwirkung zu bringen: Sie nutzten die intensitätsabhängige Änderung des Brechungsindexes des Materials, Glas, das sie für die Experimente verwendeten. „Der Brechungsindex wird größer, je mehr Licht wir über einen gepulsten Laser ins System bringen“, so die Physikerin. „Dadurch entsteht eine Wechselwirkung. Weil sich die Fokussierung durch den erhöhten Brechungsindex und die Kopplung zu den Nachbar-Wellenleitern die Waage halten, bildet sich ein formstabiles Wellenpaket, ein sogenanntes Soliton. In Thouless-Pumpen haben sich die Solitonen ebenso wie die Lichtwellen im nicht-wechselwirkenden Fall jeweils um eine ganze Gitterkonstante, vorgegeben von der Chern-Zahl, weiterbewegt.“

„Dass Solitonen nach diesem Verfahren gepumpt werden, hatten wir bereits 2021 gezeigt“, sagt Marius Jürgensen, Erstautor der Studie und Doktorand an der Pennsylvania State University. „In der gemeinsamen Forschungsarbeit haben wir zusätzlich beobachtet, dass Solitonen auch fraktional wandern können. Bei höherer Lichtleistung bewegen sich die Solitonen nur die halbe Distanz. So konnten wir letztlich je nach Stärke des Lichtfelds das Pumpen um verschiedene Bruchzahlen zeigen.“

Zusammenfassend ist es dem Team gelungen, das fraktionale Thouless-Pumpen von Solitonen erstmals experimentell nachzuweisen. Zudem haben die Forschenden ein Modellsystem geschaffen, das faszinierende Einblicke in das Zusammenspiel zwischen wechselwirkenden Teilchen und der Physik des Quanten-Hall-Systems ermöglicht. „Die genaue Beziehung zwischen den Bruchzahlen und der nötigen Wechselwirkungsstärke werden wir in Folgestudien erforschen. Wir möchten gerne verstehen, ob es eine direkte Verbindung zum fraktionalen Quanten-Hall-Effekt gibt.“

Die Studie ist einsehbar unter: https://www.nature.com/articles/s41567-022-01871-x

 

Pressekontakt:

Jun.-Prof. Dr. Christina Jörg
RPTU, AG Optische Technologien und Photonik
E-Mail: cjoerg[at]rptu.de
Telefon: 0631 205-4400

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