Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden: Nachwuchsgruppe entwickelt Modelle für industrielle Produktion

Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek forscht zu Maschinellem Lernen in der Verfahrenstechnik . Foto: RPTU/Koziel
Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek forscht zu Maschinellem Lernen in der Verfahrenstechnik. Foto: RPTU/Koziel
Das Team um Jirasek wird hybride Modelle entwickeln, die Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden. Foto: RPTU/Koziel
Das Team um Jirasek wird hybride Modelle entwickeln, die Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden. Foto: RPTU/Koziel

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die neue Emmy-Noether Nachwuchsgruppe „Hybride Thermodynamische Modelle“ an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) für sechs Jahre mit rund zwei Millionen Euro. Geleitet wird sie von Carl-Zeiss-Stiftungs-Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek. Die Gruppe entwickelt thermodynamische Modelle, um Stoffeigenschaften von Mischungen vorherzusagen. Das ist etwa für die chemische Industrie wichtig, um Prozesse zu optimieren, aber auch, um neue Produktionsverfahren zu etablieren, die auf nachwachsende statt auf fossile Rohstoffe setzen.

Bei der Produktion von Chemikalien und Medikamenten, aber auch bei der Entwicklung neuer Batterien, die zum Beispiel in E-Autos Verwendung finden sollen, treten stets Mischungen auf. Dabei ist es wichtig, zu wissen, wie sich die Stoffe in diesen Mischungen verhalten. „Die Kenntnis der Stoffeigenschaften ist von zentraler Bedeutung für im Grunde alle verfahrenstechnischen Prozesse, von der Reaktion bis zur Aufreinigung der Zielprodukte“, sagt Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek, der an der RPTU in Kaiserslautern zum Maschinellen Lernen in der Verfahrenstechnik forscht. „Sie sind die Grundlage für das Design und die Optimierung von effizienten Verfahren.“

Dabei geht es unter anderem um Fragen wie: Wie groß ist die Löslichkeit einer Substanz in einem bestimmten Lösungsmittel bei einer bestimmten Temperatur? Bei welcher Temperatur siedet ein bestimmtes Gemisch aus zwei oder mehreren Substanzen? Aber auch der Umgang mit nachwachsenden Rohstoffen spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Jirasek: „Wir müssen dringend neue und energieeffiziente Prozesse entwickeln, die ohne fossile Rohstoffe auskommen. Das geht nicht ohne Informationen über die relevanten Stoffeigenschaften.“

In Laborexperimenten alle denkbaren Kombinationen von Substanzen sowie den Einfluss von Parametern wie Temperatur und Druck zu untersuchen, ist aufgrund der Fülle an Möglichkeiten nicht realisierbar. „Daher setzen wir auf unsere Modelle, um auch die Stoffeigenschaften von nicht vermessenen Substanzen und Mischungen und/oder bei nicht vermessenen Zuständen vorherzusagen“, erläutert Jirasek.

In der Thermodynamik spielen solche Modelle schon lange eine zentrale Rolle. Durch Verfahren des Maschinellen Lernens (ML), einem Teilbereich der Künstlichen Intelligenz, hat die Forschung heute aber ganz neue Möglichkeiten. „ML-Techniken werden die thermodynamische Modellierung revolutionieren“, ist sich Jirasek sicher.

ML-Methoden benötigen in der Regel große Datensätze, anhand welcher sie Strukturen und Muster erlernen und diese wiederum für Vorhersagen verwenden. „Im Gegensatz zu anderen Bereichen, wie etwa bei der Bildersuche im Web, sind die Datensätze in der Thermodynamik aber verhältnismäßig klein“, sagt Jirasek. „Auf der anderen Seite verfügt die Thermodynamik aber über einen großen Schatz an physikalischem Wissen, physikalischen Theorien und nicht zuletzt an bereits entwickelten physikalischen Modellen, die wir bei unserer Arbeit ebenfalls berücksichtigen werden.“

Mit der DFG-Förderung will das Team um Jirasek daher hybride Modelle entwickeln, die Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden. „Wir gehen davon aus, dass die Verfahren des Maschinellen Lernens auf diese Weise deutlich weniger Daten benötigen“, fährt er fort. „Zudem kann damit Vertrauen und Akzeptanz für die neuartigen Modelle geschaffen werden, wenn diese beziehungsweise deren Vorhersagen bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten genügen."

Im Rahmen der Emmy Noether-Gruppe werden der Juniorprofessor und sein Team sich auf drei verschiedenen Wegen mit der Entwicklung hybrider thermodynamischer Modelle auseinandersetzen: Zum einen kombinieren sie etablierte physikalische Modelle und Methoden des Maschinellen Lernens, wie der Ingenieur erläutert: „Dabei erhalten wir das Rahmenwerk des physikalischen Modells und verwenden ML-Verfahren, um die Parameter des physikalischen Modells zu beschreiben. Damit können wir die Anwendbarkeit der physikalischen Modelle deutlich vergrößern. Aufgrund der dünnen Datenlage fehlen nämlich häufig sehr viele Parameter, beispielsweise für bestimmte Stoffe oder Mischungen.“

In einem zweiten Ansatz werden sie künstliche neuronale Netzwerke entwickeln und trainieren. „Das Neue dabei ist, dass wir in die Architektur der Netzwerke explizites Wissen über physikalische Zusammenhänge integrieren, sodass ihre Vorhersagen beispielsweise physikalischen Randbedingungen oder Konsistenzkriterien genügen“, so Jirasek weiter.

Darüber hinaus wird sich die Nachwuchsgruppe damit befassen, Stoffdaten im Labor zu messen. „Auch für die hybriden Modelle gilt: Die Qualität steht und fällt mit der Verfügbarkeit geeigneter Trainingsdaten“, so der Forscher. „Diese wollen wir zielgerichtet sammeln, indem wir die Versuche entsprechend planen. Dafür müssen wir aber zunächst geeignete Strategien entwickeln.“ Gemessen werden sollen beispielsweise sogenannte Diffusionskoeffizienten oder Dampf-Flüssigkeits-Gleichgewichte.

Interessant könnten die Arbeiten der Kaiserslauterer Gruppe in Zukunft für die industrielle Praxis sein, um Verfahren der chemischen, pharmazeutischen oder biotechnologischen Industrie zu optimieren. „Gerade der Einbezug physikalischen Wissens wird der Etablierung des Maschinellen Lernens in der Industrie noch einmal einen Schub geben“, ist sich Jirasek sicher.

Das Emmy Noether-Programm der DFG richtet sich an herausragend qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Sie haben die Möglichkeit, sich durch die eigenverantwortliche Leitung einer Nachwuchsgruppe für eine Professur zu qualifizieren.
Fabian Jirasek hat Bioingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie studiert und in Kaiserslautern in der Thermodynamik promoviert. Anschließend forschte er an der University of California in Irvine, bevor er an die TU München wechselte. Seit Herbst 2020 hat er an der RPTU in Kaiserslautern (ehemals TU Kaiserslautern) die Juniorprofessur für Maschinelles Lernen in der Verfahrenstechnik inne, die von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert wird.

Fragen beantwortet:
Juniorprofessor Dr.-Ing. Fabian Jirasek
Maschinelles Lernen in der Verfahrenstechnik
RPTU in Kaiserslautern
Tel.: 0631 205-4685
E-Mail: fabian.jirasek[at]rptu.de

Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek forscht zu Maschinellem Lernen in der Verfahrenstechnik . Foto: RPTU/Koziel
Juniorprofessor Dr. Fabian Jirasek forscht zu Maschinellem Lernen in der Verfahrenstechnik. Foto: RPTU/Koziel
Das Team um Jirasek wird hybride Modelle entwickeln, die Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden. Foto: RPTU/Koziel
Das Team um Jirasek wird hybride Modelle entwickeln, die Maschinelles Lernen und physikalisches Wissen verbinden. Foto: RPTU/Koziel

Über die RPTU

Seit 1. Januar 2023 bilden die Technische Universität Kaiserslautern und die Universität in Landau zusammen die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. Mit rund 19.000 Studierenden und mehr als 300 Professorinnen und Professoren ist die RPTU die zweitgrößte akademische Einrichtung des Landes. Als Ort internationaler Spitzenforschung und akademische Talentschmiede der Wirtschaft und Wissenschaft bietet die RPTU exzellente Studien- und Forschungsbedingungen sowie ein weltoffenes Umfeld. Die RPTU ist zudem Innovations- und Transferpartner für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wer an der RPTU studiert, lernt, forscht oder arbeitet, ist Teil einer lebendigen Universitätsgemeinschaft und gestaltet die Welt von morgen.

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