Rätseln der Biologie auf der Spur: Wie skaliert die Proteinproduktion in Zellen mit mehr als zwei Chromosomensätzen?
Pressemeldung 145/2022. Die meisten Zellen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Pilzen enthalten zwei Chromosomensätze mit spezifischen Chromosomenzahlen; beim Menschen etwa sind es zwei Sätze von 23 Chromosomen als Träger der Erbinformation. Doch kommen in der Natur auch häufig polyploide Zellen mit mehr als zwei Chromosomensätzen vor. Die Polyploidie trägt zur Evolution, zur funktionellen Spezialisierung oder zum Entstehen von Krankheiten bei. Ein Forscherteam unter Leitung von Professor Dr. Zuzana Storchova an der TU Kaiserslautern (TUK) hat untersucht, ob mit der Anzahl der Chromosomensätze auch der Proteingehalt linear ansteigt. Die Ergebnisse der Studie hat das Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Mit der Anzahl der Chromosomensätze nimmt auch das Zellvolumen zu. Daher macht sich beispielsweise die Landwirtschaft die Polyploidie als Strategie zunutze, um größere Pflanzen und damit größere Früchte bzw. Erträge zu erhalten. Darüber hinaus spielt die Polyploidie eine wichtige Rolle bei der Differenzierung multizellulärer Organismen, wo sie entwicklungsmäßig streng kontrolliert abläuft oder als Reaktion auf Stressbedingungen in spezialisierten Organen und Geweben entsteht. Polyploidie kann auch durch einen Fehler entstehen. Ungeplante Polyploidie ist bei der Tumorentstehung weit verbreitet. Bei schätzungsweise 37 % aller Krebserkrankungen des Menschen kam es im Verlauf zur Verdopplung der gesamten Erbinformation. „Generell gilt die Polyploidie als eine treibende Kraft in der Evolution und der Tumorentstehung. Jedoch wissen wir noch nicht viel darüber, wie der Zellstoffwechsel damit korreliert“, fasst Storchova die Ausgangslage zusammen.
Um die Auswirkungen von Polyploidie besser zu verstehen, hat die Biologin mit ihrem Team Hefen als Modellorganismus genutzt, bei denen dieser Zustand relativ stabil ist. Im Blick hatten sie dabei das Proteom, also die Gesamtheit der in einer Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt enthaltenen Proteine, das für das Funktionieren einer Zelle wichtig ist. Den Bauplan für die Proteine liefert die auf den Chromosomen lokalisierte Erbinformation. Die Forschenden erzeugten Hefestämme, die in der Anzahl der Chromosomensätze in den Zellen variierten – vom einfachen bis zum vierfachen Chromosomensatz. Per Flüssigchromatographie-Tandem-Massenspektrometrie haben sie die Zusammensetzung des Proteoms quantitativ ermittelt und die Daten der verschiedenen Hefestämme verglichen. Die entscheidende Frage lautete: Enthalten Zellen mit vierfachen Chromosomensatz auch die vierfache Menge an Proteinen?
„Wir haben festgestellt, dass Zahl der Chromosomensätze und Proteom nicht linear skalieren. Die Zellen mit vierfachem Chromosomensatz enthielten nur die dreifache Menge an Proteinen“, erklärt Dr. Galal Yahya, Erstautor der Studierende und ehemaliger Mitarbeiter in Storchovas Arbeitsgruppe. Der Koeffizient (0,75), der beide tatsächlich miteinander in Beziehung bringt, ist in der Biologie bereits bekannt und bezeichnet die allometrische Skalierungsbeziehung zwischen Stoffwechselrate und Körpermasse. Er umschreibt das physikalische Limit des Lebens. So steigt etwa die Stoffwechselaktivität nicht unendlich je größer der Organismus wird bzw. skaliert nicht linear mit der Größe eines Organismus.
„Im zweiten Schritt haben wir versucht zu verstehen, wie die Zellen mit erhöhtem Chromosomensatz die Proteinsynthese regulieren“, sagt Yahya, der mit einem Georg-Forster-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die TUK gekommen ist. „Wir konnten letztlich beobachten, dass die zytoplasmatische Translation und die Ribosomenbiogenesen mit zunehmender Ploidie reduziert waren. Diese Prozesse spielen eine entscheidende Rolle beim Übersetzen der Erbinformation und dem Zusammenbau der Proteine aus einzelnen Aminosäuren.“ Verantwortlich für das Herunterfahren der Proteinbiosynthese ist die sogenannte TOR-Kinase, die in allen eukaryotischen Organismen vorkommt und als Stoffwechselregulator gilt. Sie reagiert etwa auf umweltbedingten Stress. „Wir haben festgestellt: Je höher die Ploidie, desto weniger aktiv ist die TOR-Kinase“, erklärt Yahya. „Diese Abweichung führt auch dazu, dass der Zustand der Polyploidie weniger stabil ist.“
Zuletzt hat das Forscherteam untersucht, ob die in Hefestämmen gemachten Beobachtungen auch für menschliche Zelllinien zutreffen. „Wir haben tatsächlich vergleichbare Ergebnisse erhalten. Diese Studie war jedoch noch nicht umfassend genug, um alle Details zu klären. Hier sehen wir Potenzial für weitere Forschungsarbeiten“, so Storchova abschließend.
Hinweise zur Original-Publikation:
Galal Yahya et. Al. „Sublinear scaling of the cellular proteome with ploidy“
DOI: 10.1038/s41467-022-33904-7.
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Zuzana Storchova
Molecular Genetics
TU Kaiserslautern
Tel.: +49 (0)631 205-3250
E-Mail: storchova@bio.uni-kl.de
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