Landauer Poetik Dozentur Sommersemester 2021
"Politisches Theater" mit Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura
Die Landauer Poetik Dozentur der Universität Koblenz-Landau geht im Sommersemester an das Theaterduo Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura. In Kooperation mit dem Staatstheater Mainz verleiht das Zentrum für Kultur- und Wissensdialog die Auszeichnung an die beiden Kulturschaffenden, die neue Maßstäbe im Dokumentartheater gesetzt haben.
2000 Seiten Lektüre gehören für Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura zur Standard-Vorbereitung. Wenn die beiden Künstler ein neues Theaterprojekt angehen, wühlen sie sich erst einmal durch Berge von Archivmaterial. „Ein halbes bis zu einem Jahr Lebenszeit geht locker drauf für eine Produktion“, erzählt Hans-Werner Kroesinger. Die kleine Corona-konforme Gruppe von Studierenden des Studiengangs Darstellendes Spiel des ZKW hört gespannt im großen, gut gelüfteten Audimax der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, zu. Als angehende Lehrer*innen werden sie das künstlerische Fach an Schulen unterrichten. Sofort meldet sich einer von ihnen zu Wort: „So viel Zeit sieht der Lehrplan für ein Theaterprojekt nicht vor, gerade mal zwei Stunden Unterricht sind pro Woche üblich.“ Kroesinger macht Mut, „man darf nicht an ein Dokumentartheaterstück mit der Vorgabe herangehen, einen gefälligen Theaterabend zu realisieren – wenn es fragmentarisch bleibt, ist das auch ok.“
Überhaupt, mit einem „gefälligen“ Theaterabend haben Regine Duras und Hans-Werner Kroesingers Produktionen wenig zu tun. Das Theaterduo macht Dokumentartheater, das die Bühne als „Analyse-Instrument“ versteht. Ihr Theaterschaffen ist politisch und gesellschaftskritisch. Seit über 20 Jahren legen sie die Gewaltgeschichten der Gesellschaft offen, sie mischen sich ein, decken auf, provozieren und regen so Diskussionen an. „Wir sind sehr stolz, dass wir die Poetik Dozentur im Sommersemester 2021 trotz der Pandemie an zwei solche Ausnahmekünstler verleihen dürfen“, sagt die Leiterin des ZKW Prof. Dr. Anja Ohmer.
Ohne zu werten, beleuchten sie das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln und Texten, die sich gegenseitig kommentieren. Sie durchleuchten Krisen von heute, die die Zukunft beeinflussen werden oder beschäftigen sich mit Konflikten der Vergangenheit, die in der Gegenwart Wunden hinterlassen. Passend hierzu arbeiten Kroesinger und Dura gerade im Auftrag des Staatstheater Mainz den Mythos rund um dem Westwall auf. Das ca. 630 km lange militärische Verteidigungssystem, das in den Jahren 1936 bis 1940 errichtet wurde und die Westgrenze des damaligen Deutschen Reiches sichern sollte, „ist eine Narbe in der Landschaft, die die Nazis hinterlassen haben“, erklärt Kroesinger. Gerade arbeiten sie sich mit viel Beharrlichkeit und Geduld durch das schmutzige Gedankengut von NS-Texten, die den Westwall oder wie die Nazis ihn nannten die „Siegfried-Linie“, zu einem mächtigen Bollwerk gegenüber allem Fremden erklärten.
Weder den beiden Theatermacher*innen noch den Schauspieler*innen fällt diese Arbeit leicht. „Es braucht viel Sitzfleisch“, sagt Kroesinger und „die Texte zermartern einem das Hirn“, ergänzt Dura. Neben dem Sichten von schier überwältigendem Archivmaterial, das sie gemeinsam in den Proben mit den Schauspieler*innen des Staatstheaters lesen, führen die beiden auch viele Interviews mit Zeitzeugen. Die Studierenden zeigen sich beeindruckt und gleichzeitig besorgt. Als angehende Lehrer*innen lernen sie früh ihre mentale Gesundheit zu stärken und zu schützen. Dazu steht das exzessive Lesen und Ordnen von menschenverachtenden Zeugnissen der Nazis im krassen Gegensatz. Kroesinger antwortet pragmatisch: „Irgendeiner muss es ja tun.“
Am 12. Juni hat das Recherchieren und Proben ein Ende. Der Vorhang des Staatstheater Mainz soll sich, sofern es die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zulassen, zur Premiere des Stücks „Westwall“ endlich wieder öffnen. Dann, so erklärt das Theaterduo den Studierenden, „sollen die Worte zum Tanzen gebracht werden – aus bloßen Akten wird Poesie.“ Genau das macht für die beiden die Faszination und die große Chance des Dokumentartheaters aus. Das Stück soll irritieren, konfrontieren und somit Fragen stellen. Die Studierenden des Studiengangs Darstellendes Spiel des ZKW nehmen die Herausforderung im Rahmen der Landauer Poetik Dozentur der Universität Koblenz-Landau gerne an. Die Sitzplätze sind schon gesichert.