Geplante Pestizidverordnung der EU – Konkrete Flächenberechnungen für eine faktenbasierte Diskussion

Weinbau und Herbizidausbringung im Naturschutzgebiet in Rheinland-Pfalz. Foto: RPTU/Carsten Brühl
Weinbau und Herbizidausbringung im Naturschutzgebiet in Rheinland-Pfalz. Foto: RPTU/Carsten Brühl

 -Gemeinsame Pressemitteilung von Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) e. V. und Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)-

Mit einer neuen Verordnung möchte die EU-Kommission die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft neu regeln. Der Entwurf sieht unter anderem ein Pestizidverbot für Agrarflächen vor, die in Schutzgebieten liegen. Genaue Zahlen, auf wie viel Fläche dies in Deutschland zutreffen würde, fehlen bisher. Das erschwert eine sachliche Diskussion. Lisa Eichler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und Dr. Carsten Brühl von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) haben die Flächenanteile, um die es geht, für ganz Deutschland und die Bundesländer errechnet.

Im Juni 2022 hat die Europäische Kommission den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation/SUR) veröffentlicht. Die geplante Verordnung soll dazu beitragen, die Ziele der „Farm-to-Fork“-/„Vom-Hof-auf-den-Tisch“-Strategie der EU-Kommission zu erreichen: Das europäische Ernährungssystem soll fair, gesund und umweltfreundlich gestaltet werden. Dazu gehört auch, weniger Pflanzenschutzmittel auszubringen. Die geplante Verordnung zielt daher zum einen darauf ab, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Außerdem ist ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in so genannten sensiblen Gebieten vorgesehen. Es soll helfen, das Risiko von Umweltschäden in empfindlichen Ökosystemen zu vermindern und die biologische Vielfalt zu erhalten. Zu den Schutzgebieten, für die ein Pestizidverbot vorgesehen ist, zählen Wasserschutzgebiete, Natur-, Vogel-, Flora-Fauna-Habitat- und Landschaftsschutzgebiete sowie Nationalparks, die besonders schützenswerte Lebensräume und Arten beherbergen.

Konkrete Zahlen – Wie viele Flächen beträfe ein Pestizidverbot?

Das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in diesen Schutzgebieten bezieht sich auch auf Agrarflächen, die in diesen Arealen liegen. Das hat in den vergangenen Monaten bereits zu hitzigen Debatten geführt. Doch auf wie viele Flächen träfe das Verbot in Deutschland überhaupt zu? Konkrete Zahlen dazu gibt es bisher nicht. Da diese aber wichtig wären, um die Diskussion zur geplanten EU-Verordnung zu versachlichen, haben Lisa Eichler vom IÖR und Dr. Carsten Brühl von der RPTU Berechnungen dazu vorgenommen und stellen die Zahlen allen Interessierten zur Verfügung. (Detaillierte Ergebnisse siehe Hintergrundmaterial)

Werden für die Berechnung alle Flächen berücksichtigt, welche die geplante Verordnung aktuell als ökologisch sensible Gebiete definiert, dann würde das Pestizidverbot in Deutschland für insgesamt 38.018 km² Ackerfläche und 696 km² Obst- und Weinbauflächen gelten. Das entspricht 31 % der Gesamtackerfläche bzw. 36 % der gesamten Obst- und Weinbauflächen von Deutschland. Der größere Teil dieser Agrarflächen liegt in Landschaftsschutzgebieten (LSG), nämlich 19 % der deutschen Ackerflächen und 25 % der Obst- und Weinbauflächen.

Auch in einigen Bundesländern mit großen Agrarflächen liegen diese überdurchschnittlich oft in Landschaftsschutzgebieten: bei den Ackerflächen 39 % in Nordrhein-Westfalen, 28 % in Brandenburg und 26 % in Sachsen. In Rheinland-Pfalz trifft dies auf 29 % der 809 km² großen Obst- und Weinbaufläche zu. Vergleichsweise hohe Anteile der Agrarflächen liegen zum Teil aber auch in Trinkwasserschutzgebieten: Im Bundesdurchschnitt gilt dies für 10 % der Ackerflächen. Bei den Bundesländern trifft dies vor allem auf Ackerflächen in Baden-Württemberg (32 %), Hessen (28 %) und Mecklenburg-Vorpommern (17 %) zu.

Szenario: Kein Pestizidverbot in Landschaftsschutzgebieten

„In den bisherigen Diskussionen wurde häufig infrage gestellt, ob das Pestizidverbot wirklich für alle Schutzgebietskategorien gleichermaßen gelten soll. Es gab Überlegungen, zum Beispiel die Landschaftsschutzgebiete von den strengen Regelungen auszunehmen. Wir haben auch dieses Szenario berechnet“, erläutert Lisa Eichler vom IÖR. Klammert man Agrarflächen, die ausschließlich in Landschaftsschutzgebieten liegen, bei der Berechnung aus, dann beläuft sich der Anteil von Agrarflächen in ökologisch sensiblen Gebieten auf deutschlandweit rund 21.146 km², davon 20.845 km² Ackerfläche und 301 km² Obst- und Weinbauflächen. Damit wären in Deutschland noch 17 % der Gesamtackerfläche und 16 % der Obst- und Weinbauflächen von einer Pestizidbeschränkung betroffen. In einigen Bundesländern lägen auch in diesem Szenario noch überdurchschnittlich hohe Anteile von Agrarflächen in Gebieten mit Pestizidverbot: bei den Ackerflächen 45 % in Hessen, 37 % in Baden-Württemberg und 34 % in Mecklenburg- Vorpommern, bei den Obst- und Weinbauflächen 28 % in Baden-Württemberg.

„Wir wollen mit unseren Berechnungen eine konstruktive Debatte zur geplanten EU-Verordnung anregen. Die konkreten Zahlen zeigen auf, welche Betroffenheiten tatsächlich bestehen – das ist auch von Bundesland zu Bundesland verschieden und neben Landschaftsschutzgebieten spielen auch Wasserschutzgebiete eine große Rolle“, ordnet Carsten Brühl von der RPTU in Landau die Ergebnisse ein.

Für die Ermittlung der Flächen haben Lisa Eichler und Carsten Brühl eine breite Basis an Geodaten und Informationen aus verschiedenen Datenbanken herangezogen, diese Informationen analysiert und miteinander verschnitten. Die Herausforderung war, dass sich Schutzgebietskategorien überlagern können. Eine Ackerfläche kann zum Beispiel sowohl in einem Landschafts- als auch in einem Vogelschutzgebiet liegen. Daher wurde bei der Berechnung für jede Agrarfläche bestimmt, in welchen und in wie vielen Schutzgebieten diese liegt. (Details zu Datenbasis und Methodik siehe Hintergrundmaterial)

Hintergrund

Lisa Eichler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Raumbezogene Information und Modellierung am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Sie ist Expertin auf dem Gebiet der Geodatenanalyse verknüpft mit naturschutzfachlichem Wissen.

Dr. Carsten Brühl lehrt und forscht am Institut für Umweltwissenschaften Landau, der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Er ist Ökologe und Ökotoxikologe und beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Auswirkung von Pestiziden auf die Umwelt.

Lisa Eichler und Carsten Brühl arbeiten aktuell im Projekt „DINA – Diversity of Insects in Nature protected Areas“ zusammen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte wird. In dem Verbundprojekt forschen neun Partner noch bis 2023 zum Insektenschwund in Naturschutz-Arealen.

 

Hintergrundmaterial: Details zu Datenbasis und Methodik

 

Wissenschaftlicher Kontakt

Lisa Eichler
Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR)
Forschungsbereich Raumbezogene Information und Modellierung
Tel.: (0351) 46 79-209
E-Mail: L.Eichler[at]ioer.de

Dr. Carsten Brühl
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)
Gemeinschaftsökologie & Ökotoxikologie am Institut für Umweltwissenschaften Landau
Tel.: (06341) 280 31 310
E-Mail: Carsten.Bruehl[at]rptu.de

Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) ist eine außeruniver­sitäre Forschungseinrichtung und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das IÖR leistet Beiträge für eine räumliche Entwicklung, die es der Menschheit ermöglicht, innerhalb ökologischer Grenzen zu prosperieren und planetare Gerechtigkeit zu gewährleisten. Seine Forschung zielt darauf ab, tiefgreifende und umfassende Transformationen zu beschleunigen und umzusetzen, die Regionen, Städte und Quartiere nachhaltig und resilient gestalten. [www.ioer.de]

Weinbau und Herbizidausbringung im Naturschutzgebiet in Rheinland-Pfalz. Foto: RPTU/Carsten Brühl
Weinbau und Herbizidausbringung im Naturschutzgebiet in Rheinland-Pfalz. Foto: RPTU/Carsten Brühl

Über die RPTU

Seit 1. Januar 2023 bilden die Technische Universität Kaiserslautern und die Universität in Landau zusammen die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. Mit rund 19.000 Studierenden und mehr als 300 Professorinnen und Professoren ist die RPTU die zweitgrößte akademische Einrichtung des Landes. Als Ort internationaler Spitzenforschung und akademische Talentschmiede der Wirtschaft und Wissenschaft bietet die RPTU exzellente Studien- und Forschungsbedingungen sowie ein weltoffenes Umfeld. Die RPTU ist zudem Innovations- und Transferpartner für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wer an der RPTU studiert, lernt, forscht oder arbeitet, ist Teil einer lebendigen Universitätsgemeinschaft und gestaltet die Welt von morgen.

Pressekontakt

Julia Reichelt
Stabsstelle Universitätskommunikation

Tel.: +49(0)631/205-5784
Fax: +49(0)631/205-3658
Mail: presse[at]rptu.de
Web: www.rptu.de/pr-marketing