Unsere RPTU Story
Studieren mit Depression: Mental Health stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken
Isabel Neumaier wusste schon immer, dass sie Mathematik studieren möchte. Nach einem Besuch auf dem Campus Kaiserslautern war ihr klar, dass genau das an der RPTU geschehen soll. Doch dann kam Corona – und alles wurde anders: Isabel erlebte neben ihrem Studienstart eine weitere, ihr bisher unbekannte Situation – den Alltag mit einer starken Depression. Dank der richtigen Unterstützung, privat und seitens der RPTU, geht es ihr heute gut. Doch der Weg aus der Erkrankung war lang und beschwerlich, wie sie uns hier erzählt.
„Das Thema Depression begleitet mich schon länger. Als ich im Jahr 2019 den Bachelorstudiengang Mathematik angefangen habe und Corona kam, war das der entscheidende Auslöser. Durch die plötzliche Isolation ging es mit meiner psychischen Gesundheit richtig bergab. Ich habe gemerkt, dass ich keinen Antrieb mehr hatte. Bereits das morgendliche Aufstehen wurde zum Problem. Die Depression hatte sich bis dahin nie in dieser Form gezeigt und mich auch nie so stark beeinträchtigt. Da fragt man sich schon: Was ist los mit mir?
Ehrlicherweise haben der neue Stress im Studienalltag und eine nicht bestandene Prüfung gleich zu Beginn des Studiums nicht gerade dabei geholfen, mich aus meinen depressiven Gedanken zu holen. Stattdessen habe ich mich immer wieder gefragt: ‚Ist das Studium die richtige Wahl für mich?‘ ‚Hätte ich doch etwas anderes machen sollen?‘ ‚Bin ich gut genug?‘“
Gedanken ans Versagen
„Schließlich ist auch meinen Eltern aufgefallen, dass ich mich verändert habe. Ich habe ihnen erzählt, wie ich mich fühle. Gemeinsam sind wir dann zum Hausarzt gegangen, der mich zu einem Psychotherapeuten überwiesen hat. Im November 2020 habe ich dann meine Therapie begonnen. Im Wintersemester 2020/2021 habe ich noch versucht, weiterzustudieren. Aber ich merkte schnell, dass einfach nichts mehr ging. Ich musste das Semester abbrechen. Gefolgt von einem Urlaubssemester im Sommersemester 2021.
Depressionen und psychische Erkrankungen sind zwar heilbar, aber es ist ein langer Prozess, sagte mir mein Therapeut - in meinem Fall könne es etwa drei bis fünf Jahre lang andauern. Einmal pro Woche hatte ich eine Sitzung bei ihm. Es gab einiges aufzuarbeiten. Ich bekam entsprechende Medikamente und lernte Methoden kennen, mit denen ich in bestimmten Situationen reagieren kann, wenn ich merke, dass es mir wieder schlechter geht. Schritt für Schritt habe ich wieder zurück in einen geregelten Tagesablauf mit entsprechenden Routinen gefunden. Erst danach sind wir das Thema Studium angegangen.
Anfangs bin ich allein beim Gedanken an das Mathematikstudium oft wieder in diese Gedankenspirale aus Unsicherheit und der Erinnerung an den Misserfolg zurückgefallen. Natürlich sind nicht bestandene Prüfungen unter Studierenden nichts Ungewöhnliches. Aber durch eine Depression werden negative Gefühle einfach viel stärker ausgeprägt. In meinem Kopf kreisten viele Fragen: ‚Was mache ich, wenn es wieder nicht klappt?‘ ‚Was, wenn ich schon wieder scheitere?‘ Nach Corona kamen die Präsenzveranstaltungen zurück. Zweimal habe ich versucht, das Studium nach dem Urlaubssemester wieder aufzunehmen – ohne Erfolg. Ich war psychisch doch noch nicht bereit. Erst mit dem dritten Wiedereingliederungsversuch hat es geklappt.“
Zurück ins Studium – mit Unterstützung vom Fachbereich Mathematik
„Die Wiedereingliederung hat auch deshalb funktioniert, weil ich wusste, dass ich Unterstützung vom Fachbereich Mathematik bekomme. Ich habe mit meinem Fachbereich offen über meine psychische Erkrankung gesprochen. Gemeinsam haben wir speziell auf meine Situation zugeschnittene Stundenpläne erarbeitet und das für mich optimale Studientempo festgelegt. Denn wir alle wollten, dass ich mein Studium fortsetze und nicht abbreche. Gleichzeitig haben sie mich nicht mit Samthandschuhen angefasst, sondern mich – soweit es ging – wie eine ‚ganz normale‘ Studentin behandelt. Das fand ich gut, denn ich wollte keine Sonderbehandlung. Aber wenn die Depression mal wieder stärker präsent war und ich sie darüber informiert habe, hatten sie Verständnis und haben Rücksicht genommen. Dadurch habe ich langsam wieder Spaß an Mathematik gefunden und inzwischen kann ich mein Studium ganz gut selbst strukturieren. Meine Ansprechpersonen im Fachbereich unterstützen mich dabei weiterhin, und ich fühle mich gut aufgehoben.
Der Fachbereich Mathematik an der RPTU ist klein, was für die persönliche Betreuung, wie ich sie erfahren habe, definitiv von Vorteil ist. Dozierende, Professorinnen und Professoren nehmen sich Zeit für ihre Studierenden. Besonders gut gefällt mir das Familiäre an der Uni. Da merkt man, dass man nicht einfach nur eine Matrikelnummer ist und dass man bei Problemen wirklich nicht allein ist. Gerade zu Beginn des Studiums bekommt man eine sehr enge Unterstützung.“
Studieren mit Depression: Erste Hilfe bei psychischen Erkrankungen mit MFHA
„Rückblickend kann ich allen Betroffenen den Tipp geben: Habt keine Angst, euch dem zu stellen, was gerade in euch vorgeht. Findet jemanden, dem ihr euch anvertrauen könnt. Sucht am besten Kontakt zu Personen, die darauf geschult sind und euch dabei begleiten können, die richtige Hilfe zu bekommen. An der RPTU ist der beste Erstkontakt über die Ansprechpersonen von Mental Health First Aid (MHFA).
Bei MHFA haben Studierende und Beschäftigte eine entsprechende Ausbildung erhalten und stehen als Ersthelfende zur Verfügung, um euch aus eurer Gedankenspirale zu helfen. Denn: An mehreren Lehrtagen lernen sie verschiedenste psychische Krankheiten kennen, wie sie am besten darauf reagieren können und sich in kritischen Krisensituationen verhalten können. Und aber auch wie sie sich verhalten sollten, wenn keine akute Krise vorliegt. Die Ausbildung wird mit einer mündlichen Prüfung abgeschlossen, bei dem die Teilnehmenden ein Fallbeispiel bekommen, das sie entsprechend lösen müssen. Die Ausbildung zur MHFA-Ersthelferin habe ich 2023 abgeschlossen und bin seitdem Ansprechpartnerin in meinem Fachbereich. Nach meinem langen und beschwerlichen Weg aus der Depression möchte ich meinen eigenen Erfahrungen einen Sinn geben. Ich möchte Betroffenen zeigen, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind und dass sie mit jemandem reden können, der sie versteht – weil man es selbst erlebt hat.
Betroffene können also gerne auf uns MHFA-Ersthelfende zukommen. Wir hören zu, was sie auf dem Herzen haben, und unterstützen an der Stelle, wo sie Hilfe benötigen. Das kann zum Beispiel auch einfach nur der Fall sein, wenn sie sich nicht trauen, einen Therapeuten aufzusuchen, oder wenn sie nicht wissen, wo sie überhaupt anfangen sollen. Dann können wir sie dabei unterstützen und ihnen den Weg zur professionellen Therapie ebnen.“
Ausblick nach vorne
„Für den Bachelorabschluss habe ich letztendlich 12 Semester gebraucht und bin jetzt im Masterstudium. Ich bin immer noch in Therapie, aber bei weitem nicht mehr so regelmäßig, sondern nur noch bei Bedarf. Mir geht es heute gut. Durch die Depression lernt man, jeden Tag zu genießen, an dem man keine depressiven Gedanken hat. Es war ein langer Prozess, das zu lernen. Aber ich blicke jetzt positiv in die Zukunft, weil ich weiß, dass ich zu Hause und auch hier an der Uni so viel Unterstützung bekomme.“
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Du suchst nach Hilfe?
Wenn du Probleme hast und Unterstützung brauchst: Zögere nicht und melde dich bei den MHFA-Ersthelfenden für psychische Gesundheit.
In Landau:
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Offene Sprechstunde und Termine gibt’s nach Vereinbarung über campusplus-mhfa-ld(at)rptu.de
In Kaiserslautern:
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